
Mallorca stellt neuen Foul-Rekord auf
Wenn im Anschluss an eine Begegnung die sportlichen Geschehnisse nur bedingt im Mittelpunkt stehen, ist das selten ein gutes Zeichen. Real Madrids 0:1-Niederlage auf Mallorca offenbarte zwar (mal wieder) so einige Baustellen, dennoch hatte man nach der Partie das Gefühl, dass der erneute Punktverlust und der damit einhergehende anwachsende Rückstand auf Barcelona trotzdem nur zur Nebensache gerieten: Der Grund: Vinícius Júnior, der im Estadi de Son Moix einen wahren Spießrutenlauf hinter sich bringen musste und sich sowohl auf dem Feld als auch von den Rängen enormen Provokationen und Anfeindungen ausgesetzt sah.
Dass Mallorca als krasser Außenseiter in dem ungleichen Duell auf eine ultra-defensive Taktik im tiefen Block und ein hohes Maß an Aggressivität im Spiel gegen den Ball setzt – geschenkt. Dass die Fans versuchen, eine hitzige Atmosphäre zu erzeugen und so ihren Teil dazu beizutragen, die Partie auf ihre Seite zu ziehen – ebenfalls vollkommen legitim. Was sich jedoch an diesem Nachmittag auf der balearischen Insel abspielte, überschritt so manche Grenze.
Das Team von Javier Aguirre beging während der Partie insgesamt 29 Fouls, was einen neuen Negativ-Rekord in dieser Spielzeit bedeutet. Zehnmal war Vinícius der Leidtragende, was sogar einen Rekord seit der Opta-Datenaufzeichnung in LaLiga darstellte. Die Mallorquiner trieben es mit ihrer Zerstörer-Taktik gar so weit auf die Spitze, dass am Ende lediglich eine Nettospielzeit von 48 Minuten zu Buche stand. Federführend hierbei – insbesondere bei den Attacken gegen Vinícius – waren vor allem Mallorca-Kapitän Antonio Raíllo und Rechtsverteidiger Pablo Maffeo, die bereits im Vorfeld der Partie die Stimmung gegen den Brasilianer ordentlich anheizten („Wenn ich ein Vorbild für meine Kinder nehmen müsste, dann wären es Modrić oder Benzema, aber niemals Vinícius.“), und auf dem Feld nahtlos daran anknüpften. So forderte Raíllo Vinícius während des Spiels provokativ auf, das Mallorca-Wappen zu küssen, und bearbeitete den 22-Jährigen permanent verbal, wohingegen Maffeo keine Gelegenheit ausließ, um seinen Gegenspieler möglichst hart anzugehen und mit Fouls aus dem Rhythmus zu bringen.
Was für ein Vogel…
Dass man so einen, der noch abgelenkter weil zu fokussiert auf seinen Gegenspieler ist als Vini selbst, aber sportlich nicht schlagen kann, macht es umso schlimmer. pic.twitter.com/2DzeVmoRUM— Nils Kern (@nilskern17) February 5, 2023
Vinícius wird in Täterrolle getrieben
Als wäre dies nicht schon genug, schlug Vinícius von den Rängen unheimlicher Hass entgegen. Bei jedem Ballkontakt wurde der Brasilianer gnadenlos ausgepfiffen, jedes Foulspiel gegen ihn frenetisch bejubelt, jede Unterbrechung genüsslich genutzt, um verbale Entgleisungen in seine Richtung zu feuern. Nun mag die weitläufige Meinung sein, dass ein Profi des Formats eines Vinícius derartige Anfeindungen aushalten müsse, die Ausmaße, die das Ganze mittlerweile jedoch annimmt, ist durchaus bedenklich. So merkte Nacho im Anschluss an die Partie an: „Hier wird gerade eine Stimmung rund um Vinícius erzeugt, die niemandem hilft. Weder Vinícius, noch dem Fußball oder den Fans, die sich auf den Jungen einschießen, ohne dass der auch nur irgendetwas dafür kann.“
Dass sich ein Stadion auf einen gegnerischen Spieler einschießt, ist beileibe nichts Neues und ist in der Vergangenheit auch schon öfters vorgekommen. Was Vinícius aktuell jedoch widerfährt, geht weit über das Maß normaler sportlicher Rivalität hinaus. Der Brasilianer wird mittlerweile zu einer Hassfigur in Spaniens Stadien hochstilisiert und ihm obendrein auch noch die Schuld daran selbst zugewiesen. In der Berichterstattung in den spanischen Medien wird Reals Nummer 20 kaum in Schutz genommen, stattdessen die Schuld auf seine aufreizend lässige und dadurch provozierende Spielweise geschoben und durch Interviews wie zuletzt mit Maffeo („Es ist nicht so, dass wir alle von ihm besessen sind, es hängt damit zusammen, was er tut“) weiter befeuert.
