Analyse

Real Madrids Saisonvorbereitung: Fünf Gründe, optimistisch zu sein

Nach 13 Trainingstagen versucht REAL TOTAL-Chefredakteur Nils Kern die wenigen Trainingseindrücke zusammen zu fassen. Nicht nur hinsichtlich Martin Ødegaard spürt er vorsichtigen Optimismus.

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Im Fokus: Ancelotti, Ødegaard und Isco – Foto: realmadrid.com

Zwei Wochen Saisonvorbereitung sind um. Viel gab es natürlich nicht zu sehen: Die zwei Trainingsspiele (3:1 gegen Fuenlabrada, 1:1 gegen Rayo) fanden hinter verschlossenen Türen statt und ohnehin befinden sich nur zwölf Spieler der ersten Mannschaft unter Carlo Ancelottis Fittichen. Und auch wenn in Videos der Königlichen nur Highlights und keine Fehler zu sehen sind, bin ich vorsichtig optimistisch. Fünf Gründe, warum ich glaube, dass 2021/22 zumindest nicht schlechter verlaufen wird als die Vorsaison.

Ancelotti: Manche kennt er, manche sind neu

Schon zehn Trainer durften sich bei Real Madrid ein zweites Mal beweisen, ob der Italiener ähnlichen Erfolg haben wird wie Fabio Capello oder Zinédine Zidane? Nun sehe ich in „Carletto“ zwar nicht den großen Revoluzzer, der jeden Stein umdrehen wird, sondern eher einen, der es wie „Zizou“ auch eher auf der menschlichen, ruhigen Ebene versucht, dazu jede Menge Erfahrung mitbringt. Was ich noch besonders spannend finde: Ancelotti kennt die eine Hälfte des Kaders gut, mit diesen elf Spielern feierte er einerseits große Erfolge und weiß andererseits, wie er einem Isco zum Beispiel Vertrauen geben kann, und die anderen 16 Akteure sind neu für ihn. Neue Chancen für Rodrygo, Odriozola, Ceballos und Co., deren Karten nun neu gemischt werden – wenn sie im Training denn immer vollen Einsatz zeigen. Dass Ancelotti bei manchen weiß, was er kriegt, und von manchen nur überrascht werden kann, das macht es für mich reizvoll.

Keine Transfers, aber Jugendspieler voll involviert

Auch wenn Florentino Pérez und Co. ein Transfer-Budget von 122 Millionen Euro haben, sollten Fans nicht zu viel erwarten und es könnte bei David Alaba als einzigen Neuzugang bleiben (außer Kylian Mbappé will doch noch wechseln). Das Transferkarussell steht, hängt aber auch davon ab, ob man beispielsweise noch Raphaël Varane oder Gareth Bale für eine Wunschsumme los werden kann. Ohne „echte“ Transfers in Sicht, könnte so die Stunde von „anderen“ Transfers geschlagen haben, den Canteranos. 2020/21 wussten Anonio Blanco und Co. meist zu überzeugen, aus Madrids Not können sie eine Tugend machen. Zwar finde ich, dass Miguel Gutiérrez und Sergio Arribas noch primär in der Castilla spielen sollten, da sie erst ein Jahr dort hatten, aber Blanco und auch Víctor Chust könnten nach zwei Castilla-Saisons eher hochgezogen werden. Im Vergleich zu früheren Jahren kann es für Canteranos kaum bessere Möglichkeiten als jetzt geben, zumal sich Ancelotti schon zwei Wochen die Jungs und ihre Stärken genau ansehen konnte.

Marcelo und Isco wirken körperlich fitter

Auch hier vorab: Die wenigen Foto- und Video-Eindrücke von der bisherigen „Pretemporada“ sind nur Momentaufnahmen, können täuschen. Aber das, was ich von Marcelo und Isco bisher sah und hörte, überrascht mich. Physisch präsentieren sich beide Spieler in besserer Form, speziell Isco wirkt nicht mehr wie eine aufgedunsene Couch-Potato, sondern wieder wie ein Fußballprofi. Er lässt nicht mehr sich gehen, sondern den Ball tanzen, traf so auch gegen Rayo. Und in Ancelotti hat er den Trainer aus seiner Debüt-Saison zurück – ob nicht nur seine Frisur, sondern auch sein Spiel wieder an den früheren Isco erinnert? Auch Marcelo könnte aus der Verantwortung als neuer Chef-Kapitän, dem Vertrauen eines neuen Trainers und dem weiteren Ausfall von Ferland Mendy neue Kraft schöpfen. Die beiden könnten zu den Überraschungen der Saisonvorbereitung gehören, aber bekanntermaßen gilt es erst danach.

