
Nach CR7-Wechsel: „Real sucht seinen Anführer“
MADRID. Es läuft noch nicht rund bei Real Madrid in dieser Spielzeit. Trainer Julen Lopetegui ist erheblich angezählt, viele Spieler befinden sich in einem Formtief, die Ergebnisse und phasenweise auch spielerischen Darbietungen bleiben stark hinter den Erwartungen zurück. Und auch wenn die Krise letztlich viele Gesichter hat, steht für Ex-Präsident Ramón Calderón unmissverständlich fest: Real Madrids aktuelle Situation ist vor allem auf den Verkauf Cristiano Ronaldos zurückzuführen. Man hätte den Portugiesen niemals ersatzlos ziehen lassen dürfen.
„Man kann keinen Spieler ersetzen, der in neun Jahren 450 Tore erzielt hat. Dass diese Qualität Real Madrid zurzeit fehlt, ist offensichtlich. Die Weltmeisterschaft hat sicherlich auch einen Teil zur schlechten Form beigetragen. Wichtige Spieler wie Luka Modrić oder Raphaël Varane sind nicht frisch, weil sie bei der WM alle Spiele bestritten haben. Auch Sergio Ramos merkt man an, dass er letztes Jahr an die 60 Spiele gemacht hat. Dieses Problem haben andere große Mannschaften aber auch. Ich bleibe dabei: Cristianos Abwesenheit ist der Hauptgrund für die Verfassung von Real Madrid. Er war mehr als ein Torjäger. Er trug die Mannschaft förmlich auf seinen Schultern, ähnlich wie Lionel Messi den FC Barcelona. Wenn eine Mannschaft ein Problem hat, sucht sie ihren Anführer, der dieses Problem löst. Und Real Madrid hat einen solchen Anführer, einen solchen Protagonisten jetzt nicht mehr“, so der 67-Jährige gegenüber SPOX und GOAL.

Ronaldo hatte bei Pérez einen „schweren Stand“
In gewohnter Manier ließ der Rechtsanwalt in diesem Zusammenhang auch kein gutes Haar an seinem Nachfolger Florentino Pérez, der ihn 2009 ablöste. Der fünffache Weltfußballer soll angeblich „vom ersten Tag an“ einen „schweren Stand“ beim aktuellen Präsidenten der Blancos gehabt haben, weil es nicht zu hundert Prozent „sein Transfer“ gewesen sei: „Ich hatte im Vorjahr mit Cristiano und Manchester United eine Einigung über einen Wechsel erzielt. Wäre es nach Herrn Pérez gegangen, hätte er den Transfer sogar noch verhindert, weil es mein und nicht sein Transfer war. Cristiano hatte zu diesem Zeitpunkt aber schon längst unterschrieben.“
Am gespaltenen Verhältnis zwischen Pérez und Ronaldo hätten laut Calderón auch die vier Champions-League-Titel in den letzten fünf Jahren, an denen der Portugiese überragenden Anteil hatte, wenig geändert: „Cristiano war, obwohl er die meisten Spiele mit seinen Toren entschied, nie der Liebling des Präsidenten. Wenn ein Arbeitnehmer hervorragende Arbeit leistet und entscheidend zum Erfolg seines Arbeitgebers beiträgt, wünscht er sich etwas von seinem Arbeitgeber zurück. Eine kleine Aufmerksamkeit.“
Ob damit ein noch besser dotierter Vertrag gemeint sei, der Ronaldo Gerüchten zufolge letzten Endes verwehrt blieb? „Auch. Es ging am Ende aber nicht mehr einzig und allein darum. Cristiano vermisste die persönliche Wertschätzung des Präsidenten. Er fühlte sich nicht mehr gewollt. Der Präsident war geradezu besessen von der Idee, Neymar zu verpflichten. Er wollte Paris Saint-Germain 350 Millionen Euro bezahlen und bot dem Spieler fast das Doppelte von Cristianos Gehalt. Dadurch reifte in Cristiano logischerweise der Gedanke, eine neue Herausforderung zu suchen. Ihm wurde klar: Der Klub verzichtet nicht nur darauf, mich zu unterstützen. Er will mich loswerden.“

„Zidane resignierte irgendwann“
Doch damit nicht genug: Auch am Abgang Zinédine Zidanes soll Pérez nach der Meinung Calderóns die Hauptschuld tragen. Der 71-jährige Bauunternehmer habe sich sowohl in die Aufstellung als auch Kaderplanung eingemischt, was „Zizou“ letztlich zum Rücktritt bewogen habe. „Eigentlich ist er der Trainer, weil er auch die Aufstellung vorgibt. Zidane resignierte irgendwann. Soweit ich weiß, wurden seit Zidanes Amtsantritt fünf Spieler verpflichtet, die er nicht wollte. Er sah zum Beispiel keinen Sinn darin, einen neuen Torwart zu verpflichten.“ Ebenso habe die Personalie Gareth Bale zu Unstimmigkeiten geführt: „Zidane vertraute Bale, sah in ihm aber keinen absoluten Stammspieler. Auch das wollte der Präsident nicht akzeptieren, weil er Bale einst zum teuersten Spieler der Welt (101 Millionen Euro; d. Red.) gemacht hatte.“
