
Kann man das schon als Nachtreten bezeichnen? Eher nicht, sondern vielmehr als nachträglich für eher Verwirrung als Klarheit zu sorgen. Es ist gut, nun doch noch eine Reaktion beziehungsweise einen “Abschied” von Zinédine Zidane zu haben. Aber irgendwie bin ich irritiert nach seinem Brief in der AS und ich weiß nicht, ob er sich damit einen Gefallen getan hat.
Ob man nun die letzten ein, zwei oder vier Jahre nimmt: Bei Real Madrid sind viele Fehler passiert – Trainer, Verantwortliche, aber auch Spieler sind in diesem komplexen Prozess des Scheiterns mal mehr, mal weniger Schuld. Es gibt nicht den einen Grund, warum die Blancos 2020/21 erstmals seit elf Jahren ohne Titel blieben, es war „nur“ die Folge einer langen, bunten Fehlerkette mit Auf und Abs.
Anhand vier Auszüge aus dem Brief möchte ich meine Gedanken zu Zidane teilen.
1. Auszug: Vertrauen und Umbruch
Ich gehe, weil der Klub mir nicht mehr das Vertrauen gibt, das ich benötige. Er bietet mir nicht die Unterstützung, um mittel- oder langfristig etwas aufzubauen.
Wie das „perfekte Vertrauen“ aussieht, darüber lässt sich streiten. Hätte es nun eine Abschiedspressekonferenz geben müssen oder nicht – ich las aus Zidanes Brief nicht, dass er eine Art Abschied vermisst hat. Eher würde ich sagen: Wenn jemandem vertraut wurde, dann ihm. Jeder andere wäre im November entlassen worden, aber nur ein Zidane konnte da noch auf einen großen Kredit zurückgreifen und auch nur ein Zidane konnte die Saison noch positiv zu Ende bringen.
Um nun wieder oder weiter etwas aufzubauen, auch das ist nicht ganz klar. Erstens hatte er schon die größtmöglich Unterstützung in Form des Rekord-Transfersommers 2019, zweitens sind aktuell die Mittel Pandemie-bedingt begrenzt, drittens steht und fällt alles, ob und wann Wunschspieler Kylian Mbappé wechseln will. Er hatte die Chance etwas aufzubauen, hat seine Wunschwerkzeuge, Beispiel Jović, aber nicht einsetzen können und den Aufbau eher selbst gebremst, indem er Spielern wie Ødegaard und Hakimi das Vertrauen nicht geben konnte – er ist bei den vielen Abgängen alles andere unschuldig.
2. Auszug: Das Vergessen
Es wurde alles vergessen, was ich in der täglichen Arbeit aufgebaut habe, was ich in der Beziehung zu den Spielern geleistet habe, zu den 55 Mitarbeitern rund um die Mannschaft.
Das klingt erstmal sehr pauschal und ist schon daher sehr Zidane-untypisch. Ich fand einerseits, dass er durchaus das Vertrauen im Klub genoss, und würde auch jetzt sagen: Dass ihm aufgrund der vergangenen Erfolge und auch der schwierigen Aufgabe und dem Risiko, denen er sich bei seiner Rückkehr 2019 stellte, ihm jetzt mehr Dankbarkeit und Respekt entgegen kommt als Kritik oder das pauschale Urteil, er sei komplett gescheitert. Er hat die Mannschaft nicht wirklich weiter gebracht, ja, aber sie trotzdem weiter über Wasser gehalten. Von „alles vergessen“ zu reden, erscheint mir da nicht ganz passend.
3. Auszug: Beziehung zu Pérez
Mir hätte es gefallen, wenn meine Beziehung zum Klub und Präsidenten in den letzten Monaten eine etwas andere gewesen wäre als bei anderen Trainern.
