
Chance bei der Klub-WM genutzt
Seine erste Saison war von Verletzungen geprägt, doch in den letzten Wochen 2023/24 deutete Arda Güler in seinen ersten Einsätzen bereits sein Talent und seine Qualitäten an. Doch statt des berühmten nächsten Schritts folgte nicht nur für den Klub, sondern auch für den Türken eine alles in allem enttäuschende Spielzeit. Vor allem in der Hinrunde 2024/25 sah der Linksfuß unter Carlo Ancelotti kaum Land, wurde nur sporadisch eingesetzt – vornehmlich als rechter Flügelstürmer. Zwar wurden zum Schluss sowohl die Einsätze mehr als auch die Zahlen besser, doch wirklich zufriedenstellend war Gülers zweite Saison nicht. Mit dem Wechsel von Ancelotti zu Xabi Alonso auf der Bank der Königlichen bot sich für den 20-Jährigen eine neue Chance – und diese nutzte Arda gleich bei der FIFA Klub-Weltmeisterschaft in den USA direkt im Anschluss an die Saison. Alonso setzte ihn ausschließlich und konsequent im offensiven Mittelfeld ein, und der ehemalige Feherbahce-Spieler packte die Gelegenheit beim Schopf. Beim Turnier in Nordamerika wurde Güler in allen sechs Spielen eingesetzt, gehörte nicht nur wegen eines Treffers und zwei Torvorlagen zu den besten Madrilenen. Sowohl als Achter neben Jude Bellingham als auch etwas zurückgezogener funktionierte er von Spiel zu Spiel besser und spielte sich in der Startformation fest. Bei der anschließenden Mini-Saisonvorbereitung setzte sich nur der Eindruck fort, dass Real Madrids neuer Trainer konsequent auf Güler setzt und baut.
Einer der wenigen Unantastbaren?
Das Vertrauen des Trainers tut Arda spürbar gut, der nicht nur körperlich, sondern vor allem auch mental ganz anders wirkt und mit einem ganz anderen Selbstvertrauen auftritt, als es noch unter Ancelotti der Fall war. Seit die neue Saison angefangen hat, haben die Blancos zehn Pflichtspiele absolviert, und in jeder Partie wurde der Türke eingesetzt – nur einmal kam er von der Bank (im Heimspiel gegen Espanyol), womit er neben Kylian Mbappé, Aurelién Tchouaméni und Vinícius Júnior zu den wenigen Feldspielern gehört, die bisher immer zum Einsatz kamen. Doch nicht nur das unterstreicht Gülers Bedeutung in Xabi Alonsos System(en), denn der Techniker nimmt mittlerweile eine Schlüsselrolle im offensiven Mittelfeld der Königlichen ein. Sowohl im Spielaufbau als auch im letzten Drittel des Spielfeldes hat sich das im türkischen Altindag geborene Ausnahmetalent als der entscheidende Verbindungsspieler zwischen Defensive und Offensive etabliert. Unter Alonso gibt es und wird es auch in Zukunft bei Real keine klare Startelf geben, denn der Leverkusener Meistercoach setzt – wie schon in der erfolgreichen Zeit bei Bayer 04 – konsequent auf Rotation und Konkurrenzkampf. Und doch gibt es auch für Xabi einige wenige Akteure, die zwar nicht jedes Spiel absolvieren werden, und dennoch als quasi gesetzt gelten: Neben Mbappé, Tchouaméni, Dean Huijsen und Álvaro Carreras gehört auch Güler zum Kreis der Auserwählten, zumindest bisher. Das gilt auch ausdrücklich nach der Rückkehr von Jude Bellingham nach dessen Schulter-Operation. Nicht nur aufgrund der längeren Pause muss der Brite seinen Platz und seine Position in der Offensive suchen und noch finden, denn in der zentralen Rolle im Achter-/Zehner-Raum ist Arda Güler momentan unangefochten.
