Analyse

Vor dem Clásico: Xavis Barça im Taktik-Check

Rund eineinhalb Wochen nach der 3:1-Gala im gegen Paris Saint-Germain steht für Real Madrid am Sonntagabend bereits das nächste Highlight-Spiel auf dem Programm. Barça kommt ins Estadio Santiago Bernabeú, das neue weil wiedererstarkte Barça des Xavi Hernández.

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Xavi
Seit Xavi das Zepter übernommen hat, lebt die gefürchtete Barça-DNA wieder auf – Fotos: imago

Während die „Blaugranas“ im ersten Drittel der Saison unter Ronald Koeman durch LaLiga stolperten (Platz neun, 15 Punkte, 15:11 Tore), ist der ewige Rivale unter Neu-Coach Xavi Hernández wieder stark auf dem Vormarsch. 34 Zähler aus 15 Ligaspielen bedeuten einen Punkteschnitt von 2,27 Punkte/Spiel. Mit 33 erzielten Toren (2,2 Tore/Spiel) verfügen die Katalanen inzwischen zudem wieder über eine der heißesten Offensivabteilungen, was nicht zuletzt auch an den Verpflichtungen von Ferran Torres, Pierre-Emerick Aubameyang oder Adama Traoré liegen mag. Allerdings hat Xavi Hernández das Spiel des in den vergangenen Jahren ins Wanken geratenen Giganten grundlegend transformiert. REAL TOTAL analysiert, welche Hebel Xavi in Bewegung gesetzt hat – und wie die Königlichen dennoch die Oberhand behalten können.

Zurück in die Zukunft: Ballbesitzorientiertes 4-3-3 als Grundordnung

Nach für Barça-Verhältnisse mitunter bitteren Spielzeiten orientiert sich Neu-Coach Xavi an der taktischen Ausrichtung, die die Katalanen zuletzt unter Pep Guardiola und Luis Guardiola an den Tag legten. So setzt die 42-jährige Vereinslegende zwar auf das jahrelang praktizierte 4-3-3-System – der frühere Weltklassemittelfeldspieler interpretiert dieses aber weitaus variabler als Vorgänger Koeman.

Ein zentraler Erklärungsansatz dafür, dass der FC Barcelona unter Xavi deutlich erfolgreicher daherkommt als unter Koeman, liegt in der Spielphilosophie begründet. So favorisiert der Spanier analog zu seinem vermutlich prägendsten Lehrmeister, Guardiola, ein ballbesitzorientiertes Spiel. Ganz im Sinne der guardiola’schen Philosophie „Wenn wir den Ball haben, kann der Gegner nicht treffen“ setzt Xavi im Unterschied zu seinen Vorgängern wieder verstärkt auf Ballbesitzfußball. So erklärte er seinen Ansatz gegenüber THE COACHES’ VOICE wie folgt: „Unabhängig vom System ist das Wichtigste am Ende die Philosophie – die totale Kontrolle des Balles.“ Und genau diese altbekannte Barça-DNA scheint sein Team in der gut viermonatigen Zusammenarbeit bereits bestens verinnerlicht zu haben.

Der Fairness halber muss jedoch erwähnt werden, dass Xavi, wie bereits erwähnt, durch gezielte und namhafte Winter-Verpflichtungen auf einen in der Breite und der Spitze besser besetzten Kader als Koeman zurückgreifen kann.

Eingerückte Außenverteidiger erlauben zentrumslastiges Aufbauspiel

In der Spielauslösung setzt Xavi, wie fast alle Teams im Profifußball, auf eine Überzahlsituation in der ersten Linie. Agiert der Gegner lediglich mit einer Spitze, genügen dafür die beiden Innenverteidiger, zuletzt Gerard Piqué und Eric García. In dem Fall können die Außenverteidiger klassisch hochschieben und erste Tiefenoptionen am Flügel bieten, während Sergio Busquets im Zentrum anspielbar ist. In solchen Situationen bildet zumeist einer der beiden „Achter“ eine zweite, leicht versetzte Anspielstation, da Busquets in der skizzierten Statik ansonsten einfach zugestellt wird. Das erlaubt es den Katalanen in der Regel, durch ein Überladen des Zentrums in jenem Bereich den freien Mann zu finden. Schiebt der Gegner ins Zentrum durch, ergeben sich auf einer tiefen Flügelposition Anspielstationen.

Bekommt Barcelonas Viererkette maximal von einem Spieler Druck, schieben die Außenverteidiger (rote Kreise) klassisch hoch, einer der „Achter“ (grüner Kreis) unterstützt Busquets (gelber Kreis) als zentrale, ballseitige Anspielstation in zweiter horizontaler Ebene, die restlichen vier offensiven Spieler stellen Anspielstationen in der Tiefe dar – Screenshot: DAZN

Verhältnismäßig häufiger sehen sich die Katalanen in der Spielauslösung jedoch zwei oder gar drei Gegenspielern gegenüber. Klassischerweise würde in einer solchen Situation der defensive Mittelfeldspieler in eine dynamische Dreierkette abkippen. Die „Achter“ würden sich in Richtung des eigenen Tores bewegen und die eigentliche „Sechs“ besetzen. Die Außenverteidiger müssten hochschieben, die offensiven Flügelspieler einrücken und der Mittelstürmer sich auf die offensive Mittelfeldposition bewegen.