Auch das ist für die Verhältnisse eines sonst so behutsamen, gelassenen Zidanes fast schon eine Watsch’n. Dabei hätte ich eher behauptet: Wenn der Franzose nicht zurückgetreten wäre, hätte Pérez seinen Liebling im Amt behalten, Zidane niemals gekündigt. Nun von einer nicht optimalen Beziehung zu reden, ist daher für mich eher auf ein Thema zurückzuführen: Pérez‘ Super-League-Pläne, die auch Zidane vor den Kopf gestoßen sein dürften. Ich erinnere mich noch, als in Real Madrids Pressemitteilung nach der Lopetegui-Kündigung stand, dass ein großer Unterschied bestehe zwischen den aktuellen Ergebnissen und einem Kader, in dem zig Weltfußballer-Kandidaten stehen. Das ist kein schöner Abschied, das ist im Nachhinein keine gute Beziehung, aber Zidane ist in meinen Augen eher mit Applaus und Dankbarkeit als mit Buh-Rufen „verabschiedet“ wurden – von Fans wie innerhalb des Klubs.
4. Auszug: Entlassungsgerüchte
Deshalb tat es mir sehr weh, als ich nach einer Niederlage in der Presse las, dass man mich entlassen würde, wenn ich das nächste Spiel nicht gewinne.
Was in der Presse steht, interessiert Zidane? Was in der Presse steht, hat plötzlich Relevanz? Die Presse, die Pérez seit Jahren ausgeschlossen hat und die in dieser Saison kaum eine Verletzung oder Corona-Ausfall vor der Bekanntgabe des Vereins berichtet hat? Fakt ist: Zidane wurde nicht entlassen. Nach meinen Informationen hat sein Stuhl intern nicht mal ansatzweise gewackelt. Dass er das nun dem Klub irgendwie anhaftet, verstehe ich nicht. Jeder andere Kopf wäre nach der erneuten Niederlage gegen Shakhtar (bedeutend mit Platz drei in der Gruppe) oder dem 1:2 gegen Alavés (Platz vier in der Liga, sieben Punkte Rückstand) oder dem 1:2 gegen Levante (Platz drei in der Liga, zehn Punkte Rückstand bei einem Spiel mehr) vor die Tür gesetzt worden.
Ich weiß nicht, wieso Zidane dem Klub so viel vorwirft. Wie gesagt: Fehler sind auf beiden Seiten passiert. Auch bei ihm: Dass Brahim, Ødegaard, Hakimi und Co. andernorts triumphieren, dass auch Mendy und Valverde in dieser Saison nicht unbedingt nächste Schritte getan haben, dass die Mannschaft immernoch sehr abhängig ist von Alten wie Benzema und Modrić. Dank Zidane ist es am Ende doch eine eher positive Saison geworden und ich muss auch lobend erwähnen, dass es nicht wie damals beim Mourinho-Aus ist: Damals waren Klub, Kabine und Fans zwiegespalten in zwei Lager, da herrscht aktuell eher weiter Harmonie, der gemeinsame Blick nach vorn. Und eher das Gefühl der Dankbarkeit und des Respekts, dass Zidane sein Amt räumt (und mal eben auch auf Gehalt verzichtet) und wieder die Zeichen der Zeit erkannt hat. Etwas mehr Selbstreflexion hätte ich mir gewünscht. Wobei etwas mehr Klarheit (hinsichtlich Super League) hätte wohl für noch mehr Aufregung gesorgt. Zidane muss keinem etwas beweisen, sich eigentlich nicht rechtfertigen, auch ruft dieser Brief in mir eher Irritationen auf. Und einen großen Beigeschmack: Er kritisiert die Presse und damit auch jene, die sich im Herbst eben jene „Zidane vor Rauswurf“-Meldungen “ausdachten”, geht aber selbst dahin. Und nicht nur irgendwohin: Im Gegensatz zur MARCA ist die AS bei Pérez komplett unten durch. Das könnte als Verrat angesehen werden und eine zukünftige dritte Amtszeit – zumindest unter Pérez – schwierig machen. Mich erinnert es zudem an die Serie „Breaking Bad“, als Hector Salamanca zur Polizei ging. Das macht man nicht, wird sich zumindest Pérez denken. Ob es ihn nun auch aus dem Stuhl reißt?
Es heißt immer – und da stimme ich zu: Keiner steht über dem Klub. Für manche Legenden wie Zidane, Raúl oder Gento mag diese “Regel” etwas lockerer ausgelegt sein, aber ich bezweifle, ob er sich durch diesen Brief einen Gefallen getan hat.
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