Interview

Ødegaard über Real-Zeit: „Danach hatte ich fast keine Chancen mehr“

Martin Ødegaard blickt detailliert auf seine Zeit bei Real Madrid zurück und bereut seinen damaligen Wechsel dorthin nicht. Ebenso möchte der Norweger, beim FC Arsenal inzwischen Kapitän und auf Meisterschaftskurs, niemandem bei den Königlichen Vorwürfe machen. Über sein Outfit bei der Präsentation im Januar 2015 muss der 24 Jahre alte Norweger verschämt lachen.

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Martin Odegaard Arsenal
Beim FC Arsenal ist Ødegaard total aufgeblüht – Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images

Ødegaard muss Real-Abgang nicht bereuen

LONDON. Wer Real Madrid verlässt, der geht als Verlierer der Trennung hervor: So ist es jedenfalls nicht gerade selten. Es geht aber auch anders, das zeigt aktuell wohl keine Geschichte so gut wie die von Martin Ødegaard. Der Norweger mischt mit dem FC Arsenal die Premier League auf. Nach seinem endgültigen Abgang von den Königlichen im Sommer 2021 wurde der 24-jährige Norweger bei den „Gunners“ zum Kapitän ernannt, mit ihnen befindet er sich nun auf Meisterschaftskurs.

In der Premier-League-Tabelle liegt Arsenal mit fünf Punkten Vorsprung und einem Spiel weniger als Verfolger Manchester City an der Spitze. Das Ensemble von Mikel Arteta ist wohl kaum noch zu stoppen, für den Verein wäre es der erste Liga-Titel seit 2004. Ødegaard erweist sich mit acht Toren und sechs Vorlagen in 19 Meisterschaftsspielen als fundamental.

Die spanische Hauptstadt nach einigen Anläufen verlassen zu haben, wird der Spielmacher aufgrund der phänomenalen sportlichen Situation in London erst recht nicht bereuen. Für die US-amerikanische Plattform THE PLAYERS’ TRIBUNE hat Ødegaard auf die Zeit in Madrid zurückgeblickt – beginnend mit seiner Entscheidung im Januar 2015, sich als gehyptes Mega-Talent mit 16 Jahren dem prestigeträchtigsten Verein der Welt anzuschließen.

Ødegaard: „Real Madrid war das Komplettpaket“

„Am Ende ist Real Madrid Real Madrid. Es war der Champions-League-Sieger mit den besten Spielern der Welt. Zur damaligen Zeit habe ich Isco geliebt, er war so sanft mit dem Ball. Aber wirklich entscheidend war beim Angebot von Real Madrid, dass es eine B-Mannschaft hat, bei der ich sofort konkurrenzfähigen Fußball spielen konnte. Und der Trainer dieser Mannschaft: Zinédine Zidane. Das war das Komplettpaket.

Bevor wir es ihnen offiziell gesagt haben, erinnere ich mich, dass ich mit meinem Vater auf dem Sofa saß und mir ein Spiel von Real Madrid im Fernsehen ansah. Einmal drehte er sich mit seinem Telefon in der Hand zu mir um: ‚Ist es an der Zeit? Sollen wir es ihnen sagen?‘ Wir haben so lange über die Entscheidung gesprochen, weil es so schwer war, all diese anderen großartigen Klubs abzulehnen. Aber dann haben wir es geschafft. Er hatte den Entwurf bereits seit ein oder zwei Wochen auf seinem Telefon gespeichert. Diese wirklich einfache Nachricht. Es war so etwas wie: ‚Martin hat entschieden, dass er kommen will, wenn ihr ihn noch wollt.‘ Ich sagte ihm nur: ‚Schick es ab.‘

Martin Odegaard Real Madrid
Ødegaard bei Real: elf Spiele, kein Scorer – Foto: Jorge Guerrero/AFP via Getty Images

Ich zucke jetzt wirklich zusammen, wenn ich daran denke, aber ich weiß, dass damals viele Leute darüber gesprochen haben. Ich war im Grunde ein Meme. Sie schickten ein Flugzeug, um uns morgens aus Norwegen abzuholen. Sehr früh. Ich wache auf, aber ich schlafe noch halb. Meine Haare durcheinander. Ich hatte keine Zeit zum Duschen. Ich ziehe einfach an, was ich schnell greifen konnte, werfe etwas Schickeres in eine Tasche und wir nehmen den Flug. Ich denke, sobald ich im Hotel in Madrid ankomme, kann ich mich umziehen, duschen, mich vorbereiten. Aber dann landen wir, wir steigen aus dem Flugzeug und mir wird klar, dass sie uns direkt zum Trainingsgelände bringen, um die medizinische Untersuchung und dann die Pressekonferenz durchzuführen. Keine Hotelhaltestelle.

