
„Ist Ramos der beste Verteidiger aller Zeiten?“
MADRID. Lange erst Innenverteidiger, dann plötzlich zweiter Angreifer: Als Real Madrid in der vergangenen Woche in der Champions League 0:2 bei Borussia Mönchengladbach zurückgelegen hatte, war Sergio Ramos zur Schlussphase in eine völlig andere Rolle auf dem Feld geschlüpft. Sonderlich gewundert hatte das aber wohl kaum jemanden, schließlich hat sich das Torjäger-Potential des Kapitäns der Königlichen doch längst herumgesprochen. Stolze 99 Treffer im Real-Trikot zählte Ramos an jenem Abend auf deutschem Boden auf der Haben-Seite – jetzt, sieben Tage später, hat er die dreistellige Marke geknackt.
Der Kopfballtreffer zum zwischenzeitlichen 2:0 im Krisen-Duell mit Inter Mailand in der 33. Minute war sein 100. Tor in Diensten des weißen Balletts. Sein erstes war ihm am 6. Dezember 2005 gegen Olympiakos Piräus, also ebenso in der Königsklasse, gelungen. 55 Mal netzte der inzwischen 34 Jahre alte Spanier mit dem Schädel ein, 37 Mal mit dem starken rechten, siebenmal mit dem schwächeren linken Fuß und einmal per Brust. Darunter befinden sich zwei verwandelte Freistöße und 21 versenkte Elfmeter.
„Ist er der beste Verteidiger aller Zeiten?“, adelt die britische Rundfunkanstalt BBC den „Bicho“. Mit dieser Thematik beschäftigte sich übrigens bereits nach dem 3:1 im Clásico gegen den FC Barcelona das französische Magazin FRANCE FOOTBALL, das den prestigeträchtigen Ballon d‘Or vergibt. Weil er einfach so stark war. Weil seine Leader-Qualitäten einfach so unvergleichlich sind. Im Camp Nou kam wohl kam wohl besser denn je zum Vorschein, welch einen Einfluss Ramos auf das Team hat.
Endlose Kommandos: Der Clásico zeigt, wie wichtig Ramos ist
Da wegen der Coronavirus-Pandemie keine Zuschauer in die Stadien dürfen, war zu hören, wie er nahezu jeden Pass kommandierte und pausenlos Anweisungen gab. Wenige Tage zuvor, bei der 2:3-Pleite gegen Shakhtar Donetsk, war das nicht großartig anders – obwohl er angeschlagen gar nicht mitwirkte und die Partie von der Tribüne aus verfolgte. „Allein diese Frage macht mich stolz“, reagierte Ramos via Twitter erfreut auf die von FRANCE FOOTBALL angestoßene Debatte um den besten Defensiv-Spezialisten der Geschichte.
¡El capitán, @SergioRamos, alcanza la cifra de goles con la camiseta del @RealMadrid!#RealFootball | #HalaMadrid pic.twitter.com/nNzVVluj25
— Real Madrid C.F. (@realmadrid) November 3, 2020
Das Vertragsende rückt immer näher – und es tut sich nichts
Nicht weniger begeistert ihn nun die geknackte 100er-Marke. „Das ist der Wahnsinn. Das erreicht man nicht jeden Tag – erst recht nicht als Verteidiger. Persönliche Rekorde sind sekundär, aber es ist schön, dass diese Anstrengung und Aufopferung über all die Jahre anerkannt wird“, freut sich Ramos über die Errungenschaft, zu der er von Präsident Florentino Pérez nach dem 3:2 gegen Inter ein eigens kreiertes Jubiläumstrikot überreicht bekam. Zu wenig, könnte man allmählich klagend behaupten. Man wartet in der spanischen Hauptstadt, und nicht nur dort, nämlich noch immer darauf, dass Pérez dem Abwehr-Star einen unterschriftsreifen Vertrag vorlegt. Ein weiteres Argument dafür hat er jetzt geliefert.
