Analyse

Unerwarteter Einbruch: Ist bei Alonsos Real schon die Luft raus?

Vor nur drei Wochen schien die Welt bei Real Madrid mehr als in Ordnung zu sein, und nach den Siegen gegen Juventus, im Clásico und gegen Valencia deutete wenig bis nichts darauf hin, dass Xabi Alonsos Team nur drei Spiele später in die erste ernsthafte Krisensituation schlittern würde. Dabei sind es weniger die Ergebnisse, sondern vor allem die Art und Weise, wie die Blancos in allen Segmenten auftreten, die besorgniserregend sind.

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Xabi Alonso und sein Team wirken seit Wochen unerklärlich mutlos und passiv – Fotos: Getty Images

Es mangelt überall an allem

Drei sieglose Partien in Folge mit gerade einmal zwei eigenen Treffern sind sind nie schön, doch auch nach dem 2:2 in Elche wäre es übertrieben, von einer Ergebniskrise bei Real Madrid zu sprechen. Bei Rayo Vallecano haben die Königlichen in den letzten Jahren regelmäßig Punkte liegen lassen, auch in überaus erfolgreichen Spielzeiten, während der FC Elche eines der Überraschungsteams der laufenden Saison ist. Und an der Anfield Road minimal zu verlieren ist per se keine Schande. Außerdem sind die Königlichen immer noch LaLiga-Tabellenführer und in der Champions League ist man auch noch im Soll. Die Art und Weise, wie diese drei Partien bestritten wurden und wie die Punktverluste zustande kamen, geben jedoch spätestens seit Sonntagabend durchaus Anlass zu Sorge und Beunruhigung, zumal der Formeinbruch so unerwartet und unvermittelt kam.

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Dachte man nach überzeugenden Siegen im Clásico und gegen Valencia noch, dass Xabi Alonsos Mannschaft wächst und den nächsten Schritt gemacht hat, so war das Team in Liverpool urplötzlich über 90 Minuten nicht mehr wiederzuerkennen. In Vallecas und erst recht in Elche setzte sich dieser Trend nicht nur fort, sondern es scheint von Spiel zu Spiel in allen Segmenten des Spiels und allen Mannschaftsteilen grundlegend schlechter zu werden – der Mangel an Intensität, Dynamik, Ideen und Teamgeist erscheint fast dramatisch. Als hätte jemand vor dem Liverpool-Spiel Alonsos Team einfach den Stecker gezogen.

Offensive Automatismen nicht existent

Gerade einmal zwei Tore in den drei genannten Partien sind das Ergebnis eines plötzlich in sich zusammenfallenden Offensivspiels der Blancos, das Rätsel aufgibt. Eingespielte Spielzüge, Laufwege, hohes und frühes Anlaufen – all diese Faktoren, die zu Saisonbeginn verständlicherweise noch nicht perfekt, aber im Laufe der Spielzeit doch immer besser funktioniert hatten – Fehlanzeige. Ende Oktober waren Kylian Mbappé und Co. natürlich noch keine Pressingsmaschinen à la Paris Saint-Germain, setzten aber die grundsätzliche Idee von Alonso, den Gegner bereits am respektive vor dessen Strafraum unter Druck zu setzen, an und für sich und zumindest punktuell gut und erfolgreich um. Gleichzeitig schaffte man es immer besser, für schnelle Umschaltmomente zu sorgen, bei denen vor allem Mbappé durch Tiefenläufe ein ums andere Mal den Gegnern wehtun konnte. Von all dem ist seit Anfang November überhaupt nichts mehr zu sehen. Der französische Superstar wirkt inzwischen wie ein Fremdkörper, der selbst nicht weiß, wo er sich am besten aufhalten und welche Laufwege er gehen soll. Dafür exemplarisch steht die Szene aus der 26. Minute in Elche, als Arda Güler zu einem Konter ansetzte, und Mbappé seinen Laufweg vor dem gegnerischen Strafraum plötzlich abbrach und sich nach rechts orientierte, wo sich mit Rodrygo aber schon ein Kollege aufhielt, während Güler überhaupt keine Anspielstation mehr hatte und alleine auf weiter Flur dem Gegner überlassen wurde.

Dass Europas bester Torjäger der Vorsaison kein Mittelstürmer der klassischen Prägung ist, ist keine neue Erkenntnis, doch seit drei Wochen hält sich der Weltmeister von 2018 überall auf, nur nicht im gegnerischen Sechzehner. So wich er auch in Elche immer wieder ins Mittelfeld oder auch auf die Außenpositionen aus, von wo aus er sogar zwei Flankenversuche hatte, die aber niemanden erreichen konnten, weil auch Sturmkollege Rodrygo in der Box vermisst wurde. Mbappé geht nicht mehr in die freien Räume, sondern fordert inzwischen fast nur noch den Ball in den Fuß. Als im zweiten Durchgang Vinícius Júnior eingewechselt wurde, setzte man bei Real wiederum auf die Karte „alles über links“, die längst durchschaubar und leicht zu verteidigen ist – auch für Elche. Wie schon in Liverpool und Vallecas reichte es dem Gegner, den Brasilianer, der keinerlei Unterstützung bekam, zu doppeln, um seine Wirkung auszuhebeln. Egal in welcher taktischen oder personellen Konstellation – der königlichen Offensive gehen jegliche Automatismen ab. Was angesichts der immer weiter fortschreitenden Saison und des Fakts, dass es diesbezüglich sowohl bei der Klub-WM als auch zu Saisonbeginn besser aussah, einigermaßen fatal und erschreckend erscheint.

