
Während die „Blaugranas“ im ersten Drittel der Saison unter Ronald Koeman durch LaLiga stolperten (Platz neun, 15 Punkte, 15:11 Tore), ist der ewige Rivale unter Neu-Coach Xavi Hernández wieder stark auf dem Vormarsch. 34 Zähler aus 15 Ligaspielen bedeuten einen Punkteschnitt von 2,27 Punkte/Spiel. Mit 33 erzielten Toren (2,2 Tore/Spiel) verfügen die Katalanen inzwischen zudem wieder über eine der heißesten Offensivabteilungen, was nicht zuletzt auch an den Verpflichtungen von Ferran Torres, Pierre-Emerick Aubameyang oder Adama Traoré liegen mag. Allerdings hat Xavi Hernández das Spiel des in den vergangenen Jahren ins Wanken geratenen Giganten grundlegend transformiert. REAL TOTAL analysiert, welche Hebel Xavi in Bewegung gesetzt hat – und wie die Königlichen dennoch die Oberhand behalten können.
Zurück in die Zukunft: Ballbesitzorientiertes 4-3-3 als Grundordnung
Nach für Barça-Verhältnisse mitunter bitteren Spielzeiten orientiert sich Neu-Coach Xavi an der taktischen Ausrichtung, die die Katalanen zuletzt unter Pep Guardiola und Luis Guardiola an den Tag legten. So setzt die 42-jährige Vereinslegende zwar auf das jahrelang praktizierte 4-3-3-System – der frühere Weltklassemittelfeldspieler interpretiert dieses aber weitaus variabler als Vorgänger Koeman.
Ein zentraler Erklärungsansatz dafür, dass der FC Barcelona unter Xavi deutlich erfolgreicher daherkommt als unter Koeman, liegt in der Spielphilosophie begründet. So favorisiert der Spanier analog zu seinem vermutlich prägendsten Lehrmeister, Guardiola, ein ballbesitzorientiertes Spiel. Ganz im Sinne der guardiola’schen Philosophie „Wenn wir den Ball haben, kann der Gegner nicht treffen“ setzt Xavi im Unterschied zu seinen Vorgängern wieder verstärkt auf Ballbesitzfußball. So erklärte er seinen Ansatz gegenüber THE COACHES’ VOICE wie folgt: „Unabhängig vom System ist das Wichtigste am Ende die Philosophie – die totale Kontrolle des Balles.“ Und genau diese altbekannte Barça-DNA scheint sein Team in der gut viermonatigen Zusammenarbeit bereits bestens verinnerlicht zu haben.
Der Fairness halber muss jedoch erwähnt werden, dass Xavi, wie bereits erwähnt, durch gezielte und namhafte Winter-Verpflichtungen auf einen in der Breite und der Spitze besser besetzten Kader als Koeman zurückgreifen kann.
Eingerückte Außenverteidiger erlauben zentrumslastiges Aufbauspiel
In der Spielauslösung setzt Xavi, wie fast alle Teams im Profifußball, auf eine Überzahlsituation in der ersten Linie. Agiert der Gegner lediglich mit einer Spitze, genügen dafür die beiden Innenverteidiger, zuletzt Gerard Piqué und Eric García. In dem Fall können die Außenverteidiger klassisch hochschieben und erste Tiefenoptionen am Flügel bieten, während Sergio Busquets im Zentrum anspielbar ist. In solchen Situationen bildet zumeist einer der beiden „Achter“ eine zweite, leicht versetzte Anspielstation, da Busquets in der skizzierten Statik ansonsten einfach zugestellt wird. Das erlaubt es den Katalanen in der Regel, durch ein Überladen des Zentrums in jenem Bereich den freien Mann zu finden. Schiebt der Gegner ins Zentrum durch, ergeben sich auf einer tiefen Flügelposition Anspielstationen.

Verhältnismäßig häufiger sehen sich die Katalanen in der Spielauslösung jedoch zwei oder gar drei Gegenspielern gegenüber. Klassischerweise würde in einer solchen Situation der defensive Mittelfeldspieler in eine dynamische Dreierkette abkippen. Die „Achter“ würden sich in Richtung des eigenen Tores bewegen und die eigentliche „Sechs“ besetzen. Die Außenverteidiger müssten hochschieben, die offensiven Flügelspieler einrücken und der Mittelstürmer sich auf die offensive Mittelfeldposition bewegen.

Xavi verfolgt jedoch einen anderen Ansatz: So setzt der Neu-Coach auf einrückende Außenverteidiger. Das bedeutet in der Praxis, dass in der Regel Jordi Alba zum dritten Aufbauspieler wird. Dani Alves schiebt hingegen etwas höher, immer mit der Option, neben Busquets eine zweite zentrale Anspielstation in der Tiefe darzustellen.
Verzicht auf klassische Außenverteidiger und viele Anspielmöglichkeiten in der Tiefe
Als Folge dieser Maßnahme können die „Achter“ deutlich höher schieben, sodass der FC Barcelona zumeist in einer Art dynamischem 3-2-5 agiert und somit über fünf Anspielstationen in der Tiefe verfügt. Interessanterweise binden die hochgeschobenen „Achter“ nicht selten die gegnerischen Außenverteidiger, sodass die Flügelspieler des Pokalsiegers spieloffen eingesetzt werden können. Das erlaubt Eins-gegen-Eins-Situationen am Flügel, die durch Spieler wie Traoré, Aubameyang oder Dembélé aufgelöst werden können.

