
„Madrid wird immer seinen Mitgliedern gehören“
Real Madrid war schon immer im Wandel. Immer angepasst an neue Entwicklungen, und so auch aktiv bei der Gründung der FIFA oder des Europapokals dabei gewesen, natürlich auch eines der LaLiga-Gründungsmitglieder, zukunftsweisend schon in den 40er-Jahren, als mit dem Estadio Santiago Bernabéu ein für damalige Verhältnisse eigentlich viel zu großes Stadion gebaut wurde, genauso jetzt in der Neuzeit, wo das Bernabéu als 360 Tage im Jahr auslastbare Multifunktionsarena für Umsatzrekorde sorgt – Real hat auch dadurch als erstes die eine-Milliarde-Marke durchbrochen. Florentino Pérez und Co. gehen nicht nur mit der Zeit, sie geben sie teilweise auch vor, auch wenn lange nicht alles klappt, was der 78-Jährige versucht, darunter natürlich das Super-League-Fiasko. Und trotzdem gab es bei all dem Wandel, den vielen Veränderungen und Erfolgen immer eine Konstante, eine unverrückbare Regel: dass Real Madrid immer seinen Mitgliedern gehört.
Mitglieder, das sind die Socios. Im Gegensatz zu den weltweit rund 600 Millionen Fans ist die Zahl der Socios seit Jahren begrenzt, so teilte der Klub im November 2024 die Zahl 95.612 mit – mal sterben einige, die wenigsten kündigen, Nachrücker kommen dann nur durch Familien bisheriger Socios, oder durch Spieler. Den Socios gehört der Verein, so wie es auch beim FC Barcelona, Athletic Club und CA Osasuna der Fall ist, alle anderen spanischen Erstligisten mussten in den 90er-Jahren als Sport-Aktiengesellschaft SAD umgewandelt werden. Richtige Demokratie also bei Real Madrid? Nur bedingt, denn einerseits wird Mitgliedern immer weniger Mitspracherecht eingeräumt, sie so teilweise auch beim Stadion-Umbau übergangen, andererseits ist Pérez selbst seit Jahren unabwählbar. So gewann der Spanier im Januar 2025 wie auch schon 2021 und 2017 ohne Gegenkandidaten – konkurrenzlos. Und das einerseits, weil es kaum jemand mit den 65 Titeln – 37 davon mit den Fußballern – des Florentino Pérez aufnehmen kann, andererseits aber auch, weil die Hürden, sich aufstellen zu lassen Stück für Stück erhöht wurden (20 Jahre Mitgliedschaft, dazu angeblich zehn bis 15 Prozent Eigenkapital von Real Madrids Jahresumsatzes), aber eben auch weil das Wahlsystem immer mehr ausgehöhlt wurde – Pérez-Freunde im Vorstand, Oppositionelle verdrängt. Und all diese vielen, kleinen Schritte eines immer im Wandel stehenden Klubs könnten jetzt zu dem führen, was manche Socios, speziell aus der Pérez-Opposition, schon lange fürchten: dass Real Madrid bald nicht mehr primär ein mitgliedergeführter Verein ist.
Schritt für Schritt Richtung Diktatur?
Was schon lange im Madridismo rumort, hat am Donnerstag auch The Athletic berichtet, dass es nicht nur derartige Gedankenspiele gibt, sondern den Plan, bei der kommenden jährlichen Mitgliederversammlung (Ende November) diesen Vorschlag zu unterbringen. Wie genau eine Umwandlung oder auch nur „Anpassung“ des Klubs aussehen würde, ist aktuell noch völlig offen – ob es primär ein Verein bleibt und nur teilweise Investoren dazu kommen (so wie am Beispiel 50+1 der Bundesliga, wo externe Firmen nur maximal 49 Prozent der Anteile erlangen können), oder ob es wirklich eine komplette SAD wird. Auch eine Trennung des wirtschaftlichen Teils von der Fußballabteilung sei denkbar.
Dabei hieß es in der Vergangenheit regelmäßig selbst von Pérez: „Madrid wird immer seinen Mitgliedern gehören.“ Aber auch das ist für viele Socios schon lange eine Lüge. So wurden auch die Bedingungen, um ein Socio Compromisario, einer der 2.000 wahlberechtigten Wahlmänner, zu werden, nach und nach erschwert, speziell für unabhängige und kritische Fans, die – so heißt es – unter dem Baulöwen nicht gern gesehen sind. Ein Beispiel aus diesem teils dubios anmutenden und öffentlich kaum bekannten Prozess: Um sich als Socio Compromisario zur Wahl aufstellen zu lassen, braucht es zwar nur Unterschriften von drei anderen Socios, aber um schlussendlich bei der Wahl gewählt zu werden, braucht es (mindestens) 30 andere Socios. Der „Trick“ des Klubs: Diese 30 Socios müssen die gleichen Anfangsziffern einer fünfstelligen Nummer („Millar“) haben – nicht die Mitgliedsnummer, sondern eine fortlaufende Liste aller Socios, die sich regelmäßig ändert (unter anderem durch Verstorbene und aufgrund nicht-wahlberechtigter Minderjähriger). Warum? Das ist nicht ganz klar. Einerseits, um pro tausender eine Wahlgruppe zu bilden, aber möglicherweise auch, um den Prozess zu erschweren. Denn eine einsehbare Liste mit allen Mitgliedern und diesen fortlaufenden Nummern gibt es scheinbar nicht (unter anderem aus Datenschutzgründen), weswegen es für interessierte, bemühte Socios umso schwieriger ist, Unterstützer für sich zu finden und dann aufgestellt zu werden. Simmenfang wird so zum Fischen im Trüben an Spieltagen vorm Bernabéu, um Socios mit den passenden Nummern zu finden. Die Nadel im Heuhaufen. Und: Sollte die maximale Anzahl an Socio Compromisarios dann überschritten sein, kommt es zu einem weiteren Prozess des Klubs, um auf die Maximalzahl zu kommen. Auch hier der Verdacht: unerwünschte Socios könnten auch hier durch einen mehr oder weniger intransparenten Prozess ausgesiebt werden. So hört man immer öfter, Pérez würde den Klub führen wie ein Diktator, auch Rufe und Sticker mit „Florentino Dimisión“ (Florentino Rücktritt) sind seit Jahren vernehmbar – wenn auch nicht in der Breite und Masse.
Die Angst mancher Socios ist klar: Pérez will ihnen nach ihrem Platz im Bernabéu (unter anderem aufgrund Umstellungen und der erhöhten Preise) nun endgültig den Verein wegnehmen. Ob das auch in der Praxis möglich ist und in welcher Form, wird sich zeigen, und wird auch rechtlich geklärt werden müssen. Real Madrid wird sich so oder so weiter im Wandel befinden, jetzt aber möglicherweise auch in Form der größten, institutionellen Veränderung seiner 123-jährigen Historie. Möglich ist das durchaus, REAL TOTAL titelte auch deswegen schon, dass die letzten Präsidentschaftswahlen die womöglich letzte „Wahl“ im Klub sein könnte.
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