Schiebt ein zweiter gegnerischer Angreifer mit hoch (hier blauer Kreis), bewegt sich zumeist Alves als zweite zentrale Anspielstation eine Linie vor, Alba wird eine Art dritter Innenverteidiger und die „Achter“, hier Pedri und Gavi, schieben höher – Screenshot: DAZN

Xavi verfolgt jedoch einen anderen Ansatz: So setzt der Neu-Coach auf einrückende Außenverteidiger. Das bedeutet in der Praxis, dass in der Regel Jordi Alba zum dritten Aufbauspieler wird. Dani Alves schiebt hingegen etwas höher, immer mit der Option, neben Busquets eine zweite zentrale Anspielstation in der Tiefe darzustellen.

Verzicht auf klassische Außenverteidiger und viele Anspielmöglichkeiten in der Tiefe

Als Folge dieser Maßnahme können die „Achter“ deutlich höher schieben, sodass der FC Barcelona zumeist in einer Art dynamischem 3-2-5 agiert und somit über fünf Anspielstationen in der Tiefe verfügt. Interessanterweise binden die hochgeschobenen „Achter“ nicht selten die gegnerischen Außenverteidiger, sodass die Flügelspieler des Pokalsiegers spieloffen eingesetzt werden können. Das erlaubt Eins-gegen-Eins-Situationen am Flügel, die durch Spieler wie Traoré, Aubameyang oder Dembélé aufgelöst werden können.

Wenn Barça den Ball durch das Übergangsspiel in Richtung des gegnerischen Strafraums transportiert hat, bieten sich oftmals gleich fünf Anspielstationen in der Tiefe (gelbe Kreise), nicht selten werden die Flügelspieler, hier vor allem Dembélé am rechten Flügel, gesucht. Diese haben die Möglichkeit, ins Eins-gegen-Eins zu gehen oder die Überladung mit gruppentaktischen Mitteln auszunutzen, um Gefahr zu kreieren – Screenshot: DAZN

Zugleich bieten sich dem jeweiligen Ballbesitzer – egal, ob im Zentrum oder am Flügel – verschiedene gruppentaktische Optionen. Aufgrund des hohen Tempos einlaufender Spieler sind Steckpässe, Doppelpässe oder das gern praktizierte Spiel über den Dritten in einer hohen Feldposition mit gleich oder gar partieller Überzahl vielversprechende Alternativen. Durch Rochaden auf den jeweiligen Seiten (eingerückter Außenverteidiger, zentrale Mittelfeldspieler, hochgeschobene „Achter“ und Flügelspieler) wird der Gegner verstärkt vor Zuordnungsprobleme gestellt.

Bei gegnerischem Ballbesitz: Gute Kontersicherung trifft auf mutiges Pressing

Die Statik von drei zentralen Aufbauspielern und zwei zentralen Mittelfeldspielern beinhaltet zudem eine bessere Kontersicherung, da das Zentrum automatisch geschlossen und ein situatives Reagieren auf das Attackieren der Halb- oder Außenpositionen möglich ist. Folglich ist die Xavi-Elf nach Ballverlusten deutlich stabiler.

Gegen den Ball bedient sich Barça eines Mann-gegen-Mann-Pressings im 4-3-3 respektive 4-3-2-1. Hier wird der Ball zum linken Inneverteidiger gespielt, Aubameyang isoliert diesen von seinem rechten Nebenmann, Pedri (gelber Kreis) schließt das Zentrum, während Dembélé auf den Ball nach außen wartet, um dann zuzupacken – im Endeffekt spielt Osasuna den Ball tief, wo Barça aufgrund des Nach-Vorne-Verteidigens und Nachschiebens im Kollektiv erneut in Überzahl ist und den Ball gewinnt – Screenshot: DAZN

Verteidigt der FC Barcelona hingegen einen geordneten Ballbesitz des Gegners, setzt Xavi in der Regel auf ein 4-3-3- respektive 4-3-2-1-Pressing mit klarer Mann-zu-Mann-Orientierung in vorderster Linie. So lenkt der zentrale Angreifer den gegnerischen Angriff durch ein bogenförmiges Anlaufen zumeist auf eine Seite. Dort erhält er Unterstützung vom ballnahen Außenspieler, der nach dem erfolgten Zuspiel auf den gegnerischen Außenverteidiger Druck erzeugen soll. Der ballferne Flügelspieler schließt oftmals den Passweg ins Zentrum, während der ballnahe „Achter“ und der defensive Mittelfeldspieler nachschieben und die Tiefenpasswege zustellen. Da der Außenverteidiger zudem den Longline-Pass zustellt, generiert Barça viele gezielte, mitunter auch hohe Ballgewinne.

