
Die Mär vom gescheiterten Jungprofi
MADRID/HEERENVEEN. Groß war sie, die Aufregung in Fußball-Europa im Januar 2015, schließlich hatte Real Madrid mal wieder einen vielbeachteten Transfer unter Dach und Fach gebracht. Doch handelte es sich diesmal um keinen millionenschweren Galáctico, sondern um ein gerade einmal 16 Jahre altes Nachwuchsjuwel aus Norwegen: Martin Ødegaard, Jahrgang 1998 und zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied des Profiteams beim norwegischen Erstligisten Strømsgodset IF. Ajax Amsterdam, der FC Liverpool, Bayern München, ja nahezu alle Top-Klubs in Europa jagten den „skandinavischen Messi“, den Zuschlag erhielten letztlich allerdings die Königlichen, für die stolze Ablösesumme von 3,5 Millionen Euro.
Dementsprechend groß waren die Erwartungen an den dribbelstarken Linksfuß, in dem viele bereits den legitimen Nachfolger von Cristiano Ronaldo sehen wollten. In all dem Hype um seine Person ging allerdings unter, dass die Blancos von Anfang an einen klaren, langfristigen Plan mit dem Jungstar verfolgten: Ihn über die Castilla behutsam an den Profifußball auf der iberischen Halbinsel heranzuführen und nach und nach für die Profis aufzubauen. Dass dies auch bei einem Spieler mit seinen Voraussetzungen Geduld benötigen und sogar Rückschläge beinhalten würde, war den Verantwortlichen an der Concha Espina durchaus bewusst. Von der internationalen Presse kann man dies allerdings nicht behaupten.
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Insbesondere deutsche Medien verpassten dem offensiven Mittelfeldmann schnell den Stempel des gescheiterten Jungprofi, der zu schnell zu viel wollte – auch finanziell. Vater Hans Erik, der gleichzeitig als sein Berater fungiert, wurde ebenso oftmals als raffgierig dargestellt. Doch warum eigentlich? Martin, der vor wenigen Tagen seinen 19. Geburtstag feierte, hat mittlerweile endgültig im Profifußball Fuß gefasst, ist bei seiner aktuellen Leihstation in Heerenveen unumstrittener Stammspieler, verlängerte vor Kurzem seinen Vertrag in Madrid sogar bis 2021. Sieht so ein gescheiterter Jungprofi aus? Wohl kaum. Vielmehr ist der Norweger auf bestem Wege, sich für höhere und eine mittelfristige Zukunft in der spanischen Hauptstadt zu empfehlen.
Anlaufschwierigkeiten in Madrid, Entwicklungssprung Heerenveen
Unbestritten ist allerdings, dass die Anfangszeit in Madrid für Ødegaard beileibe keine einfache war. Der feine Techniker hatte mit der körperbetonten Spielweise in Spaniens dritter Liga zu kämpfen und fand sich taktisch in der Castilla, wo er zumeist an den rechten Flügel gebunden war, nur schwer zurecht, konnte so seine Stärken nur bedingt ausspielen, auch die Beziehung zu Zinédine Zidane soll zum damaligen Zeitpunkt nicht ganz einfach gewesen sein. Dass der damals 16-Jährige in seinem neuen Umfeld mit Anpassungsschwierigkeiten zu kämpfen hatte, ist für einen Jungen in seinem Alter eigentlich ja auch nichts Ungewöhnliches, trotzdem rief seine angebliche Stagnation zahlreiche Kritiker auf dem Plan. Für das größte Aufsehen sorgte dabei wohl der niederländische Fitness-Guru Raymond Verheijen, der unterstellte, der Jungstar befände sich aufgrund seiner extrem frühen Förderung im permanenten Übertraining, was einen vorzeitigen Leistungsabfall zur Folge hätte.
Doch im Großen und Ganzen verlief Ødegaards Entwicklung zufriedenstellend. Dieser brachte es in knapp zwei Jahren bei der Castilla auf 62 Einsätze, erzielte fünf Tore und bereitete acht Treffer vor, wusste aber – wenn auch etwas unkonstant – vor allem spielerisch zu überzeugen. Auch das Debüt für die erste Mannschaft stand auf der Agenda. Um jedoch endgültig im Herrenbereich Fuß zu fassen, sollte das norwegische Wunderkind bei einer Leihstation ordentlich Spielpraxis sammeln. Die Wahl fiel schließlich auf den SC Heerenveen, wo der offensive Mittelfeldspieler seit Januar 2017 nun unter Vertrag steht – und dort für ordentlich Furore sorgt. Seit Beginn der aktuellen Spielzeit ist der Skandinavier unumstrittener Stammspieler und hat den erhofften Entwicklungssprung vollzogen, besitzt mittlerweile eine echte Perspektive für Real Madrids erste Mannschaft. Wirft man einen Blick auf die besonderen Fähigkeiten Ødegaards, ist dies jedoch auch wenig verwunderlich.
