
Vor Spielfreude sprühend, eiskalt vor dem Tor
MADRID. Ein zentraler Grund für den Aufwärtstrend des Offensivjuwels dürfte der Wechsel auf der Trainerposition und die damit einhergehende Veränderung der Spielanlage sein: Zwar spielte der Brasilianer auch unter Vorgänger Zinédine Zidane regelmäßig (35 respektive 29 LaLiga-Einsätze in den vergangenen beiden Spielzeiten) und steuerte dabei immerhin sechs Tore und sieben Assists bei – im Gedächtnis blieben vielen Madridistas wohl aber dennoch die zahlreichen unbefriedigenden Leistungen, die schlechte Entscheidungsfindung und die mitunter kläglich vergebenen Großchancen.
Unter dem italienischen Rückkehrer auf die königliche Trainerbank, Carlo Ancelotti, scheint es nun „Klick“ gemacht zu haben: An den ersten beiden Spieltagen noch von der Bank kommend, wirkt der 21-Jährige deutlich abgezockter vor dem Tor – und sprüht nur so vor Spielfreude. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das nach nunmehr vier Spieltagen: Vier Tore und ein Assist in 223 Spielminuten (45 Minuten pro direkter Torbeteiligung). Dem Youngster dürfte dabei grundsätzlich entgegenkommen, dass Ancelotti im Unterschied zu Zidane einen offensiveren Fußball mit vielen Positionsrochaden spielen lässt, der zudem ein ausgeprägteres Vertikalspiel beinhaltet.
Wirkte es in den vergangenen Spielzeiten noch so, als würde das gegnerische Tor immer kleiner, je mehr sich „Viní“ diesem nährte, wirken seine Abschlüsse dieser Tage deutlich souveräner und überlegter – fast schon abgeklärt. Diese Entwicklung veranlasste Ancelotti jüngst zu einem großen Lob: „Vinícius hat eine wichtige Qualität, er ist sehr schnell. Er muss sich noch steigern. Ob er ein großer Torjäger wird, weiß ich nicht, denn er mag es, auf dem Flügel zu spielen. Mit der Qualität, die er hat, kann er viele Tore erzielen […] Er wird für uns ein wichtiger Spieler sein. Ich habe viel Vertrauen in ihn.“
Zukünftige Real-Ikone?
Ob der Brasilianer eben jenes Vertrauen spürt und dadurch besonders beflügelt wird? Dafür spricht in jedem Fall, dass der Youngster auch abgesehen von den nackten Zahlen performt: So sammelte der Flügelspieler gegen Celta Vigo 59 Ballkontakte, spielte zwei Key-Pässe und setzte fünfmal erfolgreich zum Dribbling an. Etliche intelligente Tiefenläufe und Kreuzbewegungen sowie drei gezogene Fouls unterstreichen die Gala-Vorstellung vom Sonntagabend.
Wie groß das Potenzial ist, dass der 21-Jährige zu einer neuen Heldenfigur des Madridismo werden könnte, belegt auch sein Treffer zum 3:2 in der 55. Spielminute: Perfekt in Szene gesetzt von Karim Benzema – jener Benzema, dessen sportliche Meinung über den Flügelflitzer vor rund einem Jahr sicherlich nicht die beste war – dribbelte „Viní“ in Richtung Celta-Tor, um dann aus Nahdistanz eiskalt zu verwandeln. Kein Stolperer, kein hektischer oder gar unkonzentrierter Abschluss, kein ungenauer Querpass – „Vinícius 2.0“ trifft zurzeit (fast) immer die richtige Entscheidung.
Dass der Hoffnungsträger wenige Sekunden nach seinem befreienden Treffer ein geradezu vor kindlicher Freude sprühendes Bad inmitten der Madridistas nahm und damit vielleicht DEN Torjubel der Saison lieferte, deutet auf eine stärker werdende Bindung zwischen Vinícius und den Real-Fans hin: Der Madridismo scheint „Viní“ mehr und mehr ins Herz zu schließen.

Oberste Prämisse: Den Trend bestätigen
Bei allem Lob, was der Nationalspieler nun konsequenterweise erfährt, wird er sich ganz bestimmt der Tatsache bewusst sein, auch in Zukunft abliefern zu müssen. Um bei Real Madrid eine feste Größe zu werden, bedarf es neben einer immensen Portion Talent, dem Vertrauen des Trainers und der Teamkollegen sowie dem Zuspruch der Fans vor allem Mentalität.
Dafür, dass der Brasilianer sich einen solchen Status erarbeiten kann, scheint er mit seinen Auftritten in der Frühphase der Saison ohne Frage den Grundstein gelegt zu haben: „Ob er mit diesen Leistungen unumstritten ist? Ja. Vinícius ist ein Spieler mit einer beeindruckenden Qualität. Zu Beginn dieser Saison macht er seine Sache aktuell gut, indem er seine Qualitäten zeigt und dem Team sehr hilft. Er muss so weitermachen. Das ist alles. Aktuell hat er Selbstvertrauen. Er ist ein sehr ruhiger Typ und vor dem gegnerischen sehr kühl.“, sagte Trainer Ancelotti etwa nach der Gala-Vorstellung seines Schützlings.
Ob das Offensivjuwel die außergewöhnliche Frühform bestätigen und die Transformation vom talentierten, aber mitunter unstrukturiert agierenden Flügelflitzer zum Unterschiedsspieler fortsetzen kann – dahingehend werden vermutlich bereits die kommenden Auftritte erste Antworten liefern. Sowohl in Mailand als auch in Valencia dürfte das Ausnahmetalent mit großen Aufgaben konfrontiert und von vielen Beobachtern haargenau unter die Lupe genommen werden.
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