So kann Real den formstarken Rivalen schlagen

Im Vergleich zum Hinspiel in LaLiga erwartet die Königlichen am Sonntag also ein anderes Kaliber. Das hat sich bereits während der Supercopa vor einigen Wochen angedeutet. Um den formstarken Dauerrivalen dennoch zu bezwingen, müssen die Merengues vor allem drei Dinge berücksichtigen:

  1. Eigene Stärken fokussieren: Ohne Frage werden Carlo Ancelotti und sein Staff Xavis Spielidee analysiert und identifiziert haben. Doch anstatt vehement zu versuchen, Barcelonas Spielidee zu neutralisieren (und dabei eigene Stärken zu vernachlässigen), sollten die Blancos im heimischen Bernabéu ihre Stärken auf den Platz bringen. Zum einen ist der Rekordmeister immer wieder in der Lage, ein aggressives gegnerisches Pressing aufzulösen. Zum anderen verfügt die Ancelotti-Elf ihrerseits über verschiedene Waffen. Sollte Barça im situativen 3-2-5 agieren, ergeben sich zwangsläufig Räume auf den Halbpositionen, die nach Ballgewinnen bespielt werden können. Hier dürfte vor allem Vinícius mit seinem enormen Tempo der Zielspieler Nummer eins sein. Denn sowohl im Eins-gegen-Eins als auch im Zusammenspiel mit Karim Benzema sollte der Brasilianer den Katalanen in solchen Situationen besonders wehtun können.
  2. Optimales Verhältnis aus Passsicherheit, Dynamik und Aggressivität finden: Eine der schwierigsten Aufgaben stellt vermutlich die Besetzung des Mittelfelds dar. Die Erfahrungen aus dem PSG-Spiel lassen den Rückschluss zu, dass Passsicherheit allein vermutlich nicht genügen wird. Folglich wäre es denkbar, Valverde oder Camavinga als zusätzlichen, enorm dynamischen Mittelfeldspieler neben „MCK“ zu installieren. Will Ancelotti seinem 4-3-3 (in der Grundausrichtung) treu bleiben, sollten entweder Camavinga oder Valverde in das Dreiermittelfeld rücken. Ansonsten droht die Gefahr, dass das Spiel der Königlichen abermals zu statisch daherkommt.
  3. Die Festung Bernabéu nutzen: Das Spiel gegen Paris Saint-Germain hat gezeigt, welch enorme Energie die Fans im Bernabéu enfesseln können. Im Clásico könnten die Zuschauer ebenfalls zum entscheidenden Faktor werden. Dafür ist jedoch Voraussetzung, dass die Blancos ihrerseits mit einem hohen Energielevel ins Spiel gehen.

Fazit

Zusammenfassend lässt die Formentwicklung der Katalanen den Rückschluss zu, dass der Clásico auch im heimischen Estadio Santiago Bernabéu keinesfalls ein Selbstläufer wird. Die Königlichen müssen sich auf einen spielstarken Gegner einstellen, der seine ureigene DNA wiedergefunden zu haben scheint.

Nichtsdestotrotz verfügen die Merengues über derartig viel Qualität und Mentalität, dass das Vertrauen in die eigene Stärke überwiegen sollte. Dennoch wird eine genaue Gegneranalyse nötig sein, wollen die Hausherren nicht ins offene Messer laufen.

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Kommentare
Ich hab auch ne Analyse, wie wir es schaffen können:

1. Das pressing vom FCB durchbrechen wir mit Dynamik. Hier wäre Valverde essenziell. Ich würde Kroos auf die 6 packen, damit er das Spiel eröffnen kann, seine pressing Resistenz ist essenziell und aufbauen kann er mit Alaba aus der IV heraus. Alaba hat auch eine gute Spieleröffnung. Mit Mendy und Carvajal hat man schnelle Spieler um durch Doppelpässe das Mittelfeld zu überbrücken und so das Spiel breit zu machen (wegen Barcas eigentlicher 3er kette)

2. individuelle Klasse: Barca verteidigt Mann vs Mann. D.h wenn unsere Dribbler (Modric, Vinicius, Rodrygo) es schaffen 1-2 Spieler stehen zu lassen, haben wir Überzahl Situationen und somit einen Vorteil im letzten Drittel.

3. Konter: wir haben schnelle Spieler die mit Nadelstichen Barca enorm weh tun können und einen Benzema der den Ball gut halten kann, bis Verstärkung nachrückt.

4. das Bernabeu und die gute Form natürlich !!
 
Tolle Analyse!!!
Es wird sicherlich schwieriger, diesen Classico zu gewinnen. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass wir den 6. in Folge auch für uns entscheiden.
 
Sehr schöne Analyse und bildlich gut unterlegt. Deckt sich mit meiner Wahrnehmung der wenigen Spiele, die ich von ihnen gesehen habe, dass sie im Positionsspiel deutlich flexibler agieren als noch unter Koeman. Und mit den Wintertransfers haben sie an Qualität gewonnen.

Trotzdem bin ich überzeugt, müssten wir sie in dieser Form und Situation einfach schlagen - das wäre moralisch ein wichtiger Sieg, würde Barcas Lauf in der Liga brechen und die Vorherrschaft in Spanien eindeutig nach Madrid verschieben.
 

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