Analyse

Von Moral, Führungsqualitäten und Geschenken: Fünf Brennpunkte

Beim 2:1-Auswärtserfolg gegen SD Huesca erlebte Real Madrid zwei völlig verschiedene Spielhälften. Für welches Novum in der aktuellen Spielzeit die Madrilenen dabei sorgten, wer oder was eine Erwähnung verdient hat und wo die Schrauben eventuell noch einmal nachgezogen werden sollten: REAL TOTAL analysiert fünf Brennpunkte nach dem Sieg in Aragonien.

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Ragte gegen Huesca hervor: Raphaël Varane – Foto: IMAGO / Marca

1. Die Mannschaft zeigt Moral

Für viele Madridistas steht Real vor allem für eines: den ständigen Glauben an den Sieg. Mit unbändigem Willen und beflügelt durch den Geist Juanitos darf im weißen Trikot nicht aufgegeben werden, so lange der Schlusspfiff nicht ertönt ist. Ohne Fans in den Stadien schien jedoch auch der Geist der legendären Nummer 7 verflogen. Denn: Vor der Partie gegen Huesca geriet man in dieser Saison bereits fünf Mal (zwei Mal gegen Shakhtar sowie gegen Mönchengladbach, Alavés und Athletic) mit 0:1 in Rückstand und konnte in der Folge nie gewinnen, verlor bis auf das Remis gegen Mönchengladbach sogar sämtliche Partien. Nun also das Novum in der Spielzeit 2020/21. Dem Selbstvertrauen der Blancos dürfte es verdammt guttun, dass man nach einem 0:1-Rückstand endlich einmal eine Partie drehen konnte und die Mannschaft hat bewiesen, dass sie noch lebt. Betrachtet man den bisherigen Saisonverlauf, wird die eine oder andere „Remontada“ mit Sicherheit noch vonnöten sein. Jetzt weiß man ja wieder, wie es geht.

2. Varane zeigt endlich Führungsqualitäten

Der Zeitpunkt mutet schon ein wenig kurios an: Ausgerechnet nachdem sich mit Sergio Ramos der Leader schlechthin aufgrund einer Knie-OP für mehrere Wochen abgemeldet hat und sein Abgang im Sommer auch immer wahrscheinlicher wird, setzt Raphaël Varane ein Zeichen und zeigt, dass auch er Führungsqualitäten zu bieten hat. Jener Varane also, der auf dem Feld zwar resolut zu Werke geht, als Person aber trotzdem eher schüchtern und zurückhaltend daherkommt. Wie einer, dem man sagt, was er zu tun hat anstatt selbst anderen Kommandos zu erteilen. Aber was will man auch erwarten, wenn man jahrelang neben einer so dominanten Person wie Ramos spielt? Er füllt die Rolle aus, in die er hineingewachsen ist. „Wir ergänzen uns in der Art und Weise, wie wir spielen. Wir haben Qualitäten, die gut harmonieren“, sagte der Franzose selbst zu Saisonbeginn über sein Zusammenspiel mit Ramos. Der Laute und der Leise eben. Nun wird Varane in seiner Karriere ganz sicher nicht mehr zum Sprachrohr à la Ramos werden, aber die Madridistas dürften eine Sorge weniger haben, wenn der 27-Jährige seinen Auftritt gegen Huesca in den kommenden Wochen bestätigen kann. Es war schon erstaunlich, wie er Nebenmann Nacho Fernández stabilisierte, dessen Unsicherheiten ausglich und dann sogar noch in bester Ramos-Manier mit seinem Doppelpack als Entscheider voranging. Das ist der Varane, den Real in Zukunft brauchen wird!

