
Am Ende brachte es Carlo Ancelotti auf seine gewohnt pragmatische Art und Weise ganz gut auf den Punkt: „Es sind am Ende drei Punkte, die wir dem Gegner wegnehmen. Barcelona ist ein starkes Team mit vielen Ressourcen. Die Saison ist sehr lang, hat noch viele Spiele. Wir sind sehr zufrieden mit dem Spiel, aber mehr auch nicht.“ Bedeutet: Bei Real Madrid verfällt niemand trotz des überzeugenden und verdienten 3:1-Erfolgs über den FC Barcelona in grenzenlose Euphorie, in Anbetracht des weiterhin gnadenlosen Spielplans in den nächsten Wochen bleibt dafür ohnehin kaum Zeit. Dennoch: Unter den Tisch reden sollte man den Auftritt gegen den Erzrivalen auf gar keinen Fall, schließlich waren auch die Katalanen – wenngleich in der Champions League erneut am Straucheln – in dieser Liga-Spielzeit bislang noch ungeschlagen und Clásicos ohnehin dafür berüchtigt, stets ihre eigenen Geschichten zu schreiben, unabhängig vom aktuellen Tabellenbild und der Form der jeweiligen Teams.
All das blendeten die Blancos diesmal nonchalant aus und setzten mit einem abermals sehr reifen und abgeklärten Auftritt in einem Spitzenspiel ein ordentliches Statement. Und auch wenn in erster Linie natürlich die geschlossene und konzentrierte Teamleistung zu loben ist, kommt man um ein dickes Sonderlob für einen einzelnen Akteur einfach nicht herum: Denn was Toni Kroos an diesem Sonntagnachmittag auf den Rasen im Bernabéu hinlegte, war mit Sicherheit eine der besten individuellen Performances in einem Clásico der letzten Jahre. Mit Ball in gewohnter Manier Dreh- und Angelpunkt inklusive Pre-Assist zum 1:0, überragte der Deutsche diesmal auch mit einer defensiven Präsenz und Aggressivität im Spiel gegen den Ball, wie man sie von ihm in dieser Form nur ganz selten gesehen hat. Auch die AS schrieb: „Kroos war der Boss des Spiels, der Chef des Clásico. Er spielte, wie er wollte.“
Ein rundum überzeugender Auftritt, der vor allem deutlich machte: Auf einen Kroos in dieser Form kann Real Madrid eigentlich (noch) nicht verzichten. Das Problem: Noch steht (zumindest offiziell) nicht fest, ob der Greifswalder auch nächste Saison noch das Trikot der Königlichen trägt. Ein unterschriftsreifer Vertrag über eine Verlängerung für ein weiteres Jahr liegt dem Vernehmen nach längst vor, eine endgültige Entscheidung, ob Reals Nummer 8 ihre Karriere über den Sommer hinaus fortsetzt, steht aber noch aus. Kroos betonte in der Vergangenheit immer wieder, wie wichtig es ihm sei, seinen Rückzug aus dem Fußball nicht unnötig künstlich in die Länge zu ziehen und mehr oder weniger am Höhepunkt abzutreten. Hierfür den richtigen Zeitpunkt zu finden, sei nicht immer ganz einfach.
Stand jetzt käme ein Karriereende zu Saisonschluss – zumindest von außen betrachtet – gefühlsmäßig zu früh. Zu wichtig ist Kroos für diese Mannschaft, zu stark sind aktuell seine Leistungen. Durch den Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft konnte Reals Mitteldfeldstratege die letzten Jahre nochmal wichtige Ressourcen freischaufeln, die temporären Pausen und der Verzicht auf die kräftezehrenden Reisen tun dem Greifswalder merklich gut. Wer Kroos im Clásico und auch die letzten Monate beobachtete, erkennt dies sofort. Eine Führungsfigur war der Weltmeister von 2014 ja eigentlich schon immer, doch in dieser Spielzeit füllt er diese deutlich spürbar mit noch mehr Leben, wirkt unheimlich aufgeräumt und versprüht extrem viel Energie. Aus diesem Grund schickt man an der Concha Espina aktuell vermutlich täglich ein oder zwei Stoßgebete Richtung Himmel, dass Kroos das vorliegende Angebot nun endlich annimmt und zumindest in der nächsten Saison noch im königlichen Trikot aufläuft.
Ein Faktor, der dafür sprechen könnte, ist das Bernabéu: Kroos betonte unlängst, dass es durchaus eine Motivation sei, im fertiggestellten neuen Stadion aufzulaufen. Da dies aber erst zur kommenden Spielzeit der Fall sein wird, darf man sich hier durchaus berechtigte Hoffnungen machen, dass „Antonio“ noch ein Jahr dran hängt. Und vielleicht erinnert sich der Greifswalder ja auch einen seinen ehemaligen Trainer, einen gewissen Zinédine Zidane, der immer mal wieder durchblicken ließ, dass das eigene Karrierende mit 34 Jahren möglicherweise ein oder zwei Jahre zu früh kam. Und wenn der Clásico eines zeigte, dann definitiv eines: Leer ist der Tank bei Toni Kroos noch lange nicht – und für Real Madrid ist und bleibt er in dieser Verfassung unverzichtbar. Und so hoffe ich, dass ich einen ähnlichen Text in knapp einem Jahr wieder verfassen kann: Weil Toni Kroos auch in der Saison 2023/24 dem Clásico mal wieder seinen Stempel aufgedrückt hat…
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