Kommentar

Veränderungen müssen her – mit Ancelotti

Auf eine der erfolgreichsten Spielzeiten für Real Madrid folgt ein Jahr des Versagens und der Enttäuschung. Nichtsdestotrotz muss sich im Sommer kein gigantischer Umbruch vollziehen – und schon gar nicht ein Trainerwechsel. Ein Kommentar von REAL TOTAL-Redakteur Kerry Hau.

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Carlo Ancelotti Florentino Pérez
Florentino Pérez holte Carlo Ancelotti 2013 als Nachfolger von José Mourinho nach Madrid

Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass Álvaro Morata Real Madrid mit seinem Tor an seiner alten Wirkungsstätte aus dem Halbfinale der Königsklasse warf. Im Endspiel von Berlin hätte mit dem FC Barcelona eine Mannschaft gewartet, die in ihrer momentanen Verfassung kaum aufzuhalten ist. Eine Clásico-Pleite in einem europäischen Finale? Nein, danke! Bei dem Erzrivalen aus Katalonien handelt es sich nicht nur um das beste Team Europas, sondern auch um das fitteste.

Was Luis Enrique in den vergangenen Monaten richtig machte, machte Carlo Ancelotti vollkommen falsch. Der Italiener verzichtete auf Rotationen, bot Woche für Woche die nahezu gleiche Startelf auf. Dass das nach hinten losging, sah man auch beim Rückspiel gegen die „Alte Dame“ aus Turin. Halbzeit eins hui, Halbzeit zwei pfui. Die Erkenntnis: Die Mannschaft ist ausgelaugt und überspielt. Sobald der Körper versagt, versagt auch der Kopf. Selbst Mittelfeldregisseur Luka Modric, der bis zu einem möglichen Finale von seiner Knieverletzung zurückgekehrt wäre, hätte nicht die physischen Probleme des Starensembles kaschieren können. Einige Real-Spieler brauchen dringend Urlaub. Ebenso wie Ancelotti.

Dass der 55-jährige Coach anschließend wieder an die Concha Espina zurückkehrt, ist unwahrscheinlich. Meine Erfahrung sagt mir, dass die gestrige Partie seine letzte auf der Trainerbank im Bernabéu war. In der jüngeren Vergangenheit durfte bei Real kein Trainer nach einer titellosen Spielzeit bleiben. Egal, was und wie viel er einst gewann. Ich erinnere mich an die Saison 2002/03 zurück, als Vicente del Bosque gehen musste, nachdem er zuvor im Champions-League-Halbfinale – ausgerechnet gegen Juventus Turin – gescheitert war. Damals holte Del Bosque sogar die spanische Meisterschaft, wurde aber dennoch von Präsident Florentino Pérez entlassen.

Es würde mich überraschen, falls „Carletto“ bliebe. Erst recht, nachdem Direktor Emilio Butragueño im Anschluss an das bittere Aus gegen den italienischen Rekordmeister auf ein Bekenntnis zu dem Übungsleiter verzichtete. Die Mannschaft stellte sich dagegen postwendend hinter den Mann, der den Madridismo letztes Jahr noch mit „la Décima“ beglückt hatte. Toni Kroos und Marcelo sagten, dass es sich bei ihrem Vorgesetzten um einen Top-Trainer und Gewinner handele. Ich bin der gleichen Meinung. Ancelotti ist ein Top-Trainer. Aber auch Top-Trainer machen Fehler! Fragen Sie einmal José Mourinho oder Pep Guardiola, die sich ebenfalls schon ein ums andere Mal verzockt haben. Es wäre der falsche Weg, Zinédine Zidane nach nur einem Jahr als Übungsleiter der Reserve zum Chefcoach zu befördern oder mit Jürgen Klopp einen Mann zu verpflichten, der über mindere Spanischkenntnisse verfügt. Auch Rafael Benítez oder Julen Lopetegui könnten es in meinen Augen nicht besser machen als Ancelotti, der mit seiner ruhigen Art ideal ins turbulente Haifischbecken nach Madrid passt.

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Ich sehe das Hauptproblem in der Breite des Kaders. Das Team ist qualitativ schlichtweg zu dünn besetzt, um eine Saison mit fast 60 Spielen erfolgreich zu gestalten. Die unzähligen Verletzungen und Formtiefs wurden vor der Saison nicht einkalkuliert. Spieler wie Gareth Bale ruhten sich auf ihren vergangenen Leistungen aus, weil es keinen internen Konkurrenzkampf gab. Ancelotti schenkte mit Asier Illarramendi, Jesé Rodríguez, Fábio Coentrão, Nacho Fernández und Lucas Silva fünf Feldspielern sowie mit Keylor Navas und Fernando Pacheco zwei Torhütern überhaupt kein Vertrauen. Sami Khedira war nur körperlich anwesend. Álvaro Arbeloa überschritt endgültig seinen Zenit. Und ohne die Verletzung Karim Benzemas wäre Javier „Chicharito“ Hernández nie zu den Einsätzen gekommen, die ihn kurzzeitig auf Wolke sieben schweben ließen.

Was bedeutet das für die Zukunft? Real braucht frischen Wind, allerdings keinen monumentalen Umbruch! Mit dem Brasilianer Danilo ist bereits die Verpflichtung eines robusten Rechtsverteidigers unter Dach und Fach. Die verliehenen Carlos Casemiro (defensives Mittelfeld) und Denis Cheryshev (offensives Mittelfeld) kehren aus Porto respektive Villarreal zurück und machen zumindest die Vorbereitung mit. Die eine oder andere weitere Verstärkung, die insbesondere das mager besetzte Mittelfeld und den konkurrenzlosen Angriff bereichert, wäre ausreichend, um einen Neuanlauf zu starten. Vorausgesetzt, Ancelotti lernt aus seinem größten Fehler und rotiert nicht erst, wenn es zu spät ist. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob der Trainer überhaupt noch einmal die Gelegenheit erhält, es besser zu machen als diese Saison…

Saison verkorkst! Wie soll es nun mit Ancelotti weitergehen?

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