
Situation im Vinícius eskaliert
Spaniens Fußball ist um ein weiteres hässliches Kapitel reicher. Wieder einmal (leider) im Mittelpunkt des Geschehens: Real Madrids Vinícius Júnior, der bei Real Madrids Gastspiel in Valencia zunächst massiv rassistisch beleidigt wurde und im weiteren Verlauf der Partie nach einer Rudelbildung einen mehr als streitbaren Platzverweis erhielt. Seinen Anfang nahm der Wahnsinn in der 72. Spielminute, als Vinícius über die linke Seite versuchte, in den Strafraum einzudringen, und Valencias Eray Cömert einen zweiten, sich zu diesem Zeitpunkt im Spielfeld befindlichen, Ball in Richtung des Brasilianers drosch und diesen so auf kuriose Weise vom Ball trennte. Als wäre jene Szene nicht schon kurios und aufregend genug, war Vinícius plötzlich gar nicht mehr zu halten und gestikulierte völlig aufgebracht in Richtung der valencianischen Fankurve. Schnell war klar: Es gab offensichtlich rassistische Anfeindungen aus dem Valencia-Lager, der Brasilianer schien den Verdächtigen sogar identifizieren zu können.
Die Folge: Eine fast zehnminütige Unterbrechung mit hitzigen Diskussionen, Schiedsrichter Ricardo de Burgos Bengoetxea setzte das Rassismus-Protokoll in Gang, die Stimmung im Mestalla blieb jedoch aufgeheizt und im Stadion waren deutliche „Mono“-Rufe (spanisch für Affe; d. Red.) zu vernehmen. Carlo Ancelotti rief infolgedessen seinen Spieler zu sich und erwog sogar eine Auswechslung, Vinícius wollte jedoch weiterspielen. In der Schlussphase der Partie ist die Stimmung dementsprechend hitzig, der Brasilianer wird (wieder einmal) zum Hassobjekt hochstilisiert und bei jeder Ballberührung gnadenlos ausgepfiffen.
In der Nachspielzeit eskaliert die Situation dann jedoch komplett: Im Zuge einer Ecke rückt Valencia den Ball nicht sofort raus, weshalb sich eine Rangelei zwischen Antonio Rüdiger und einem Valencia-Akteur entwickelt. Und danach gerät die Situation komplett aus dem Ruder, es kommt zu einer unübersichtlichen Rudelbildung, an dessen Ende Vinícius Júnior aufgrund eines Wischers gegen Hugo Duro per Videobeweis vom Platz gestellt wird. Dass er zuvor von jenem Spieler in den Würgegriff genommen und von einigen Spielern des Gegners verbal angegangen wurde, wird in der Beurteilung der Szene jedoch nicht berücksichtigt. Vinícius verlässt daraufhin unter tosenden Pfiffen den Platz und wieder sind deutliche Affen-Rufe zu vernehmen, der Brasilianer antwortet bei seinem Abgang mit „a Segunda“-Gesten in Richtung der Fans, was erneut für Tumulte sorgt. Nach erneuter kurzer Aufregung konnte das Spiel letztlich fortgesetzt und zu Ende gespielt werden, das Sportliche interessierte am Ende aber kaum noch.
Ancelotti plädiert für Spielabbruch
Dass etwas Gravierendes vorgefallen sein muss, merkt man spätestens, wenn selbst ein in sich ruhender Mensch wie Ancelotti aus der Haut fährt und nicht mal im Ansatz zulässt, dass über Fußball gesprochen wird. So machte der Italiener gleich zu Beginn der Pressekonferenz deutlich, dass er keine Lust habe, über das Sportliche zu reden und verschaffte seiner Wut umgehend Luft.
In seinen Augen wäre ein Spielabbruch die einzige Lösung gewesen: „Ich habe mit ihm gesprochen während des Spiels, weil die Stimmung im Stadion sehr aufgeheizt, sehr schlecht war. Einen Spieler auszuwechseln, weil es rassistische Vorfälle gibt, kann nicht sein. Man wechselt einen Spieler wegen seiner Leistung aus, aber nicht wegen sowas. Schlimm, dass ich darüber nachdenken musste. Solche Vorfälle gab es schon oft, aber so wie heute? Das ist noch nie passiert. Die spanische Liga hat ein ernsthaftes Problem und das ist nicht Vinícius. Was man tun muss? Ich bin nicht der Richtige, um das zu beurteilen, aber so kann kein Fußball gespielt werden. Wir haben nicht gut gespielt, es fehlte etwas die Motivation, aber das ist einfach zu gravierend. Es kann nicht sein, dass einfach ein zweiter Ball im Spiel auftaucht und das während eines Angriffs. Dann beleidigen sie Vinícius die ganze Zeit und zum Schluss bekommt er die Rote Karte. Was soll das? Ich bin sehr traurig, denn die spanische Liga hat so großartige Teams und eine tolle Stimmung, aber wir sind im Jahr 2023, sowas darf nicht passieren. Rassismus darf keine Rolle spielen. Die einzige Lösung für mich ist, das Spiel abzubrechen. Aber dann gibt es eben diese Protokolle, die besagen, dass zuerst Verwarnungen ausgesprochen werden müssen usw. Wir hätten einfach aufhören und nach Hause fahren müssen.“
