
Immer wieder Barcelona
Als Schiedsrichter José Munuera Montero um 22.54 Uhr das Aufeinandertreffen zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona abpfiff und der 0:1-Hinspielerfolg der Katalanen amtlich wurde, hatte man aus königlicher Sicht mal wieder das Gefühl, diesen Film schon einige Male durchlebt zu haben. Als Favorit in die Begegnung gegangen, dominierte man über weite Strecken zwar das Geschehen, blieb in der Offensive jedoch erschreckend zahnlos und musste sich am Ende aber einer hoch effektiven „Blaugrana“, die einen von zwei Torschüssen eiskalt ausnutzte, geschlagen geben. Am Ende konnte man sich sogar glücklich schätzen, nicht noch höher verloren zu haben und mit einer noch größeren Hypothek in das Rückspiel zu gehen, weil Ansu Fati in Minute 72 gar das mögliche 0:2 „verhinderte“, als er den Schuss seines Teamkollegen Franck Kessié unglücklich neben das Gehäuse lenkte. Viel schlimmer als die unnötige Niederlage wog aus königlicher Sicht jedoch jenes besagte Gefühl, in einem Duell mit dem Erzrivalen mal wieder den Kürzeren gezogen zu haben, wobei man eher an sich selbst denn an einem übermächtigen Kontrahenten gescheitert ist.
So mancher Madridista mag sich dabei wie in einem schlechten Film gefühlt und sich ein wenig an den Clásico in der Hinrunde 2017/18 zurückversetzt gefühlt haben, als man 45 Minuten das Spiel absolut dominierte, um in der zweiten Hälfte aufgrund individueller Blackouts das Spiel innerhalb weniger Minuten herzuschenken und mit 0:3 zu verlieren – ohne so richtig zu wissen, warum eigentlich. Auch wenn die spielerische Qualität des Aufeinandertreffens vor sechs Jahren zugegebenermaßen weitaus höher war und vor allem Barcelona an diesem Tag – anders als diesmal in der Copa – in Bestbesetzung antreten konnte, bleibt auch diesmal dieses Gefühl von: Eigentlich wäre doch so viel mehr möglich gewesen. Und eigentlich hatte man aus Madrid-Sicht gehofft, diese unsäglichen Clásico-Pleiten, bei denen das Pendel allzu oft aufgrund von Kleinigkeiten in Richtung der Katalanen ausschlug, endlich hinter sich gelassen zu haben. Doch nach zuvor zehn Aufeinandertreffen ohne Niederlage, steht man jetzt doch wieder bei drei Pleiten aus den letzten vier Duellen, wobei zwei davon sogar äußerst heftig ausfielen. Man könnte bisweilen das Gefühl haben, die Königlichen leiden an einem kleinen Trauma, was die Katalanen betrifft.
Barça spielte nicht wie Barça
Denn: So eine große Chance, dem Erzrivalen richtig weh zu tun, hatte man schon lange nicht mehr. Personell kam das Team von Xavi Hernández arg gebeutelt daher (mit Robert Lewandowski, Ousmane Dembélé, Pedri und Andreas Christensen fehlten vier absolute Schlüsselspieler), zudem war man nach dem Europa-League-Aus gegen Manchester United sowie der Niederlage in der Liga gegen Abstiegskandidat Almería am Wochenende (0:1) durchaus angeknockt, doch die Blancos konnten – man ist geneigt zu sagen, mal wieder – keinerlei Kapital daraus schlagen. Und das, obwohl Barça alles andere als Barça-like auftrat. Statt hohem Pressing und Ballbesitzfußball verschanzten sich Ronald Araújo und Co. tief in der eigenen Hälfte und suchten im Konterspiel ihr Glück, was – bis auf das Tor und die Riesenchance von Kessié – mehr schlecht als recht gelang. Aber: Immerhin kam Barcelona zu klaren Abschlusssituationen, was man bei den Merengues trotz optisch drückender Überlegenheit und 65 Prozent Ballbesitz nicht behaupten kann.