Lopeteguis Entlassung „beschlossene Sache“
Mit Blick auf die Gegenwart glaubt Calderón, dass eine Entlassung Julen Lopeteguis „unabhängig“ vom Abschneiden im Clásico am Sonntag (16:15 Uhr, im REAL TOTAL-Liveticker und bei DAZN) bereits „beschlossene Sache“ sei. Zwar sei nicht unbedingt im Anschluss an eine mögliche Niederlage damit zu rechnen, auf lange Sicht hätte der Baske in Madrid aber keine Zukunft mehr: „Ich denke nicht, dass sich jemand innerhalb von drei Tagen finden wird. Deshalb wird es auch nach dem Clásico sicherlich noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, bis Julen entlassen wird. Zidanes Abgang war kein Zufall. Ebenso wenig wie die Absagen von fünf weiteren Elite-Trainern, die der Präsident vor Julen anrief. Niemand möchte so viel Macht an einen Bauingenieur abgeben.“
Als potentieller Nachfolger kommt für den Ex-Präsidenten nur eine Person infrage: José Mourinho. „Es gibt nur einen Trainer, den der Präsident wirklich respektiert und das ist José Mourinho. Er war und wäre der einzige, der sich durchsetzen kann. Ich bin mir sogar ohne jeden Zweifel sicher, dass Mourinho zurückkehren wird. Ob jetzt oder nächsten Sommer. Das kommt natürlich auch darauf an, wie es mit Mourinho und Manchester United weitergeht.“ Eine zumindest fragwürdige These, hatte sich „Mou“ doch zuletzt erst öffentlich zu United bekannt und ist bei einigen Spielern des aktuellen Kaders – darunter Kapitän Sergio Ramos – nicht mehr besonders hoch angesehen.
„Madrid muss sich im Clásico nicht verstecken“
Unabhängig von der Trainerfrage und der sportlichen Krise sehe er die Königlichen im Duell mit dem Erzrivalen jedoch keineswegs chancenlos: „Barcelona mag den Vorteil besitzen, zu Hause zu spielen, ist aber auch nicht gut in Form und muss auf Messi verzichten. Es ist für kein Orchester diese Welt einfach, ohne seinen Dirigent aufzutreten. Ihre Defensive ist in dieser Saison sehr anfällig. Ohne die Paraden von Ter Stegen hätten Sie auch mehr Punkte abgegeben. Madrid muss sich nicht verstecken.“
Stadionumbau ein „Akt der Willkür“
Neben der sportlichen Situation kritisierte Calderón gegenüber dem deutschen Online-Magazin das Thema Stadionumbau scharf: „Es handelt sich um einen Akt der Willkür, um die Laune eines Präsidenten, der die sportliche Planung vergessen hat, um mit einem neuen Super-Stadion in die Geschichte einzugehen. Anfang 2009, als ich noch Präsident war, erhielten wir den Zuschlag für Champions-League-Finale 2010 im Bernabéu. Warum? Weil die UEFA das Bernabéu für eines der drei besten und modernsten Stadien in Europa hielt. Wenn Sie heute einen Fan von Real Madrid fragen, ob er sich unwohl im Bernabéu fühlt, ob ihn die Sitze oder irgendetwas anderes stören, dann antwortet dieser mit einem Nein.“
Weiter führte der 67-Jährige aus: „Die wirtschaftliche Situation von Real Madrid ist gut, aber nicht herausragend. Der Klub ist keine Aktiengesellschaft. Er hat keinen Investor, sondern finanziert sich selbst. Umso vorsichtiger muss er mit seinen Ausgaben umgehen. Die Gehälter im Fußball sind in den vergangenen Jahren zudem enorm angestiegen. Ein Klub wie Real Madrid kann keine verrückten Dinge mehr auf dem Transfermarkt machen. Erst recht nicht, wenn sein Präsident davon besessen ist, 500 Millionen Euro für eine Stadionmodernisierung in die Hand zu nehmen.“ Harsche Worte von dem Mann, der die Blancos vor nicht allzu langer Zeit tief in die roten Zahlen führte, der Wahlmanipulation beschuldigt wurde und überdies bestrebt war, Real in eine Sportaktiengesellschaft umwandeln zu lassen. Auch aus diesem Grund sollten die übrigen Aussagen des umstrittenen Ex-Präsidenten, der seit jeher mit Pérez auf Kriegsfuß steht, mit Vorsicht aufgenommen werden.
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