Einmal in Fahrt, legte der 63-Jährige weiter nach: „(Man muss) das Spiel abbrechen, für mich gibt es keine andere Lösung. Aber so kann ein Spiel doch nicht weitergehen, wenn ein Spieler ständig gefoult und beleidigt wird. Es ging hier nicht nur um eine Person, das ganze Stadion hat verrückt gespielt. Ich habe dem Schiedsrichter gesagt, dass ich ihn runternehmen will, doch er meinte, dass er weiterspielen müsse und wenn das nochmal passiert, dann … aber dann bekommt er Rot und das ganze Stadion brüllt ‚Affe, Affe, Affe‘. Und dann? Ich kann nicht viel dazu sagen, sowas ist mir noch nie passiert. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, einen Spieler wegen Beleidigungen vom Feld zu nehmen. Und Vinícius ist wie ein Kind, er will einfach Fußball spielen. Er meinte zu mir, dass er weiterspielen wolle, aber unter diesen Umständen? Und unsere Fans können ihn am Mittwoch nicht spielen sehen, weil sich hier irgendwas ausgedacht wird. Er hat versucht, sich aus den Griffen anderer Spieler zu befreien und bekommt dafür die Rote Karte.“
Courtois verspricht Solidarität
Auch die Mitspieler stießen in die gleiche Kerbe. Thibaut Courtois betonte, dass er sich bei einem möglichen frühzeitigen Abgang seines Teamkollegen solidarisch gezeigt hätte: „Eines Tages müsst ihr eine Kamera auf diese Leute richten, was diese Leute von sich geben, ist verrückt. Der Fußball hat sich dahin entwickelt, ins Stadion zu gehen und die Leute zu beschimpfen statt anzufeuern. Der Schiedsrichter hat gesagt, dass er das Rassismus-Protokoll aktiviert habe. Wenn Vini sagt, er möchte nicht mehr weiterspielen, verlasse ich mit ihm das Feld. Wenn er ihm dann später die Rote Karte zeigt, ok, aber der Erste der fliegen muss, ist Hugo Duro, der ihm an die Gurgel geht. Wenn er sagt, dass er geht, gehe ich mit. Das darf man nicht tolerieren.“
Vinícius verschafft sich via Social Media Luft
Und auch Vinícius selbst meldete sich nach dem Spiel zu Wort und verbreitete über seine Social Media-Kanäle ein Statement, in dem er LaLiga scharf kritisierte und deutlich machte, auch in Zukunft für den Kampf gegen Rassismus einzustehen: „Es war weder das erste, noch das zweite, noch das dritte Mal. Rassismus ist in LaLiga normal. Die Konkurrenz hält es für normal, der Verband auch und die Gegner ermutigen es. Es tut mir leid. Die Meisterschaft, die einst Ronaldinho, Ronaldo, Cristiano und Messi gehörte, gehört heute den Rassisten. Eine wunderschöne Nation, die mich willkommen geheißen hat und die ich liebe, die sich aber bereit erklärt hat, das Bild eines rassistischen Landes in die Welt zu exportieren. Es tut mir leid für die Spanier, die anderer Meinung sind, aber heute gilt Spanien in Brasilien als Land der Rassisten. Und leider habe ich für alles, was jede Woche passiert, keine Verteidigung. Ich stimme zu. Aber ich bin stark und werde bis zum Ende gegen Rassisten vorgehen. Auch wenn weit weg von hier.“
Das Rassismus-Problem geht über die Stadien hinaus
Das größte Problem rund um die Personalie Vinícius ist allerdings, dass es immer wieder Versuche gibt – auch medial (Chiringuito und Co. lassen grüßen) –, die Anfeindungen gegenüber dem Brasilianer aufgrund dessen (angeblicher) Provokationen zu rechtfertigen. So wählte Valencia-Trainer Rubén Baraja auf der Pressekonferenz mindestens unglückliche Worte, als er auf das Thema Rassismus im Mestalla angesprochen wurde und gleichzeitig Vinícius’ Gesten in Richtung der Fans kritisierte: „Ich habe das Gefühl, dass, wenn Respekt für Madrid verlangt wird, man auch Respekt für unsere Fans verlangen sollte. Wenn du provozierst, dass eine solche Situation entsteht, sorgst du nicht dafür, dass das Problem gelöst wird. Was mich beschäftigt, ist, dass ich das Gefühl habe, dass wir heute kein Fußballspiel absolviert haben.“
Ja, die Gesten des Brasilianers in Richtung des Publikums waren ebenfalls unpassend und es ist ebenso nicht richtig, ein komplettes Stadion unter Generalverdacht zu stellen, dennoch lassen sich die rassistischen Vorfälle nicht von der Hand weisen und sind schon gar nicht durch irgendeine Art von Gegenhandlung zu rechtfertigen. Niemals. Unter keinen Umständen. Und genau hier stehen sowohl die Liga als auch die Medien in der Pflicht, für einen 22-jährigen Menschen, der wiederholt das Opfer massiver Anfeindungen wurde, einzustehen. Denn auch wenn Vinícius’ Reaktion nicht unbedingt die angemessene war, so war sie in jedem Maße verständlich. Dass selbst nach solchen Vorfällen wie im Mestalla versucht wird, den Brasilianer vorrangig in die Täterrolle zu drängen, ist der eigentliche Skandal. Rassismus bleibt Rassismus. Punkt.
Oder um es in Daniel Ceballos’ Worten zu sagen: „Es ist eine Schande, dass es soweit gekommen ist. Es ist nichts neues. Vinícius wird in fast allen Stadien nicht der nötige Respekt zuteil. Er ist ein Aushängeschild dieser Liga und des Fußballs, wir müssen ihn schützen. Ich weiß nicht, wohin das ganze führt.“ Wenn man die Situation so weiter laufen lässt, jedenfalls zu nichts Gutem.
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