
MADRID. Im Sommer 2012 wurde sein Traum nach langem Tauziehen endlich wahr: Über einen Trainingsstreik bei dessen damaligen Arbeitgeber Tottenham Hotspur ertielten die Londoner “endlich” die Freigabe für Luka Modrić und der Kroate wechselte zu den Blancos. Auch andere Vereine, unter anderem das von Sir Alex Ferguson dirigierte Manchester United bekundete damals großes Interesse. Der schottische Teamchef schwärmte von Modrić und attestierte ihm, der beste Mittelfeldspieler der Premier League zu sein. “Er macht praktisch nie Fehler”, fasste die Vereinslegende der “Red Devils” knapp zusammen. In Madrid war der schmächtige Mittelfeldmotor zwar (noch) nicht auf Anhieb der Dreh- und Angelpunkt, allerdings auch geprägt durch seine Erfahrungen aus der englischen, kroatischen, vor allem aber auch der bosnischen Liga sowie den Kindheitserlebnissen – aufgewachsen ist er in einem Kriegsgebiet – konnte er eine Sache bereits besonders gut: sich durchsetzen.
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Ein Künstler am Ball, der auch anderweitig überzeugt
Genau das tat der 35-Millionen-Neuzugang eindrucksvoll in der spanischen Hauptstadt. Durch beständige Leistungen spielte er sich bei jedem seiner Trainer in die Startelf, durch Attribute wie absolute Ballsicherheit, uneingeschränkte Übersicht oder auch unermüdliche Laufbereitschaft machte sich Luka Modrić mit der Zeit bei den Merengues immer mehr zum unersetzbaren Baustein. Berichten zufolge soll “Lukita” letztlich auch einer der Gründe für den späteren Abgang von Mesut Özil gewesen sein, denn zwischen den beiden Protagonisten hatte sich offenbar Carlo Ancelotti entscheiden sollen. Das Ergebnis ist bekannt. Auch noch nach dessen Amtszeit in Madrid blieb der italienische Trainer-Routinier ein Fan des 34-Jährigen, ist der Kroate doch der einzige Spieler, den “Carletto” zu “100 Prozent” in seiner Traumelf von ihm jemals trainierter Spieler aufstellen würde: “Er ist technisch sehr stark, kann das Spiel lesen und hat eine tolle Persönlichkeit. Zudem ist er eine sehr sympathische Person”, fasste der aktuelle Übungsleiter des SSC Neapel die Stärken seines Ex-Schützlings einst zusammen.
Und Ancelotti hat nicht Unrecht: Egal wo das Spielgeschehen sich hinbewegte, Modrić war immer schon dort. Spielerisch konnte er sich auf engstem Raum entfalten und die Angriffe einleiten, zur Not aber auch einmal dazwischen grätschen, wenn es in der eigenen Hälfte brenzlig werden sollte. Angesichts, oder gerade trotz seiner schmächtigen Statur – sozusagen ein “Zweikampf-Ungeheuer” – in jedem Fall aber ein kompletter Mittelfeldspieler, mit der unnachahmlichen Fähigkeit, magische Momente so einfach aussehen zu lassen. Der Mann aus Zadar ermöglichte erst die Entfaltung seiner Vorderleute, und das in einer unvergleichbar unaufgeregten Art. Die Nummer 10 fand stets Lösungen für Aufgaben, die eigentlich nicht gelöst werden können. Hinterlassen hatte er dabei nur erstaunte Gesichter.

Auf diese Weise avancierte der Kroate immer mehr zum Fixpunkt im königlichen Mittelfeld – speziell die Jahre 2014 und 2015 waren wohl seine sportlich besten im weißen Trikot. 2017/18 stagnierte die Formkurve bereits etwas, und doch schrieb die WELT er sei der “Stern, um welchen sich die Galaktischen drehen”. Nach bereits drei Champions-League-Titeln und jeweils einem Triumph in Meisterschaft sowie Pokal sollte 2018 dann endgültig (aus Titelsicht) das Jahr des “Mozarts vom Balkan” werden, oder wie er selbst sagen sollte: das “Jahr meines Lebens”. Nach dem vierten Erfolg in der Königsklasse quittierte auch Cristiano Ronaldo die Leistungen seines Vordermannes simpel mit “Modrić entscheidet, wie wir spielen” und lenkte den Blick der Öffentlichkeit erstmals auf den sonst zurückhaltenden Spielgestalter. Eine einfache Aussage, die aber vieles ausdrückte: Die Nummer 10 der Blancos zieht die Strippen. All die Sensation um die Titel- und Torrekorde von CR7 und Co. fädelt(e) Modrić erst ein. Doch nun sollte der Spieler, welcher seine gesamte Karriere andere glänzen hatte lassen, endlich selbst im Rampenlicht stehen.
Den anschließenden WM-Sommer nutzte “el Pony”, um dann auch für Furore im Dress seiner Landesauswahl zu sorgen und konnte letztlich erst von Weltmeister Frankreich im Finale gestoppt werden. Nicht alleine, aber maßgeblich für diesen Sensationserfolg verantwortlich: Luka Modrić. Ivan Rakitić, sein Nebenmann in der kroatischen Auswahl, adelte seinen Landsmann bereits während des Turniers: “Luka ist nicht nur der beste unserer aktuellen Spieler, er ist der beste kroatische Spieler der Geschichte!”
Diese Meinung war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr exklusiv: Nur folgerichtig erhielt der in Zadar geborene Regisseur für die Leistungen in jenem Jahr die Auszeichnung des Weltfußballers. Modrić war endgültig auf dem Fußballthron und erstmals aus dem Schatten anderer Superstars, wie Lionel Messis oder Ronaldos getreten, in dem er die beiden bei jener Wahl nach Jahren der Dominanz hinter sich lassen konnte und aus seiner Sicht “stellvertretend für andere Mittelfeldspieler”, wie Andres Iniesta oder Wesley Sneijder, diese Trophäe erhalten hatte.