Youngster schämte sich für Outfit bei Real-Präsentation

Und ich dachte: ‚Warte, machen wir das jetzt?‘ Plötzlich sitze ich neben Madrids Legende Emilio Butragueño – der natürlich einen sehr eleganten Anzug trägt – und sie stellen mich der Welt vor. Ich, in diesem alten gestreiften Pullover, noch nicht einmal geduscht, versuchte, meine Haare mit meinen Händen glatt zu streichen.

Martin Odegaard Real Madrid
Ødegaard bei seiner Vorstellung in Madrid – Foto: Denis Doyle/Getty Images

Das war der größte Tag meines Lebens, Bilder gingen um die ganze Welt. Ich soll dieser Spieler sein, mit dem Real Madrid alle geschlagen hat und ich sehe aus wie ein zufälliges Schulkind, das sie gerade von der Stadiontour mitgenommen haben. Butragueño stellt mich vor und in meinem Kopf denke ich: ‚Gott, ich wünschte, ich hätte meinen Pullover gewechselt. Jemand hätte es mir sagen können. Warum hat mir das keiner gesagt???? Hahaha!‘ Ich war so außerhalb meiner Komfortzone. Du kannst die Angst in meinem Gesicht sehen. Ein paar Tage nach der Präsentation habe ich zum ersten Mal am Training teilgenommen und das war ehrlich gesagt einfach surreal. Ich bin noch nicht alt genug, um Auto zu fahren, also musste mein Vater mich tatsächlich dazu bringen, mit Isco und Ronaldo und Ramos und Modrić und Bale und Benzema zu spielen, als würde er mich zur Schule bringen.

Ich denke nur daran, wie diese Jungs mich behandeln werden, wenn ich in ihre Umkleidekabine gehe. Dieses kleine Kind, das kein Spanisch sprach. Aber sie waren alle sehr nett, und diejenigen, die Englisch sprachen – Kroos, Modrić, Ronaldo – haben sich am Anfang besonders um mich gekümmert. Sie haben mich beraten und mir sehr geholfen. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass einer von ihnen sich große Sorgen darüber gemacht hat, dass ein 16-Jähriger aus Norwegen ihren Platz im Team einnehmen könnte.

„Beschäftigte mich mehr damit, keine Fehler zu machen“

Wir haben mit dem Verein diesen Plan gemacht, dass ich jeden Tag mit der ersten Mannschaft trainiere, aber bei der B-Mannschaft regelmäßig Spielzeit bekomme. Es schien damals ein kluger Plan zu sein, aber es endete so, dass ich in keiner der beiden Gruppen meinen Platz fand. Bei der ersten Mannschaft war ich nur ein Kind, das zum Training kam. Ich habe bei den Spielen nicht mitgemacht. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Fremder und habe aufgehört, mit meinem Spielwitz aufzutreten, der typisch für mein Spiel war. Ich beschäftigte mich mehr damit, keine Fehler zu machen anstatt wirklich mein Spiel zu spielen. Und bei meinem Spiel ging es immer darum, etwas zu bewegen. Den schwierigen Pass spielen. Ich kann jetzt verstehen, warum es passiert ist. Ich war noch ein kleines Kind, aber ich habe gelernt, dass man rücksichtslos sein muss. Das muss dir scheißegal sein. Auf dem Platz muss man sein wahres Ich zeigen.

Martin Odegaard Real Madrid
Ødegaard inmitten absoluter Superstars – Foto: Gerard Julien/AFP via Getty Images

Nach ein paar Jahren kam ich einfach nicht voran. Die Presse war hinter mir her, weil ich dem Hype nicht sofort gerecht wurde. Ich war ein leichtes Ziel. Wenn du mich wirklich kennst, weißt du, dass ich viel lache. Ich glaube, von außen sieht mein Gesicht manchmal mürrischer aus, als ich es eigentlich bin. Ich machte es ihnen leicht, darüber zu schreiben, wie ich damit zu kämpfen hatte, mich einzugewöhnen.