Starker Dribbler mit bemerkenswerter Spielvision
Wer den norwegischen Nachwuchsmann spielen sieht, dem sticht natürlich dessen unglaublich gute Technik und Dribbelstärke ins Auge. Genauer gesagt, besitzt die Real-Leihgabe eine herausragende Vororientierung sowie einen feinen ersten Kontakt, wodurch er sich bereits bei der Ballannahme auch aus extrem engen Aktionen zu lösen vermag. Zudem verfügt Ødegaard über eine hohe Dynamik und weiß sich stets extrem intelligent zu positionieren, strahlt so eine stete Torgefahr aus und ist außerdem in der Lage, das Spiel unverzüglich in Richtung gegnerisches Tor fortzusetzen.
Vor allem aber hat Ødegaard ein unvergleichliches Gespür für den letzten Pass, verfügt über eine bemerkenswerte Spielversion, weiß ganze Abwehrreihen durch präzise Schnittstellenpässe bloßzustellen. Besonders auffällig ist dabei, dass der Norweger den Pass oftmals bis zum letzten Moment – oftmals scheint der Abspielmoment sogar schon verpasst – hinauszögert, um dann mithilfe seiner technischen Fähigkeiten und seinem exzellenten Timing seine Mitspieler in Szene zu setzen und die sich ergebenden Räume zu bespielen. Dass er dabei aus einem enormen technischen Repertoire schöpfen kann, lässt ihn auch in auf den ersten Blick aussichtslosen Situationen adäquate Lösungen finden.
The most special thing about Ødegaard is his vision, can pull off a defence wreaking pass from literally anywhere on the pitch. Here’s a completion of some of his best passes this season. pic.twitter.com/ZffMNEwfG5
— A. (@KaizerT8_) 28. November 2017
Natürlich ist auch das Spiel des Nachwuchsjuwels nicht frei von Schwächen, wie für einen 19-Jährigen wenig verwunderlich, schleichen sich immer wieder technische Unsauberkeiten oder falsche Entscheidungen in der finalen Aktion mit ein. Und auch wenn Ødegaard körperlich im letzten Jahr nochmals einen erheblichen Sprung gemacht hat, sind seine Athletik und Robustheit in den direkten Duellen noch ausbaufähig.
Verbindungsspieler aus dem Halbraum
Verläuft die Entwicklung des Teenagers aus Drammen jedoch weiterhin so gut, könnte er mittelfristig eine gewichtige Rolle im Real Madrid der Zukunft einnehmen. Und zwar auf einer Position, die es aktuell so im Spiel der Königlichen nicht unbedingt gibt. Denn auch wenn Ødegaard nominell oft als Rechtsaußen aufgestellt wird, hält er sich während des Spiels überwiegend im rechten Halbraum auf. Genau genommen agiert der Norweger als Bindeglied zwischen Mittelfeld und Sturm, initiiert aus dem Halbfeld mit seinen Dribblings das Angriffsspiel seiner Mannschaft, um Überzahlsituationen zu kreieren und anschließend mit dem vorletzten oder letzten Pass die Abschlussaktionen einzuleiten. Im Hinblick auf den Bewegungsablauf erinnert der Norweger tatsächlich ein wenig an Lionel Messi, wenngleich ihm die zusätzliche Torgefahr des Argentiniers noch deutlich abgeht.
Dass Ødegaard auf Kurz oder Lang seine Chance in Madrid bekommen wird, steht zum jetzigen Zeitpunkt außer Frage. Ob er bereits nächstes Jahr, vielleicht erst in drei Jahren oder vielleicht gar nicht seinen Durchbruch in Madrid schafft, ist aktuell natürlich nicht seriös zu beantworten. Fest steht: Die Voraussetzungen dafür bringt der junge Norweger auf jeden Fall mit. Er könnte irgendwann sogar eine gewichtige Rolle im königlichen Star-Ensemble einnehmen. Man darf aber nicht vergessen, dass Ødegaard immer noch erst 19 Jahre alt ist und dass es auch noch ein paar Jahre dauern könnte, bis er sich möglicherweise als fester Bestandteil der ersten Mannschaft etabliert. Und dass auch die Möglichkeit besteht, dass es am Ende nicht ganz für Real Madrid reichen könnte, sondern „nur“ für einen etablierten Erstligaverein. Aber auch dies wäre alles andere als ein Scheitern.
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