
Und dann kam „Zizou“
MADRID. Als Zinédine Zidane im Januar 2016 bei Real Madrid als Cheftrainer der ersten Mannschaft anheuerte, waren die Königlichen am Boden. In der Meisterschaft lag man (mal wieder) mehr oder weniger aussichtslos hinter dem FC Barcelona zurück, in der Copa del Rey musste man nach dem unrühmlichen Cheryshev-Gate bereits in der ersten Runde die Segel streichen – lediglich in der Champions League war man damals noch im Rennen. An den Titelgewinn glaubte zu diesem Zeitpunkt allerdings niemand so wirklich. Zu groß waren die Unruhen rund um das Team, zu groß schien die Hypothek der mangelnden taktischen Identität und der Unausgewogenheit des damaligen Kaders. Hatte man nach dem Königsklassen-Triumph 2014 noch oftmals von dem Beginn einer Ära geschwärmt, schien diese nur eineinhalb Jahre später schon wieder vorbei, bevor diese überhaupt so richtig begonnen hatte. Doch dann kam „Zizou“.
Dem charismatischen Franzosen gelang es, den Blancos eine unvergleichliche Sieger-Mentalität einzuimpfen und durch ausgewählte taktische Kniffe, wie beispielsweise der festen Installierung von Casemiro als Abräumer vor der Abwehr, das Team insbesondere auf europäischer Ebene wieder konkurrenzfähig zu machen. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Mit dem „Threepeat“ in der Champions League stellten Zidane und Co. vermutlich einen Rekord für die Ewigkeit auf, auch die Bilanz von insgesamt neun Titeln während seiner gerade einmal zweieinhalb Jahre umfassenden Trainertätigkeit sucht seinesgleichen. Trotz der großen Erfolge machten sich – wie im Sport nicht unüblich – jedoch insbesondere in der Meisterschaft Abnutzungserscheinungen bemerkbar, sodass „Zizou“ am Ende der Saison trotz erneutem Champions-League-Titel die Reißleine zog und zurücktrat.
Die Mannschaft benötige einen neuen Diskurs, begründete der frühere Spielmacher seine Entscheidung, er “sehe einfach nicht”, dass das Team unter seiner Führung “weiterhin gewinnen” würde. Und weil Zidane ein Gewinnertyp ist, tat er das, was er als Spieler bereits getan hatte: Er trat am Höhepunkt ab. Und auch wenn er das öffentlich vermutlich niemals zugeben würde, waren es wohl vor allem Meinungsverschiedenheiten mit Pérez über die personelle Ausrichtung des Kaders, die dazu führten, dass sich der Franzose zu diesem Schritt gezwungen sah. Mittlerweile ist man sogar geneigt zu sagen, er habe die Entwicklung der letzten Monate genau so kommen sehen und zog deshalb die Notbremse.
Zidanes Ankündigung
Neun Monate später ist Zidane nun also wieder zurück. Weil die „Batterien wieder aufgeladen“ seien, wie er bei seiner Präsentation erklärte – und weil er vermutlich die entsprechende personelle Entscheidungsgewalt zugesprochen bekam, die ihm vor wenigen Monaten noch verwehrt wurde. Die Ausgangssituation scheint auf den ersten Blick verdammt ähnlich zu der vor drei Jahren. Genau genommen ist sie sogar schlimmer: Nach dem unrühmlichen Achtelfinal-Aus gegen Ajax Amsterdam in der Königsklasse vor einer Woche herrscht die Gewissheit, dass man die aktuelle Saison ohne großen Titel abschließen wird. Natürlich besitzt man noch theoretische Chancen auf den Liga-Titel, so wirklich daran glauben tut man in der spanischen Hauptstadt in Anbetracht von zwölf Punkten Rückstand auf Primus Barcelona allerdings nicht.
Real benötigt eine klare Spielidee
Dass der 46-Jährige die Erfolge der letzten Jahre wiederholt, wird nämlich gar nicht unbedingt erwartet. Vielmehr geht es darum, nun Schritt für Schritt ein Team aufzubauen, das perspektivisch vielleicht wieder an die Triumphe der letzten Jahre anknüpfen kann. Zidane dürfte dabei am ehesten bewusst sein, dass die individuelle Qualität innerhalb des Teams in der Spitze nicht mehr ganz so hoch ist wie noch beispielsweise in der Spielzeit 2016/17 (wobei eine ähnliche Kadertiefe und -qualität auch in Zukunft extrem schwer zu erreichen sein dürfte). Durch den Abgang von Cristiano Ronaldo fehlt nun natürlich auch der entscheidende X-Faktor der letzten Jahre. Um dieses Vakuum zu füllen, bedarf es ausgewählter Verstärkungen. Eine Wunschliste Zidanes dürfte Pérez mit ziemlicher Sicherheit bereits vorliegen. Ob diese letztendlich auch alle erfüllt werden können, steht auf einem anderen Blatt.