Zumal sich die Solidaritätsbekundungen für den Brasilianer im Zuge des Rassismus-Skandals im Vorfeld des Copa-Derbys, als Atlético-Fans eine Vinícius-Puppe an einem Galgen von einer Brücke hängen ließen, ebenfalls in Grenzen hielten. Dass zudem die Untersuchungen aufgrund rassistischer Äußerungen von Atlético-Fans während des Derbys im September („Du bist ein Affe, Vinícius du bist ein Affe.“) eingestellt wurden, weil diese Äußerungen im Zuge „maximaler Rivalität“ gefallen seien, vermittelt latent das Gefühl, Vinícius sei Freiwild und ihm gegenüber nahezu alles erlaubt. Zumal auch im Son Moix teilweise rassistische Rufe wie „Du bist ein scheiß Affe“ deutlich zu hören waren.
Sí, ha habido insultos racistas a @vinijr. Y sí, ???????????? ????????????????????????????????????????????????
Tenemos que acabar con esto en el fútbol como sea. Impecable discurso de @migquintana y @albertoowono. Para escucharlo y reflexionar pic.twitter.com/8TbFM6Byw5
— DAZN España (@DAZN_ES) February 5, 2023
Fußball muss und sollte wieder in den Fokus rücken
Eine gefährliche Entwicklung, die langsam aber sicher aus dem Ruder zu laufen droht. Das Ambiente auf Mallorca war vorrangig durch Hass getrieben und wurde durch die phasenweise inkonsequente Linie von Schiedsrichter Alejandro Hernández Hernández, der Mallorca erst in der 60. Minute die erste Gelbe Karte zeigte, noch weiter befeuert. Dass Vinícius letzten Endes sogar als erster Akteur in der Partie für ein nicht unbedingt verwarnungswürdiges Vergehen die Gelbe Karte sah und somit das nächste Spiel gegen Elche verpasst, passte dabei noch ins Bild. Kommentator Benni Zander, der das Spiel für DAZN begleitete, gab zwischenzeitlich zu, dass das Duell zwischen Vinícius und Maffeo, der zudem jede noch so kleine Berührung für eine theatralische und ausufernde Einlage nutzte, für Außenstehende „schwer zu ertragen“ sei. Dass dies weder im Sinne des Spiels noch der Spieler ist, versteht sich von selbst.
Auch aus diesem Grund sprang Carlo Ancelotti im Anschluss an die Partie seinem Schützling zur Seite und betonte nochmals, dass jegliche Schuldzuweisungen gegenüber Vinícius völlig deplatziert seien: „Alles, was passiert ist und passiert, ist nicht die Schuld von Vinícius. Er will einzig und allein Fußball spielen. Darüber hinaus herrscht eine provokante Stimmung, es gibt einen Gegner, der Druck ausübt, provoziert, Fouls begehen. Das ist das, was los ist. Man muss den Fokus ändern. Alle sagen, es sei die Schuld von Vinícius. Wir müssen nur auf das heutige Spiel gucken, was da mit ihm passiert ist.“
Eine weitere Aussage, die deutlich macht, dass sich bezüglich dieser Thematik etwas ändern muss in den kommenden Wochen. Der Fokus auf das Wesentliche, den Fußball, sollte wieder in den Mittelpunkt rücken. Damit wäre – um es in Nachos Worten zu sagen – allen Beteiligten geholfen. Dann könnte man sich in der Nachbetrachtung einer Partie auch wieder auf die sportlichen Aspekte konzentrieren.
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