Blindes Verständnis mit Mbappé
Mit drei eigenen Treffern und vier Torvorlagen gehört der Linksfuß zu den bisher effektivsten Madrilenen (dazu kommt sein widersprüchlich aberkanntes Tor gegen Mallorca), nur Mbappé und Vinícius haben mehr direkte Torbeteiligungen. Wenn es um die entscheidenden Impulse nach vorne geht, kann Güler allerdings in der ganzen Primera División niemand das Wasser reichen, denn mit durchschnittlich 2,8 Key-Pässen pro Spiel führt er diese Kategorie ligaweit an. Zweiter ist übrigens Mbappé mit 2,6! Apropos: Besonders auffällig ist, wie gut seit Saisonbeginn die Offensivachse Güler-Mbappé funktioniert – alle vier Torvorlagen des Mittelfeldmannes verwertete derselbe Stürmer: Kylian Mbappé. Niemand kennt die Laufwege des Franzosen besser und niemand versteht es besser, den Superstar im entscheidenden Moment einzusetzen als Güler. Nicht wenige Beobachter erinnert diese Verbindung an ein anderes Offensiv-Duo der Königlichen aus der Vergangenheit – tatsächlich bestehen durchaus Parallelen zu Mesut Özil und Cristiano Ronaldo, von dessen fast blindem Verständnis Real Madrid zwischen 2010 und 2013 enorm profitierte. Doch Arda Güler ist in Xabi Alonsos Team viel mehr als der reine Mbappé-Fütterer, er lässt sich immer wieder auch zurückfallen, um als Anspielstation in der frühen Phase des Spielaufbaus diesen anzukurbeln, sei es mit kurzen Pässen oder langen Bällen auf Vinícius, Mbappé oder auch Franco Mastantuono auf der rechten Seite. Dabei profitieren die Mitspieler nicht nur von Gülers Kreativität, sondern auch von seiner großen Ballsicherheit und Passgenauigkeit (Passquote 92 Prozent), wobei er vor allem in der eigenen Hälfte (Passquote 97 Prozent) kaum Fehler macht. Fast noch entscheidender: Der Kreativkopf ist mental gereift, wirkt von Spiel zu Spiel selbstbewusster und bereiter, Verantwortung zu übernehmen.
Es fehlt noch an Robustheit
Obwohl Arda in den letzten beiden Jahren seit seiner Ankunft in der spanischen Hauptstadt enorm körperlich zugelegt hat und längst nicht mehr der schmächtige Junge von damals ist, ist die physische Komponente jedoch immer noch seine größte Schwäche. Zu oft resultieren noch Direktduelle gegen physisch und mannorientiert agierende Teams in gefährlichen Ballverlusten und Umschaltsituationen für Gegner, wie beispielsweise im Stadtderby bei Atlético Madrid (2:5) immer wieder zu beobachten war. Dies bedeutet nicht zwingend, dass er noch mehr an Körpermasse zulegen muss, denn dadurch würde er irgendwann wahrscheinlich viel von seiner Leichtfüßigkeit einbüßen – vielmehr geht es darum, robuster und stabiler in Zweikämpfen zu werden, sich nicht abkochen zu lassen. Angesichts der Fortschritte, die er in den letzten Jahren und Monaten diesbezüglich schon gemacht hat, besteht allerdings auch kein akuter Anlass zur Sorge, dass diese Schwäche im Laufe der Zeit nicht auch noch getilgt werden wird. Zumal sein Trainer ihn mit Sicherheit nicht verheizen wird – Güler wird während der kommenden englischen Wochen seine Pausen bekommen, was für alle anderen Blancos (größtenteils) auch gilt. Und dennoch ist nach zehn Pflichtspielen klar: Arda Güler ist der neue Offensiv-Boss bei Real Madrid. Ein anderer, als es ein Luka Modrić mehr als ein Jahrzehnt gewesen ist, so wie auch Reals Mittelfeld ein anderes ist und zukünftig sein wird, als man es aus der Ära Kroos-Modrić kannte. Güler kann und wird nicht zum zweiten Modrić werden, so wie es auch keinen zweiten Toni Kroos geben wird, und jeder Vergleich mit den beiden Jahrhundertfiguren hinkt und ist ungerecht, nicht nur im Fall von Arda. Spätestens mit dem Abschied des legendären Kroaten und der Ankunft Alonsos wurde der Beginn einer neuen, anderen Ära beim spanischen Rekordmeister eingeläutet. Und Güler soll nicht nur einer der Köpfe dieser neuen Epoche werden – er ist es bereits. Er ist nicht mehr das Versprechen für die Zukunft, als welches er 2023 verpflichtet wurde, sondern die Gegenwart, denn die Zukunft hat längst begonnen. In den nächsten Monaten und Jahren wird man ein anderes Real Madrid erleben, als man es aus der letzten, so unbeschreiblich erfolgreichen Dekade und auch noch länger kannte. Was aber nicht bedeuten muss, dass dieses neue Real weniger erfolgreich sein wird – mit Arda Güler im Zentrum des Geschehens.
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