Ødegaard hat endlich eine Saisonvorbereitung

2015 von Real Madrid verpflichtet, handelt es sich dieses Mal um den dritten Anlauf des Norwegers bei den Königlichen. Vor einem Jahr konnte man fast nur scheitern: Nach seiner starken Saison in der jungen, schnellen Truppe von Real Sociedad kam er beim eher „konservativen“ Zidane-Real zwar früh zu Einsätzen (Startelf an ersten beiden Spieltagen), aber das Spiel war noch nicht auf ihn zugeschnitten. Ødegaards Mitspieler wussten nicht, mit ihm zu kombinieren (mit Ausnahmen von Benzema und Modrić) und er nichts mit ihnen anzufangen. Warum? Es fehlte die Saisonvorbereitung! Pandemie-bedingt gab es keine Testspiele und nur ein Trainingsspielchen gegen Getafe, bei dem „Martinio“ obendrein fehlte. Jetzt hat Ancelotti viel Zeit und Trainings- und Testspiele, das Spiel etwas vertikaler zu gestalten, weniger auf Kontrolle und Ballbesitz aus, zurück zu einem Spielmacher – das dürfte nicht nur Ødegaard, sondern auch den schon erwähnten Isco freuen. Und Karim Benzema, so muss der Mittelstürmer nicht mehr alleine in zentraler Rolle das Spiel mitgestalten. Aber speziell der 22-jährige Norweger dürfte den EM-losen Sommer nutzen. Muss er auch, einen vierten Anlauf wird es für ihn kaum geben. All das könnte eigentlich auch für Luka Jović gelten, allerdings hat der Serbe von den 13 Trainingstagen elf angeschlagen verpasst.

Ruhe, taktische Arbeit, Pintus‘ Zauber

So ein Corona-Sommer kann unproduktiv und knapp verlaufen wie der letztjährige, oder ruhig wie aktuell. Ohne Reisestrapazen und den üblichen Medienrummel schlagen die Blancos stattdessen ihr Trainingslager auf dem eigenen Vereinsgelände auf, teilweise übernachten die Spieler sogar in ihren Unterkünften. Aus dieser Ruhe und dem gewohnten Umfeld kann Ancelotti viel schöpfen, so heben die Königlichen in ihren Trainingsberichten oft die taktische Arbeit hervor. Pressing- und Ballbesitzphasen sind das eine, aber speziell Spielaufbau und Kombinationen mit Torabschlüssen stehen wohl im Fokus. Klingt vielversprechend, hat aber noch wenig zu bedeuten. Dazu kommt aber: Durch das Comeback von Fitness-Guru Antonio Pintus gab es neben ungewohntem taktischen Fokus auch ungewöhnliche Fitness-Bilder – mit Atemmessgeräten wurde schon im Außenbereich gearbeitet. Nach einer Saison mit 60 unterschiedlichen Ausfällen soll es unter Pintus besser laufen. Blöd nur, dass neben Jović und Mendy auch Rodrygo Goes und Mariano Díaz schon länger wieder aussetzen, sodass zuletzt nur acht Profis „normal“ trainierten.

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von
REAL TOTAL

Hier schreibt die Redaktion von REAL TOTAL, dem führenden Magazin über Real Madrid im deutschsprachigen Raum.

Kommentare
Interessanterweise sehe ich in den Punkten die Du ansprichst, Defensivarbeit/Zweikampfstärke und auch Verantwortungsübernahme, bei Ihm eine Weiterentwicklung, selbst grätschen gehört ab und an zu seinem Repertoire.

Heuer hat sich dahingehend sein Spiel tatsächlich (etwas) geändert, um nicht zu sagen verbessert, das seh ich auch so. Zumindest im Verein, auf Nationalmannschaftsebene kann ich es nicht beurteilen, dafür seh ich zu wenig DFB-Spiele.
 
Zuletzt bearbeitet:
Schreibt man seit der neuen Rechtschreibung "Blauäugigkeit" nun "Optimismus"?

Ich erlebe hier auch gerade ein Deja-vu. Ich kann das jetzt nicht beweisen und bin auch zu faul um nachzusehen, aber ich glaube, dass wir vor Beginn der letzten Saison auch alle so optimistisch waren. Das Ende vom Lied kennen wir ja.

Irgendein User hat es irgendwo schon geschrieben: Es hat sich nichts verändert im Vergleich zu letzter Saison. Bis auf Alaba keine Neuzugänge und mit Ramos (und wahrscheinlich Varane) die Stamm-IV abgegeben.

Woher also der Optimismus?
 
Ich erlebe hier auch gerade ein Deja-vu. Ich kann das jetzt nicht beweisen und bin auch zu faul um nachzusehen, aber ich glaube, dass wir vor Beginn der letzten Saison auch alle so optimistisch waren. Das Ende vom Lied kennen wir ja.