Barcelona agierte so, wie es zuletzt einige Teams in der Liga erfolgreich getan hatten: Im tiefen Block verteidigend wurden die Flankenversuche aufgrund der oftmals mangelhaften Boxbesetzung mehr oder weniger mühelos wegverteidigt, Vinícius Júnior wurde immer wieder gedoppelt und fand so kaum in die Partie, weshalb die Königlichen kaum etwas kreierten, da über die rechte Flanke ebenfalls keine Gefahr ausgestrahlt wurde. Dass man den Katalanen den Führungstreffer durch Eduardo Camavingas individuellen Fehler dann auch noch selbst servierte, passte ins Bild an diesem verkorksten Abend.
Zieht Ancelotti seine Lehren aus diesem Spiel?
Und dennoch machte es in Anschluss an die Partie den Eindruck, dass man auf Seiten der Blancos eigentlich ganz zufrieden war mit dem Auftritt vor heimischem Publikum. Während Thibaut Courtois analysierte, dass man „das Spiel dominiert“ habe und Barcelona am Ende gewann, „obwohl sie es nicht verdient haben“, fand Luka Modrić, dass man das „bessere Team“ gewesen sei und zeigte sich zuversichtlich, das Ganze im Rückspiel umzubiegen. Und auch Carlo Ancelotti schien sich an dem Ergebnis nicht unbedingt groß zu stören: „Wir haben nicht genau das Spiel gemacht, das wir machen wollten, aber dennoch gibt es uns Selbstvertrauen für das Rückspiel. In 90 Minuten haben wir kein gutes Ergebnis erzielt, müssen das Spiel in Barcelona aber einfach nur wiederholen.“
Zweckoptimismus oder eine gefährlich falsche Einordnung der eigenen Leistung? Natürlich, für tot erklären darf und sollte man die Königlichen nie. Dafür gab es in den vergangenen Wochen wieder genügend Beispiele. Dennoch offenbarte dieser Clásico abermals zwei große Baustellen. Erstens: Gegen tiefstehende Gegner benötigen die Blancos eine bessere Strafraumbesetzung und ein ausgewogeneres Positionsspiel. So versuchte man durch Überladungen am linken Flügel zwar immer wieder temporäre Überzahlsituationen zu kreieren, schaffte es aber nicht, den Gegner dadurch ernsthaft in Bedrängnis zu bringen, weil durch die oftmals komplett verwaiste rechte Seite – Federico Valverde zog oft in Richtung Zentrum – Barcelona nicht gezwungen wurde, in der Breite zu verteidigen und somit in Ballnähe relativ einfach Gleichzahl herstellen konnte. So hätte Rodrygos Einwechslung möglicherweise früher erfolgen müssen, um die Statik des Spiels nachhaltig verändern zu können.
Und die zweite Auffälligkeit: Möglicherweise fehlt mit Toni Kroos und Modrić gemeinsam auf dem Feld mittlerweile die nötige Energie, um gegen Topteams die nötige Intensität auf den Platz zu bringen. Dies hat keineswegs mit dem Absprechen der nötigen Klasse der Altstars zu tun, doch waren bereits die Champions-League-Partien in der vergangenen Saison erste Hinweis darauf, dass das Duo gemeinsam auf dem Feld nur noch temporär zu absoluten Höchstleistungen fähig ist. Zumal Kroos die fehlende Spritzigkeit aufgrund der längeren Krankheit zuletzt durchaus anzumerken war. Mit zunehmender Spieldauer verfestigte sich jedoch der Eindruck, dass ein wilder und unkonventioneller Daniel Ceballos dem Spiel ebenso gut tun würde wie Valverdes Dynamik und Ballschlepper-Fähigkeiten im Zentrum. Ist das Zentrum sonst das Prunkstück und der Maschinenraum der Königlichen, wirkte das Aufbauspiel diesmal doch sehr phlegmatisch und ausrechenbar. Zumindest schien Barcelona keine große Mühe zu haben, die Angriffsversuche der Königlichen wegzuverteidigen. Und im Umschaltspiel fehlte zu oft das Tempo und die nötige Vertikalität.
Unter dem Strich bleibt jedoch das Gefühl, eine große Chance verpasst zu haben. Eine Chance, dem angeknockten Erzrivalen richtig weh zu tun und ein Statement für die finale Saisonphase zu setzen. Und was dabei besonders schmerzt: Es lag diesmal nicht an einem hervorragendem Gegner, sondern an den Königlichen selbst, die in einem Clásico mal wieder nicht ihr wahres Gesicht zeigen konnten. Immerhin bleiben in dieser Spielzeit noch zwei Gelegenheiten, um diesen Eindruck zu revidieren.
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