Zugleich bieten sich dem jeweiligen Ballbesitzer – egal, ob im Zentrum oder am Flügel – verschiedene gruppentaktische Optionen. Aufgrund des hohen Tempos einlaufender Spieler sind Steckpässe, Doppelpässe oder das gern praktizierte Spiel über den Dritten in einer hohen Feldposition mit gleich oder gar partieller Überzahl vielversprechende Alternativen. Durch Rochaden auf den jeweiligen Seiten (eingerückter Außenverteidiger, zentrale Mittelfeldspieler, hochgeschobene „Achter“ und Flügelspieler) wird der Gegner verstärkt vor Zuordnungsprobleme gestellt.
Bei gegnerischem Ballbesitz: Gute Kontersicherung trifft auf mutiges Pressing
Die Statik von drei zentralen Aufbauspielern und zwei zentralen Mittelfeldspielern beinhaltet zudem eine bessere Kontersicherung, da das Zentrum automatisch geschlossen und ein situatives Reagieren auf das Attackieren der Halb- oder Außenpositionen möglich ist. Folglich ist die Xavi-Elf nach Ballverlusten deutlich stabiler.

Verteidigt der FC Barcelona hingegen einen geordneten Ballbesitz des Gegners, setzt Xavi in der Regel auf ein 4-3-3- respektive 4-3-2-1-Pressing mit klarer Mann-zu-Mann-Orientierung in vorderster Linie. So lenkt der zentrale Angreifer den gegnerischen Angriff durch ein bogenförmiges Anlaufen zumeist auf eine Seite. Dort erhält er Unterstützung vom ballnahen Außenspieler, der nach dem erfolgten Zuspiel auf den gegnerischen Außenverteidiger Druck erzeugen soll. Der ballferne Flügelspieler schließt oftmals den Passweg ins Zentrum, während der ballnahe „Achter“ und der defensive Mittelfeldspieler nachschieben und die Tiefenpasswege zustellen. Da der Außenverteidiger zudem den Longline-Pass zustellt, generiert Barça viele gezielte, mitunter auch hohe Ballgewinne.
So kann Real den formstarken Rivalen schlagen
Im Vergleich zum Hinspiel in LaLiga erwartet die Königlichen am Sonntag also ein anderes Kaliber. Das hat sich bereits während der Supercopa vor einigen Wochen angedeutet. Um den formstarken Dauerrivalen dennoch zu bezwingen, müssen die Merengues vor allem drei Dinge berücksichtigen:
- Eigene Stärken fokussieren: Ohne Frage werden Carlo Ancelotti und sein Staff Xavis Spielidee analysiert und identifiziert haben. Doch anstatt vehement zu versuchen, Barcelonas Spielidee zu neutralisieren (und dabei eigene Stärken zu vernachlässigen), sollten die Blancos im heimischen Bernabéu ihre Stärken auf den Platz bringen. Zum einen ist der Rekordmeister immer wieder in der Lage, ein aggressives gegnerisches Pressing aufzulösen. Zum anderen verfügt die Ancelotti-Elf ihrerseits über verschiedene Waffen. Sollte Barça im situativen 3-2-5 agieren, ergeben sich zwangsläufig Räume auf den Halbpositionen, die nach Ballgewinnen bespielt werden können. Hier dürfte vor allem Vinícius mit seinem enormen Tempo der Zielspieler Nummer eins sein. Denn sowohl im Eins-gegen-Eins als auch im Zusammenspiel mit Karim Benzema sollte der Brasilianer den Katalanen in solchen Situationen besonders wehtun können.
- Optimales Verhältnis aus Passsicherheit, Dynamik und Aggressivität finden: Eine der schwierigsten Aufgaben stellt vermutlich die Besetzung des Mittelfelds dar. Die Erfahrungen aus dem PSG-Spiel lassen den Rückschluss zu, dass Passsicherheit allein vermutlich nicht genügen wird. Folglich wäre es denkbar, Valverde oder Camavinga als zusätzlichen, enorm dynamischen Mittelfeldspieler neben „MCK“ zu installieren. Will Ancelotti seinem 4-3-3 (in der Grundausrichtung) treu bleiben, sollten entweder Camavinga oder Valverde in das Dreiermittelfeld rücken. Ansonsten droht die Gefahr, dass das Spiel der Königlichen abermals zu statisch daherkommt.
- Die Festung Bernabéu nutzen: Das Spiel gegen Paris Saint-Germain hat gezeigt, welch enorme Energie die Fans im Bernabéu enfesseln können. Im Clásico könnten die Zuschauer ebenfalls zum entscheidenden Faktor werden. Dafür ist jedoch Voraussetzung, dass die Blancos ihrerseits mit einem hohen Energielevel ins Spiel gehen.
Fazit
Zusammenfassend lässt die Formentwicklung der Katalanen den Rückschluss zu, dass der Clásico auch im heimischen Estadio Santiago Bernabéu keinesfalls ein Selbstläufer wird. Die Königlichen müssen sich auf einen spielstarken Gegner einstellen, der seine ureigene DNA wiedergefunden zu haben scheint.
Nichtsdestotrotz verfügen die Merengues über derartig viel Qualität und Mentalität, dass das Vertrauen in die eigene Stärke überwiegen sollte. Dennoch wird eine genaue Gegneranalyse nötig sein, wollen die Hausherren nicht ins offene Messer laufen.
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