Reportage

Mehr Ergebnisfußball als Spektakel: Ancelotti immer mehr wie Zidane?

Wer hat hier von wem gelernt? Carlo Ancelotti hat Zinédine Zidane einst spektakulären Fußball gelehrt, doch wie der Franzose setzt auch der Italiener in seiner zweiten Amtszeit mehr und mehr auf Kontrolle und sichere Ergebnisse. Neben Gemeinsamkeiten finden sich aber auch Unterschiede beiden Trainerlegenden.

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Zidane und Ancelotti? 2014 wurde so “La Décima” gewonnen – Foto: IMAGO / Jan Huebner

Wer hat von wem gelernt?

Welch ein Trainer-(Traum-)Duo! In der Saison 2013/14 stand Carlo Ancelotti erstmals an der Seitenlinie von Real Madrid. Dabei bekam er prominente Unterstützung von einer Ikone des Fußballs: Zinédine Zidane! Unter der italienischen Führung sammelte der Franzose erste, im Nachhinein besonders wichtige Trainer-Erfahrungen. Kein Wunder also, dass sich die beiden sowohl im Führungsstil als auch bei ihrer taktischen Ausrichtung ähneln.

Als Trainer pflegen beide ein freundschaftliches Verhältnis zu den Spielern. Sie sorgten stets für einen großen Zusammenhalt in ihrer Mannschaft und ließen beziehungsweise lassen sich auch unter Druck nie aus der Fassung bringen – egal ob am Rand des Spielfelds während einer hitzigen Partie oder auf einer Pressekonferenz bei kritischen Fragen. Spieler wie Toni Kroos schätzen die Freiheiten, die die Übungsleiter geben. Beide zeichnen sich stets durch ihr besonnenes Wesen aus, ganz anders als beispielsweise der polarisierende José Mourinho, der bewusst durch Kritik oder Provokation die letzten Prozente aus seinen Schützlingen herauszukitzen weiß. Beim Spielsystem setzen beide Trainer auf das offensive 4-3-3 – nach anfänglichen Experimenten verteidigte Ancelotti das System zuletzt regelrecht: „Ich bin davon überzeugt, dass es das System ist, in dem sich die Spieler am wohlsten fühlen.

Und auch anhand der derzeit spärlichen Rotation, den wenigen wie späten Wechseln und entsprechend dem Vertrauen auf nur wenige Spieler und Dauerbrenner erkennt man eine Parallele zwischen dem Meister und seinem früheren Lehrling. Trotz der erwähnten Gemeinsamkeiten gibt es auch Unterschiede bei der Arbeit des 62-Jährigen, die ihn von seinem früheren Co-Trainer abheben.

Ein besserer Umgang mit Vinícius

Beim Blick aufs Personal hat einer einen großen Sprung gemacht: Vinícius Júnior blüht unter seinem neuen Trainer regelrecht auf. Zwar stand Vini auch letzte Saison unter Zidane immer wieder mal in der Startelf, doch volles Vertrauen genoss er nicht. Unter den Fittichen von Ancelotti sieht das anders aus: Schon im Sommer bekam der Youngster einen Anruf des zurückgekehrten Trainers, der ihm eine wichtige Rolle in seinen Planungen garantierte – unabhängig davon, ob Kylian Mbappe zu den Königlichen wechselte oder nicht.

Wie in den vergangenen Wochen zu sehen war, genießt der Brasilianer dieses Vertrauen in vollen Zügen. Schon jetzt befindet er sich mit neun Toren und sieben Vorlagen in seiner besten Saison. Auch an seinem präziseren Abschluss merkt man, dass sein Selbstbewusstsein gestiegen ist. “Er wird für uns ein wichtiger Spieler sein. Ich habe viel Vertrauen in ihn”, verrät der Italiener und schwärmt weiter: “Er ist ein bescheidener Typ, der gerne arbeitet.” “Carletto” scheint zu wissen, wie er den brasilianischen Dribbler motivieren und zu Höchstleistungen antreiben kann. Und zieht ihn so weiter vor Eden Hazard in Betracht: “Er wird weiterhin spielen, solange er keine Pause braucht oder sein Niveau nicht hält.”

Wackligere Defensive, teilweise mehr Tore

Die Offensivleistung lässt unter Ancelotti – trotz vielversprechenden Starts – genau wie mit Zidane als Trainer zu wünschen übrig: 22 Tore in den ersten sieben Saisonspielen, nur 13 in den acht danach. Ein größerer Unterschied lässt sich bei der Defensive feststellen: Obwohl in der Saison 2020/21 kein Titel nach Madrid ging, ging zwischen Februar und Mai nur ein einziges Spiel verloren: das Halbfinale gegen Chelsea. Der Grund dafür war die stabile Verteidigung, die für den Gegner schwer zu durchbrechen war. Mittlerweile lässt die (personell neu aufgestellte) Hintermannschaft Reals spürbar mehr Chancen zu. Eine Stellschraube, an der das Trainerteam noch arbeiten muss.

So fallen in Ancelottis zweiter Amtszeit bislang 0,93 Gegentore pro Partie, in Zidanes zweiter Ära waren es „nur“ 0,86. Und trotzdem: Mit einer aktuellen Sieg-Quote von 66,7 Prozent und durchschnittlich 2,2 Punkten handelt es sich um die (aktuell) erfolgreichste Saison seit 2016/17 (73,3 Prozent und 2,38 Punkte).