Mittelfeld und Abwehr ohne Intensität

Doch auch in anderen Mannschaftsteilen sind ähnliche Tendenzen festzustellen. Während es ganz vorne vor allem zu Saisonbeginn immer wieder mal hakte, war auf die Abwehr bis zum Spiel in Liverpool – sieht man vom Derby bei Atlético ab – eigentlich regelmäßig Verlass. Dass es in den letzten drei Spielen „nur“ drei Gegentore und eine Niederlage gab, lag allerdings in erster Linie am einzigen Blanco, der regelmäßig Weltklasseniveau abruft – Torwart Thibaut Courtois. Die Abwehrreihe vor ihm wiederum wirkt seit Wochen komplett verunsichert und von der Rolle, auch und vor allem die bis dato so stark und stabil auftretenden Dean Huijsen und Álvaro Carreras. Aber auch im Mittelfeld mangelt es sowohl an physischer Stabilität und Intensität als auch an spielerischen Ansätzen.

Stellvertretend für die fast unerklärliche Passivität steht erneut eine Szene aus dem Spiel in Elche: Beim zweiten Gegentor lassen erst die kurz zuvor eingewechselten und frischen Federico Valverde und Eduardo Camavinga Elches Martin Neto den Ball annehmen und weiter zu Álvaro Rodríguez, der anschließend dem vierköpfigen königlichen Abwehrverbund alleine entgegenkommt und – problemlos zum Abschluss kommt. Warum der ehemalige Canterano von niemandem konkret und intensiv angegangen wurde, während die anderen drei Kollegen absichern, ist bei allem Verständnis für verletzungsbedingte Ausfälle schwer oder gar nicht zu erklären.

Alonso verzettelt sich immer mehr

Mit den immer schwächeren Performances des gesamten Teams geht auch das difuse und konfuse Bild einher, das mittlerweile Xabi Alonso abgibt. Der Leverkusener Meistertrainer kam zu Real Madrid mit dem Auftrag und eigenen Ziel, eine Mannschaft zu formen, die sich über klare Automatismen, ein zuverlässiges hohes Pressing und ein auf dem Leistungsprinzip basierendes System definiert. Sah es diesbezüglich über weite Strecken des ersten Saisondrittels noch relativ gut beziehungsweise immer besser aus – Alonso rotierte regelmäßig und rief auf mehreren Positionen den offenen Konkurrenzkampf aus, was auch durchaus Wirkung zeigte – so muss man mittlerweile ernüchtert feststellen, dass der Baske bis jetzt keines der drei Ziele erfüllen konnte. Sein Team und die Idee stagnieren nicht, es sind vielmehr fast erschreckende Rückschritte auf allen Ebenen zu erkennen.

Im Laufe des Herbst scheint den Trainer jeglicher Mut verlassen zu haben, denn auf einmal rotierte er überhaupt nicht mehr, wechselte kaum, teilweise sehr spät und eher unerklärlich, während er öffentlich gleichzeitig immer unsouveräner und schmallippiger wirkt. In Elche hatte es den Anschein, als wollte Xabi fast schon krampfartig wieder zu sich selbst finden – er  überraschte zwar mit der taktischen (3-5-2) respektive personellen Aufstellung (Rodrygo statt Vinícius, Ceballos im Mittelfeld), blieb dabei aber erstaunlich inkonsequent. Bei der Klub-WM sah diese Formation mit Fran García und Trent Alexander-Arnold durchaus vielversprechend aus, funktionierte in den USA jedoch vor alles deswegen, weil es mit Gonzalo García einen klaren Zielspieler in der Box gegeben hatte. Dieser fehlte jedoch nicht nur am Sonntagabend, sondern wird seit Wochen vermisst, zumal Mbappé sich immer mehr vom Strafraum entfernt. Umso unverständlicher erscheint in diesem Zusammenhang Alonsos Weigerung, in bestimmten Spielen auf einen klassischen Mittelstürmer zu setzen oder diesen zumindest einzuwechseln. Passenderweise brauchte Gonzalo García nur wenige Minuten nach seiner Einwechslung, um zum ersten konkreten Kopfball-Abschluss zu kommen.

Dies ist nur ein Aspekt, der exemplarisch für die Verunsicherung des Trainers steht, die sich generell auf das Team und das Spiel der Blancos zu übertragen scheint. Zwar ist es nach immer noch nur zwei Saisonniederlagen bei gleichzeitiger Tabellenführung in LaLiga viel zu früh, um irgendjemanden bei Real Madrid anzuzählen, allerdings stehen Alonso und sein Team vor enorm wichtigen Wochen. Denn sollte es bis zur Weihnachtspause weitere Patzer und ähnliche Auftritte wie in Elche geben, könnte es vor allem für den Trainer zum Jahreswechsel äußerst unangenehm werden.

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Kommentare
Die Art und Weise des Auftretens war auch unter Carlo nicht viel besser. Aber die Ergebnisse waren meistens da. Alonso wird aber die Zeit nicht bekommen die Carlo hatte, befürchte ich.
 

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