
Sie liefern oft, aber nicht immer
Ihre Worte machten jedem, der es mit Real Madrid hält, Hoffnung. „Wir wissen, was wir zu tun haben“, gab etwa Marcelo nach dem 1:1 im Hinspiel des Champions-League-Halbfinals zu verstehen. Das Rückspiel werde „ganz anders“, versicherte der Vizekapitän.
Man könne dieser Mannschaft schon vertrauen, dachte sich daher so mancher Anhänger, schließlich besteht ihr Kern nach wie vor aus den Stars, die den Henkelpokal seit 2014 stolze viermal gewonnen hatten. Sie wissen, wie es geht. Und auch schon in der laufenden Saison stellte das Ensemble von Zinédine Zidane ein ums andere Mal eindrucksvoll unter Beweis: Wenn es auf der großen Bühne zur Stelle sein muss, dann ist es das in der Regel auch.
Am Mittwoch nicht. Die Ausnahme dieser Regel hätte zu kaum einem bittereren Zeitpunkt eintreten können. Erstmals seit 2018 bot sich den Königlichen die Gelegenheit, im Endspiel um den Gewinn der Königsklasse zu kämpfen. Sie ließen sie gegen den FC Chelsea ungenutzt. 0:2 in London, die erste Pleite nach 19 ungeschlagenen Pflichtspielen in Serie, Aus im Halbfinale – und das auf eine Art und Weise, über die gesprochen werden muss.
Real Madrid ist Chelsea in allen Belangen unterlegen
Wenn die Rede davon ist, man könne in dieser Phase des Wettbewerbs verlieren, es sei keine Schande, wird dann noch der Nebensatz bemüht: Aber nicht so. Der Einsatz kann den Profis nicht abgesprochen werden, jedoch grenzte es spielerisch an einem Offenbarungseid.
Der vermeintliche Favorit hat sich in beiden Duellen mit den Londonern den Schneid abkaufen lassen: Defensiv gegen einen schnellen und spritzigen Angriff mit so manchen Problemen, sodass Madrid von Glück sprechen kann, nicht abgeschossen worden zu sein. Offensiv gegen eine perfekt eingestellte Defensive dagegen viel zu harmlos, ohne zündende Ideen und bereits im Mittelfeld ziemlich überfordert. Eine Rolle spielt dabei sicherlich auch die physische Verfassung der Profis nach den zurückliegenden Wochen, die eine Menge Energie raubten. Schon nach dem Aufeinandertreffen mit Chelsea im Estadio Alfredo Di Stéfano hatte REAL TOTAL mit Zweifeln an einem erfreulichen Ausgang der Saison getitelt: Geht Real zur Unzeit die Puste aus? Allen voran in der zweiten Halbzeit an der Stamford Bridge ging von Karim Benzema und Co. überhaupt keine Gefahr aus.
Zidane vercoacht sich
Dafür auch verantwortlich: Zidane. Anders als dem nun auch nach der sechsten Begegnung gegen Real ungeschlagenen Thomas Tuchel gelang es ihm schlicht nicht, sein Team taktisch optimal auf den Kontrahenten einzustellen. Reals Spiel: Auf gut Glück.
Zidanes 3-5-2 war beide Male eine letztlich zu defensive Herangehensweise und ging nach hinten los. Hatte man am Mittwoch bei der Startelf-Veröffentlichung noch mit einem 4-3-3 gerechnet, in dem Vinícius Júnior den rechten Flügel besetzt, nahm er dann plötzlich die Rolle auf der rechten Außenbahn ein. Aufgabe: Hinten beim Verteidigen helfen und dann mit nach vorne stoßen. Wie bitte? Vinícius als halber Abwehrspieler? Eine ganz neuer Auftrag – und das in einem entscheidenden Halbfinale der Königsklasse. Abstimmungsprobleme traten so dann auch auf. Derweil bestätigte Ferland Mendy auf der linken Außenbahn einmal mehr, im Spiel nach vorne kein großer Faktor zu sein.

Hazard, der Große: Das wird es nicht mehr geben
Ganz zu schweigen von Eden Hazard, der selbst dort enttäuscht hat, wo er einst im Chelsea-Trikot so geglänzt hatte, dass Real bereit war, für ihn eine dreistellige Millionen-Summe auf den Tisch zu legen. Der 30-jährige Belgier ist durch mit seiner großen Karriere, wird bei Real immer nur ein Mitläufer bleiben – zumal jemand, dem nach einem Halbfinal-Aus im wichtigsten Wettbewerb mit seinem selbsternannten Traumverein zum herzhaften Lachen zumute ist, ja ohnehin nicht mehr die größte Ambition zu haben scheint.
Schluss mit dem Schöngerede, er brauche noch dies und jenes und werde dann schon ganz der Alte werden! Seit bald zwei Jahren tut sich nichts! Hinzu kommt, dass der Leistungsdruck für ihn immer höher und es dadurch definitiv nicht leichter wird, die Erwartungen zu erfüllen.
Als Kollektiv ist Real ihnen in dieser Königsklassen-Saison dann am Ende doch gerecht geworden, lässt man mal das Auftreten gegen Chelsea außer Acht. Wer hätte nach dem Auftakt-2:3 gegen Shakhtar Donetsk gedacht, dass das weiße Ballett bis in die Runde der letzten Vier kommt? Wer hätte es gedacht, nachdem die Mannschaft beim zweiten Vorrundenspiel gegen Borussia Mönchengladbach zur Pause 0:2 zurücklag, schließlich noch mit Ach und Krach ein 2:2 erzielte und dennoch Tabellenletzter war? Es war schon die Rede von der Europa League, ehe sich die Akteure rafften, Inter Mailand bezwangen, Atalanta Bergamo und den FC Liverpool nach Hause schickten.
Real Madrid macht einen Fortschritt, muss aber aktiv werden
Nach dem peinlichen Achtelfinal-K.o. 2019 gegen Ajax Amsterdam (2:1, 1:4) und dem Achtelfinal-K.o. 2020 gegen Manchester City (1:2, 1:2) kann die nun beendete Champions-League-Saison als ein Fortschritt betrachtet werden. Es ist nicht alles schlecht, denn es besteht ja noch die Chance auf den Gewinn der Meisterschaft.
Um mit Blick auf die nächsten Jahre aber darauf aufzubauen, sind Erneuerungen am Kader unabdingbar – in erster Linie in der Offensive, die wegen Hazard sowie der stagnierenden Entwicklungen von Vinícius, Marco Asensio und Rodrygo Goes zu oft krankt. „Benzema allein reicht nicht, er braucht endlich einen starken Partner. Er ist der Erste, der eine große Verpflichtung nötig hat“, konstatiert jetzt auch die Sportzeitung MARCA. Einen weiteren Transfer-Sommer, in dem gähnende Leere herrscht, darf sich Real nicht erlauben – Coronavirus hin oder her. Denn Stillstand bedeutet Rückschritt.
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