Martin Ødegaard: „Nach Madrid zu gehen, war eine gute Sache“

Wenn ich Spanier gewesen wäre, hätte ich vielleicht etwas mehr Zeit zum Entwickeln bekommen. Vielleicht hätten sie mir etwas mehr Zeit gegeben, um mich zu entwickeln, wenn ich ein Spanier wäre. Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Im modernen Fußball gibt es keinen Mittelweg. Du bist entweder die beste Verpflichtung der Geschichte oder du bist Scheiße.

Ich möchte klarstellen, dass ich mich nicht über meine Zeit bei Real Madrid beschwere. Gar nicht. Nach Madrid zu gehen, war eine gute Sache für mich. Ich habe so viel darüber gelernt, was es braucht, um die Spitze zu erreichen. Ich habe die besten Spieler der Welt, meine Idole, beobachtet, trainiert und von ihnen gelernt. Ich habe im Bernabéu gespielt. Ich habe gelernt, hart zu sein und mich Herausforderungen zu stellen. Es ist ein Teil von dem, was ich jetzt bin. Das ist der Grund, warum ich heute da bin, wo ich bin.

Aber wenn es hart auf hart kam, habe ich nie das große Ganze aus den Augen verloren. In meinem Kopf dachte ich immer: Wie kann ich mich ändern? Wie kann ich besser werden? Denn am Ende werde ich nie der Typ sein, der sich freut, nur beim größten Verein zu trainieren und vielleicht hier und da ein paar Minuten zu bekommen. Ich habe immer darüber nachgedacht, was ich tun muss, um die beste Version von mir zu sein, die ich sein kann. Deshalb musste ich weitermachen. Als ich damals nach Norwegen kam, schien es, als hätte ich alle Möglichkeiten der Welt. Nur ein paar Jahre später musste ich mich damit abfinden, dass die Vereine nicht mehr für mich anstanden.

Martin Ødegaard: „Nicht zurückgekommen, um nur da zu sein“

Bei Real Sociedad habe ich gut gespielt und ich war sehr glücklich, aber nach einem Jahr, als Madrid anrief, dachte ich, ich muss diese Chance jetzt nutzen. Das ist der Traum, den ich seit meinem 16. Lebensjahr verfolge. Ich hatte einen guten Draht zu Zidane, seitdem er die Castilla trainiert hatte. Von daher wollte ich daran glauben, dass es diesmal funktionieren würde. Dann erwischte mich das Coronavirus. Ich stand in den ersten beiden Spielen der Saison 2020/21 in der Startelf, war aber nicht vollständig erholt. Ich habe nicht meine beste Form gezeigt und danach hatte ich nicht viel mehr Chancen. Fast gar keine. Währenddessen schaue ich mir Real Sociedad im Fernsehen an und mir kommt der Gedanke, dass ich noch immer dort spielen könnte.

Ich habe vor dem Transferfenster im Januar mit meinem Berater gesprochen: ‚Schaue mal, wir müssen etwas tun … Ich bin nicht zurückgekommen, um nur da zu sein. Ich bin hierher zurückgekommen, um zu spielen. Ich muss spielen und mich weiter verbessern.‘ Er versuchte mich zu beruhigen und sagte mir, wir hätten gerade einen Vertrag gekündigt, um nach Madrid zurückzukehren. Ich hatte immer gesagt, ich will Stabilität und jetzt, fünf Monate später, wollte ich wieder weg? Aber ich hatte mich entschieden.

Ich kann Real Madrid gegenüber nur dankbar sein, dass sie auf einen 16-Jährigen gesetzt haben. Alle hatten gute Absichten, ich beschuldige keinen. Aber ich musste einen Ort finden, an dem ich mich etablieren kann. Ich musste ein richtiges Zuhause finden. In London habe ich das.“

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von
Filip Knopp

Begleitet den Mythos Real Madrid als Fan seit der Ära der „Galácticos“ und journalistisch bei REAL TOTAL seit Mitte 2011. Erfahrungen auch bei SPORT1 und SPOX, zudem Autor von »111 GRÜNDE, REAL MADRID ZU LIEBEN«.

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