Die im Schnitt 2,27 Tore wurden dagegen zuletzt 2017/18 erreicht (2,39). Auch wenn Ancelottis Team zuletzt durchaus riskanter und weniger kontrollierend sein könnte, macht es trotzdem mehr Buden als in der vergangenen Spielzeit. So konnte in den 15 Spielen der laufenden Saison 34 Mal eingenetzt werden. Zidanes Mannschaft schoss 2020/21 88 Tore in 52 Partien, was einer Quote von 1,69 entspricht. Während die Defensive weniger gefestigt agiert, zeigt sich die Offensive vor dem gegnerischen Tor effizienter. Dafür ist auch der erhoffte zweite Scorer verantwortlich: War 2021/22 Casemiro mit sieben Treffern der gefährlichste Mann hinter Karim Benzema, so ist nun regelmäßig Verlass auf Vinícius. Und trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass Ancelotti dem Versprechen auf seiner Präsentation nicht immer nachkommt. “Die Idee ist immer gleich: Der Fußball muss offensiv und spektakulär sein. Das will die Geschichte des Klubs, das wollen die Fans”, verkündete er im Juni. Aber auch Zidane erklärte bei seiner Rückkehr schon “Dinge verändern” zu wollen, doch waren sowohl die Spieler als auch das System meist die gleichen.

Der Schützling hat sich mehr und mehr vom speziell 2013/14 spektakulären Fußball seines Lehrers abgewandt. Macht es Ancelotti seinem „Padawan“ nun nach und versinkt ebenso in zu viel Ballkontrolle und zu wenig Risiko? Was „schön“ ist, darüber lässt sich streiten, aber zumindest die Ergebnisse stimmen aktuell und Real Madrid ist in beiden bisherigen Wettbewerben auf Kurs. So wie es auch in den letzten Wochen der vergangenen Saison der Fall war.

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Kommentare
Dafür dass Modric und Kroos in deinen Augen "Loser" sind, waren die aber ganz schön erfolgreich meinst du nicht? Wenn jeder Trainer der Welt sie ohne den geringsten Zweifel immer in die Stammelf stellt und ihnen meist sogar die Spielschlüssel in die Hand drückt dann behaupte ich jetzt mal ganz frech, dass diese Trainer wissen was sie tun. Und beinahe jeder Verein sucht vergeblich nach einem 6er wie Casemiro. Nicht weil er ein grandioser Fußballer ist sondern weil es nicht viele Spieler mit seinen Qualitäten gibt. Wir können darüber diskutieren ob Modric an Intensität verloren hat oder dass man sich an Kroos Fußball satt gesehen hat, aber die Qualität dieser Spieler in Frage zu stellen finde ich schon merkwürdig. Ich gehe übrigens grundsätzlich mit dir mit und hätte mich schon letzte Saison von Modric definitiv verabschiedet und heuer hätte ich auch Kroos abgegeben. Aber dann muss man sich auch um adäquaten Ersatz kümmern, bzw. muss man erst mal schauen ob man auf dem Markt fündig wird. Mit Camavinga, Valverde und Blanco haben wir 3 sehr gute Talente in der Hinterhand, wobei lediglich Valverde mMn ein Kandidat für die Stammelf ist. Sobald der Junge wieder fit ist wird er dann auch regelmäßig an Stelle von Modric oder Kroos auflaufen.

ja, aber worum geht es? Um mögliche Prime Qualitäten aus der Vergangenheit oder die aktuelle Leistung? Ich würde nicht behaupten, dass sie heute leistungstechnisch noch zu den besten 10 der Welt gehören. Bei einem passenden System könnte das für Kroos noch so sein, aber bei Modric wird es mal abgesehen von ein zwei guten Spielen, aufgrund des Alters nicht mehr möglich sein!

Und was diese Trainer tun, kann für mich dahinstehen, wenn der Erfolg ihnen nicht Recht gibt. Zidane ist geflüchtet und hat ziemlich schlechten Fußball spielen lassen. Bei Ancelotti steht die Beantwortung der Frage noch aus, aber aktuell sieht es so aus wie bei Zidane.
 
wenn man das so liest , dann seid Ihr beide Euch doch eigentlich einig . es ist immer eine frage , wie man legenden respektiert und wie die Sichtweise ist .

nach ihrer glorreichen zeit , als sie fussball geschichte generell schrieben und für den verein , kommt nun eine neue phase . die nachfolge phase . sehr delikat . die meisten vereine schaffen das auf diesem niveau nicht .

es ist nun offensichtlich , dass KMC-aufstellungen den verein nicht weiterbringt . die legenden Modric und Kr8s sind jedoch noch gefragter als eh&je . halt nicht gemeinsam in einem spiel . beide sind wunderbare persönlichkeiten und kommunikatoren auf und neben dem feld , um dies gemeinsam mit Ance zu schaffen . es bleibt spannend und intensive und ich drücke allen drei die daumen .

zusätzlich muss Ance einfach Case auch mal eine pause gönnen und Blanco ranlassen ... und zum 100erten male , in der 60. neue impulse einwechseln . sonst kann die gemeinsame arbeit punkte-mässig einfach für die katz sein .
 

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