Der aktuelle Deal läuft zum 30. Juni 2021, also mit Ablauf dieser Saison, aus. Das ist weiterhin der Stand – was angesichts der starken Auftritte durchaus überraschend daherkommt und von Mal zu Mal unverständlicher wird. „So wirkt der Vertragspoker wie ein Witz“, machte REAL TOTAL Ende Juni bereits deutlich. Ramos ist der wichtigste Akteur im Defensivverbund, er verhindert Tore und erzielt selbst welche. „Als Sergio nicht dabei war, war die Mannschaft in keiner guten Verfassung. Sein Charakter ist sehr gut für das Team. Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, aber ohne Sergio waren wir defensiv zuletzt nicht gut“, gestand Nebenmann Raphaël Varane vor der Begegnung mit Inter.
Wäre Ramos jünger, wäre der Deal längst besiegelt
So sicher wie das Amen in der Kirche dürfte sein: Wäre Ramos jünger, wäre die Tinte unter dem seit Monaten im Raum stehenden neuen Kontrakt längst getrocknet. Wie hinlänglich bekannt, gehen die Bosse um Pérez und Generaldirektor José Ángel Sánchez mit Akteuren ab deren 33. Lebensjahr in der Regel nur noch Ein-Jahres-Verträge ein – sofern seitens des Klubs überhaupt Interesse an einer Verlängerung besteht. Bei Ramos, der Ende März 2021 35 wird, ist das definitiv der Fall, allerdings möchte dieser offenbar gleich für zwei weitere Spielzeiten unterschreiben. Real dagegen soll, zumindest vorerst, nur eine Saison bieten. Aber dann wäre da auch eine Aussage von Bruder und Berater René Ramos von Mitte Juni, wonach Gespräche noch gar nicht stattgefunden hätten. Dass das zu jenem Zeitpunkt so stimmte, darf wegen der großen Bedeutung der Nummer 4, dem immer näher rückenden Vertragsende und der Kaderplanung des Klubs aber zumindest bezweifelt werden.
Real wäre sicherlich gut beraten, schnellstmöglich Nägel mit Köpfen zu machen – mindestens als Zeichen der absoluten Anerkennung und Wertschätzung gegenüber einem verdienten Spieler, dem mit seiner nach wie vor spektakulären Physis Stand jetzt selbst noch mit Ende 37 Einsätze im Dress der Merengues zuzutrauen sind. Auch wenn so etwas in der internen Kader-Politik – keine Profis über 35 – nicht existieren mag.
Zidane: „Habe keinen Zweifel, dass er uns erhalten bleibt“
Wenn sich beteiligte Personen bis dato öffentlich zu der offenen Angelegenheit äußerten, dann stets entspannt. Der Tenor: Man setze sich nicht unter Druck, man finde schon eine Lösung, es werde keine Probleme geben. „Er leistet Großartiges für diesen Klub und diese Mannschaft. Er ist unser Kapitän, unser Anführer. Es wäre schön, wenn er für immer bleiben würde. Ich habe keinen einzigen Zweifel daran, dass er uns erhalten bleibt“, unterstrich Trainer Zinédine Zidane am Dienstag seine Hoffnungen in der Causa Ramos. Hoffnungen, die der Madridismo mit ihm teilt.
Spätestens mit seiner erneuten Unterschrift dürften sich dann auch die wieder aufkommenden Spekulationen um eine Verpflichtung von Bayern Münchens David Alaba erledigen. „Ich würde ihn mit geschlossenen Augen nehmen“, sagte Ex-Real-Trainer Bernd Schuster nach dem Inter-Spiel bei dem Radiosender ONDA CERO. Obwohl der Österreicher, der bei dem deutschen Rekordmeister von der Linksverteidiger-Position in die Abwehrmitte gerückt ist, Mitte 2021 ablösefrei zu haben wäre, gilt ein Transfer nach Madrid als äußerst unwahrscheinlich – wegen des Gehalts von über zehn Millionen Euro netto, wegen der wirtschaftlichen Situation inmitten der Corona-Pandemie, wegen der momentan personell ohnehin gut bestückten Verteidigung. Es sei denn, Ramos verlängert nicht nur, sondern entschließt sich auch noch, künftig nur zu stürmen. So wie zuletzt in Mönchengladbach…
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