Irgendein User hat es irgendwo schon geschrieben: Es hat sich nichts verändert im Vergleich zu letzter Saison. Bis auf Alaba keine Neuzugänge und mit Ramos (und wahrscheinlich Varane) die Stamm-IV abgegeben.

Woher also der Optimismus?

Ein neuer Trainer kann schon theoretisch Veränderungen bewirken aber ich seh es ehrlich gesagt auch nüchtern und erwarte mir wenig. Gerade weil mit Ancelotti ein pragmatischer "Bewahrer" und kein mutiger Revoluzzer geholt wurde. Ich denke zwar schon, dass der Fußball etwas ansehnlicher wird aber es werden sich deshalb nicht alle Probleme in Luft auflösen, da bin ich schon bei dir.
Vermutlich brauchen wir aber auch alle den (Zweck)Optimismus, um uns überhaupt auf die Saison freuen zu können.
 
Ich erlebe hier auch gerade ein Deja-vu. Ich kann das jetzt nicht beweisen und bin auch zu faul um nachzusehen, aber ich glaube, dass wir vor Beginn der letzten Saison auch alle so optimistisch waren. Das Ende vom Lied kennen wir ja.

Irgendein User hat es irgendwo schon geschrieben: Es hat sich nichts verändert im Vergleich zu letzter Saison. Bis auf Alaba keine Neuzugänge und mit Ramos (und wahrscheinlich Varane) die Stamm-IV abgegeben.

Woher also der Optimismus?

Ein neuer Trainer kann schon theoretisch Veränderungen bewirken aber ich seh es ehrlich gesagt auch nüchtern und erwarte mir wenig. Gerade weil mit Ancelotti ein pragmatischer "Bewahrer" und kein mutiger Revoluzzer geholt wurde. Ich denke zwar schon, dass der Fußball etwas ansehnlicher wird aber es werden sich deshalb nicht alle Probleme in Luft auflösen, da bin ich schon bei dir.
Vermutlich brauchen wir aber auch alle den (Zweck)Optimismus, um uns überhaupt auf die Saison freuen zu können.

Ist halt die Frage, wie viel am "neuen" Trainer wirklich neu ist. Carlo ist nicht wirklich neu, weder im Verein noch im Fussball. Er hat viel Erfahrung und kann Taktik, was die Mannschaft sicher nach vorne bringen kann. Die Frage ist, ob das am Ende reicht. Auf irgendwelche magische 2014 Revivals hoffe ich jedenfalls nicht.

Für mich wird es ein Tanz auf Messers Schneide, und kann absolut auf beide Seiten kippen. Die Mannschaft hat nach wie vor Potenzial, es braucht nicht so viel, dass sie zumindest schlagkräftig ist. Gleichzeitig braucht es aber auch nicht viel, dass das Kartenhaus in sich zusammenfällt. Zidane hat bei aller berechtigter Kritik und biderem Fussball die Mannschaft zumindest in den wichtigen Spielen nochmal aufbauen und Punkte zusammenkratzen können. Carlo hat schön spielen lassen, hatte aber zusehends Mühe, Resultate zu liefern. Und dieses mal hat er keinen Prime CR, Bale, Benze, Modric, Kroos, James, Isco, Dani, Varane, Ramos, Pepe, Marcelo, Coentrao usw. Stand jetzt steht und fällt alles mit Benze, T-Bo, wie Militao-Alaba funktioniert und ob das Mittelfeld Chancen kreieren kann, funktioniert etwas davon auf Anhieb nicht, hat Carlo schnell mächtig viel Druck, er wird sich nicht so viel leisten können wie Zidane.

Ich hatte einen kurzen, naiven Moment der Hoffnung als es danach aussah, als würde man Campos holen und auf dem Markt rausholen, was geht. Die Realität hat sich dann aber schnell wieder eingebettet und bisher läuft alles genau so wie befürchtet/erwartet. Kein Sportdirektor, Ramos weg, Varane zu 90% weg, Mbappe kommt sehr wahrscheinlich nicht, Alaba wird der einzige Neuzugang bleiben, noch immer dieselbe Mannschaft, nochmal 1 Jahr älter und mittlerweile die schlechteste seit 10+ Jahren, mit einem neuen alten Trainer, dessen Aufgabe auch eher die Verwaltung des Satus Quos sein wird in der xten Übergangssaison im ewigen Warten auf Spieler X.

Ich will es nicht jetzt schon verschreien, soll sich Carlo versuchen, aber viele Gründe für Optimismus sehe ich halt auch nicht. Ich will vor allem endlich Fortschritte bei den Jungen sehen, alles andere ist in dieser Saison Bonus.
 

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