Diese individuelle Auszeichnung sollte allerdings schon sehr bald kritische Stimmen auf den Plan rufen, welche bei jedem kleineren Misserfolg des Kroaten laut wurden. Deshalb kam das Krisenjahr 2018/19 der Königlichen auch für Modrić zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Viel gelang in der spanischen Hauptstadt nicht mehr und in Bezug auf “LM10”, der ohnehin eher als der Mann für den vorletzten Pass gilt und abhängig von der Chancenauswertung seiner Vorderleute ist, wurde zunehmend die Berechtigung seiner Auszeichnung hinterfragt. Eine Spielzeit komplett ohne (großen) Titel – nicht nur für Real Madrid ein Fiasko, auch dem Kroaten wurde plötzlich angedichtet, der Erfolg 2018 hätte die Auszeichnung zum besten Fußballer der Welt nicht gerechtfertigt. Ein Zustand, der zumindest im Hinterkopf an einem Sportler nagen kann.
“El Pony” findet nicht mehr in den Tritt
Als dann endlich die “Seuchen-Spielzeit” 2018/19 vorüber war und der Sommer ohne Länderspiele zur Regeneration genutzt werden konnte, stand auch für den inzwischen 34-jährigen Modrić ein neuer, womöglich letzter Anlauf auf dem Programm. Interessenten an einer Verpflichtung des Kroaten, schob Pérez in dieser Zeit einen Riegel vor, auch wenn sich Berichte häuften, dass Zidane nicht (mehr) gänzlich zufrieden mit dem (ehemaligen) Schlüsselspieler sei – der Flirt mit Paul Pogba scheiterte nur an dessen Ablöse und hätte Modrić in der Gunst Zidanes weiter sinken lassen können. Bedingsloses Vertrauen in den Routinier, dessen Vertrag bis zum Sommer 2021 Gültigkeit besitzt, war daher nicht zu spüren an der Concha Espina. Wie heute bekannt ist, blieb Modrić dennoch dem Madridismo treu. Er weiß seine Rolle einzuschätzen und setzt weitere Ziele: “Ich bin jetzt einer der Ältesten im Team, was eine Verantwortung ist. Ich bin mir sicher, dass Madrid eine bessere Saison haben wird. Mal sehen, ob wir einige wichtige Titel gewinnen können, etwas, das die Fans verdienen.”
Doch der Start in die neue Spielzeit verlief denkbar ungünstig: Nicht nur, dass der Motor Reals auch weiterhin alles andere als flüssig läuft und Modrić dafür teilweise verantwortlich gemacht wird, sondern auch, weil sich der Routinier direkt im ersten Ligaspiel einen Platzverweis einhandelte. Nach abgesessener Sperre kam es für Modrić zu einem Kurzeinsatz, ehe er drei Ligaspiele wegen einer Muskelverletzung zusehen musste, welche er sich bei der Nationalmannschaft zugezogen hatte. Zwei weiteren Kurzeinsätzen folgte bereits die nächste Länderspielpause, wovon “Lukita” erneut mit einer Blessur zurückkehrte und wieder aussetzen musste. Rhythmus? Fehlanzeige! Keine guten Zeichen, gerade in diesem Alter: Nur in zwei von möglichen 14 Saisonspielen stand Modrić in der Startelf, 20 Prozent der möglichen Einsatzzeit absolvierte er auf dem Rasen. Beim 5:0-Erfolg gegen Leganés durfte er nach einer guten Stunde Kroos ersetzen, als das Spiel unlängst entschieden war.
Hat er seinen Stammplatz bei Real Madrid auch aufgrund zu vieler Länderspiele verloren? Erinnerungen an andere Mittelfeld-Stars wie Xabi Alonso werden wach, die noch rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannten, und aus der Nationalmannschaft zurück traten, um sich auf Klub und Familie zu konzentrieren – beim 34-Jährigen anscheinend noch kein Gedanke. Die Quittung hat er dafür nun.

Der “Absturz” “gipfelte” zuletzt wohl darin, dass der vor einem Jahr beste Kicker des Planeten in 2019 nicht mal zur 30-köpfigen Weltfußballer-Vorauswahl gehört. Daher lautet die große Frage, ob Modrić noch einen beachtlichen Beitrag zu einer erfolgreichen Spielzeit leisten kann, oder ob er inzwischen nicht mehr die körperlichen Voraussetzungen mitbringt, um den Königlichen bei den ambitionierten Zielen zu helfen? Sein Spiel lebte schon immer von der Physis, da stößt man im Alter an Grenzen. Zahlt der Kroate nun den Tribut für die enormen Belastungen der vergangenen Jahre? Vielleicht zu vorschnell: Gegen Granada (4:2) hatte der 1,65 Meter große Stratege nochmal gezeigt, was er drauf hat und auch Zidane schwärmte wieder: “Modrić kann auf vielen Positionen spielen und ich bin glücklich mit ihm.”
Daher scheint der Franzose noch auf “el Pony” zu setzen. Auch wenn sein absoluter Zenit überschritten sein mag und er nicht mehr zu den Besten der Welt gehört, aber abschreiben darf man ihn nicht. Der “Hijo de la Guerra” (Sohn des Krieges), wie ein über ihn verfasstes Buch betitelt ist, weiß nämlich, sich durchzusetzen und Kritiker zum Schweigen zu bringen. Es wäre nicht das erste Mal, wenn ihm das auch in dieser Saison noch gelingen würde.
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