3. Mangelnde Konzentration

Man hat in der letzten Zeit des Öfteren das Gefühl, dass die Spieler in vielen Situationen nicht zu 100 Prozent bei der Sache sind. Die Ursachen dafür dürften mannigfaltig sein, mit Sicherheit kann hier beispielhaft die Corona-Pandemie und der aufgeblähte Terminkalender genannt werden, aber im Einzelnen lassen sie sich kaum detailliert ergründen. Fakt ist aber: Die vielen Unkonzentriertheiten werden oft teuer bezahlt. Das Tor zum 0:1 bei Huesca ist das jüngste Beispiel, als Nacho mit desolater Risikoabwägung nach vorne verteidigte und der gegnerische Angriff in einer daraus entstehenden Überzahlsituation nicht mehr zu unterbinden war. Verhält sich so ein Spieler auf dem Platz, der hochkonzentriert agiert? Unbegreiflich auch, wie stürmisch und übermotiviert Vinícius Júnior gegen Levante (1:2) einen Elfmeter verursacht hat – so sieht es aus, wenn jemand nicht vollends mit dem Kopf bei der Sache ist. Statistisch lassen sich diese Unzulänglichkeiten sogar belegen, denn gemeinsam mit Real Betis hat man die meisten Elfmeter in der aktuellen LaLiga-Saison verschuldet: sieben. Ja, Real verschuldet exakt so viele Elfmeter wie die Harakiri-Abwehr um Marc Bartra und Co. Ein weiterer Beleg für mangelnde Konzentration zeigt sich in der hohen Quote an Gegentoren nach Standardsituationen, diese liegt bei fast 50 Prozent (neun von 19) – ein weiterer Spitzenwert in LaLiga. Toni Kroos äußerte sich nach der Levante-Pleite in seinem Podcast „Einfach mal Luppen“ wie folgt dazu: „Das 2:1 dann Viertelstunde vor Schluss ist eine Ecke, das darf schon mal gar nicht passieren, schon gar nicht wenn du in meinen Augen in Unterzahl bist, dann sind eigentlich so die Standards das, was du dann noch mit am besten verteidigen kannst.“ Die Königlichen wären gut beraten, diese zahlreichen Unkonzentriertheiten zukünftig abzustellen und sich das Leben dann mit solchen Geschenken an die Gegner nicht mehr unnötig schwer zu machen. Apropos Kroos…

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4. Reals Nummer 8 befindet sich in starker Form

Es darf keinesfalls unerwähnt bleiben, dass Toni Kroos gerade in blendender Verfassung ist. Nach seinen zwei Assists gegen Alavés folgte ein weiterer gegen Levante, als er trotz Niederlage ein starkes Spiel machte und auch gegen Huesca war er am Siegtreffer maßgeblich beteiligt, legte er Casemiro den Ball doch per Freistoßflanke mustergültig auf den Kopf, als dieser den gegnerischen Keeper zu einer Parade zwang und Varane in der Folge zur Führung einnetzen konnte. Macht: vier Torbeteiligungen in den letzten drei Partien! Außerdem beeindruckt der Greifswalder am 22. Spieltag mit einer phänomalen Statistik: 82 Pässe spielte er in der gegnerischen Hälfte, von denen 95,1 Prozent ihr Ziel fanden. Mehr schaffte seit Erfassung der Daten 2005/06 noch kein Madrilene in einem Liga-Auswärtsspiel! Apropos auswärts…

5. Königliche Auswärtsstärke

Zidane und sein Team mussten in den vergangenen 17 Auswärtsspielen in LaLiga nur eine Niederlage einstecken, die beim 1:4 gegen den FC Valencia im November dafür aber auch krachend ausfiel. Dem gegenüber stehen elf Siege und fünf Unentschieden. Aktuell führt man die Auswärtstabelle in LaLiga sogar an, obgleich diese aufgrund der unterschiedlichen Anzahl gespielter Partien nicht sonderlich bereinigt daherkommt. Trotzdem: Aktuell sieben ungeschlagene Liga-Partien in der Fremde am Stück und erst eine Auswärtsniederlage in der gesamten Liga-Saison sind mehr als ordentlich!

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von
Max-Friedrich Bading

Abgeschlossenes Studium der Sportwissenschaft, Anglistik/Amerikanistik und Bildungswissenschaft. Ronaldo brachte mich 2002 als Fan zu Real, verlassen hat er den Verein Jahre später ohne mich. Bin stolz, meine Passion für den Klub bei REAL TOTAL mit anderen Madridistas teilen zu dürfen.

Kommentare
Dieser „frische Wind“, oder auch Moral genannt, wurde alleine durch Marcelo in die Mannschaft getragen. Aber auch Varane verbreitete schon positive Energie, die allerdings alleine nicht ausgereicht hätte. Er ist aber nach mMng. auf einem guten Weg.
 

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