Der Franzose weiß allerdings auch, dass es mit personellen Auffrischungen alleine nicht getan sein wird. Darauf lassen zumindest diverse Aussagen auf der Pressekonferenz schließen: „Ich habe nicht vergessen, was wir gewonnen haben, aber auch nicht die schlechten Momente. Wir haben die Liga verloren, die Copa. Die Champions League haben wir gewonnen, okay… Ich weiß, wo ich hier bin. Es gibt gute und schlechte Momente“, erinnerte sich der Erfolgstrainer der letzten Jahre vor allem an die durchwachsene vergangene Spielzeit und deutete damit an, dass es auch Änderungen fernab von personellen Verstärkungen geben werde.
Und genau darin liegt nun eigentlich Zidanes Kernaufgabe: Er muss einem vermeintlich satten Team nicht nur neues Leben einhauchen, sondern eine klare taktische Idee entwickeln. Weg von der Fokussierung auf die individuelle Klasse von Ausnahmekönnern wie Cristiano Ronaldo hin zu einer Stärkung des mannschaftlichen Kollektivs. Um langfristig auch in der Liga wieder kontinuierlich erfolgreich zu sein, bedarf es – und das ist eigentlich keine allzu neue Erkenntnis – einer einheitliche Philosophie und einer klare sportlichen Gesamtausrichtung, die im Idealfall nicht nur die Profis umfasst. Reals neuer starker Mann muss nun beweisen, dass er der Richtige für diese Aufgabe ist. Es geht diesmal nicht „nur“ darum, ein Team auf seinem Zenit zu Höchstleistungen zu führen, sondern dieses in Richtung eines solchen Zenits zu entwickeln.
Was passiert mit Llorente, Ceballos und Co.?
Und auch wenn die Euphorie nach der Rückkehr aktuell kaum Grenzen kennt, dürfte auch Zidane bewusst sein: Seine treuen „Soldaten“ aus alten gemeinsamen Schlachten wie Marcelo, Casemiro, Isco, Toni Kroos oder Luka Modrić sind nicht mehr gänzlich unumstritten, die junge Garde um Marcos Llorente und Daniel Ceballos drängt vehement in den Vordergrund. Auch dies wird eine zentrale Aufgabe des Franzosen werden: Den weiterhin im Gange befindlichen Umbruch zu moderieren und die nachdrängenden jungen Spieler besser zu integrieren, als er dies noch in der vergangenen Spielzeit tat. Dass diese ohne Frage die Qualität besitzen, um beim spanischen Rekordmeister zu bestehen, haben sie in dieser Saison mehr als angedeutet. Nun liegt es an Zidane, diese zwei „Generationen“ gewinnbringend zusammenzuführen.
ZIDANE HA VUELTO.#RealMadrid | #HalaMadrid pic.twitter.com/DX51hYIb2H
— Real Madrid C.F. (@realmadrid) 12. März 2019
Zidane hat einen Plan
Reals Legende steht also – mal wieder – vor einer Mammutaufgabe. Doch wer den Monsieur kennt, der weiß, dass dieser eine solche Herausforderung niemals angehen würde, wenn er sich diesen Schritt vorher nicht reiflich überlegt hätte. Dass er seine Rückkehr an Bedingungen geknüpft haben wird, steht eigentlich außer Frage. Und dass er einen festen Plan im Kopf hat, um den Verein aus der gegenwärtigen Situation zu führen, ebenfalls. Wie dieser konkret aussehen wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Ob der Neuaufbau dadurch gelingt, ist zwar noch offen, doch der Madridismo darf sich auf spannende Monate freuen. Die Zweifel sind diesmal womöglich noch größer als bei seiner ersten Amtszeit, weil viele befürchten, Zidane könne sein Denkmal nur beschädigen. Doch als „Zizou“ das erste Mal an der Concha Espina anheuerte, war die Skepsis ebenfalls enorm. Das Ende ist bekannt…
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