
Aufwachsen unter Fußballverrückten: Die Anfänge in Vélez-Málaga
Als Fernando Hierro am 23. März 1968 in Vélez-Málaga, etwa 30 Kilometer von der andalusischen Großstadt Málaga entfernt, das Licht der Welt erblickte, war noch nicht absehbar, dass dies den Beginn der Geschichte einer der größten Real-Kapitäne markieren sollte. Dass hier ein angehender Fußballer heranwuchs – daran bestand jedoch schon zu diesem Zeitpunkt kein Zweifel. „Mein Vater spielte Fußball, meine Brüder auch – es lag also nur nah, dass ich auch spielen würde. Ich habe ganz frühe Erinnerungen, wie ich dem Ball hinterhergejagt habe und ständig auf der Suche nach anderen Kindern aus meiner Umgebung war, damit wir zwei Teams aufstellen und Fußball spielen konnten. Das haben wir fast jeden Tag gemacht. Damals hatten wir nichts – außer dem Fußball“, beschrieb Hierro einst seine Kindheitserinnerungen in einem Interview mit der UEFA.
Anders als seine älteren Brüder Manuel und Antonio, die schon in jungen Jahren in Málagas Nachwuchsschmiede unterkamen, spielte Fernando zunächst viele Jahre für seinen Heimatverein Vélez-Málaga, der sich in jener Zeit zwischen dem Amateur- und dem Profifußball bewegte. „Angefangen habe ich hier mit 13 Jahren. Ich kann mich noch erinnern, wie ich an meinem ersten Tag in der Jugendmannschaft als Ersatzspieler die Nummer 13 bekam. Manchmal kehre ich heute noch zurück in mein Dorf, in mein Stadion, auch wenn dies kaum noch wiederzuerkennen ist. Es hat sich seither sehr verändert. Aber rückblickend sehe ich noch immer den kleinen Jungen, der sich wahnsinnig gefreut hat, für seinen Dorfverein auflaufen zu dürfen – das war damals das Größte“, betonte Hierro.
Beim FC Málaga abgelehnt – kometenhafter Aufstieg in Valladolid
Während seine Brüder also beim FC Málaga ihre ersten Schritte im Profifußball tätigten, wurde Fernando im Alter von 16 Jahren für nicht gut genug befunden und nach nur einem Jahr zurück zu seinem Heimatverein geschickt. „Das war gar nicht so einfach. Man muss erst einmal die Chance bekommen, zu zeigen, was man draufhat – das ist das Wichtigste“, so die Erinnerungen Hierros.
Und diese Chance sollte er – nicht zuletzt aufgrund des Einsatzes seines Bruders Manuel, damals Stammspieler bei Real Valladolid – im Jahr 1987 erhalten. Als damals 19-Jähriger spielte Hierro zunächst für das B-Team des Erstligisten aus dem Norden Spaniens. Sein enormes Spielverständnis, gepaart mit Hierros Eleganz und Ruhe am Ball, seinem herausragenden Stellungsspiel und der nötigen Kompromisslosigkeit im Zweikampf beeindruckten seinen „sportlichen Vater“, den damaligen Valladolid-Coach Vicente Cantatore, und bugsierten den Defensivspezialisten schnell in die erste Mannschaft.
Am 4. Oktober 1987 setzte der Chilene erstmals in einem Pflichtspiel auf seinen Zögling: Beim 1:0-Erfolg gegen Espanyol kam Hierro auf etwas mehr als eine Stunde Einsatzzeit – und war fortan fast durchgehend gesetzt. Sein erstes Liga-Tor markierte der Verteidiger am 27. März beim 2:0-Heimsieg gegen RCD Mallorca. Für Hierro ist seit jeher klar, dass er Cantatore eine Menge zu verdanken hat: „Er hat mir die Möglichkeit gegeben, Profi zu werden und mir eine Zukunft in Valladolid ermöglicht. Er hat mir meinen Beruf vermittelt und mich zu dem gemacht, was ich heute bin“, beschrieb der Weltklassespieler vor vielen Jahren in einem Interview mit der FIFA die außergewöhnliche Bedeutung seines Entdeckers.
Ein Tag im “falschen Trikot”: Hierro und die Atlético-Posse
Innerhalb der zweieinhalb Jahre, die der heute 52-Jährige für Valladolid auflief, machte er aufgrund seiner außergewöhnlichen Leistungen unter anderem Spitzenteams, wie den FC Barcelona oder Atlético Madrid, auf sich aufmerksam. Doch obwohl Hierro bereits mit einem Trikot von Stadtrivale Atlético posierte, entschied er sich 1989 für einen Wechsel zu den Königlichen – gegen die er im Pokalfinale 1989 zuvor mit 0:1 unterlag. Paradoxerweise einigten sich der damalige Präsident Valladolids, Miguel Ángel Pérez Herranz, und der extrovertierte Ex-Atlético-Präsident, Jesús Gil, am 17. Juni auf einen Transfers des Abwehr-Asses – allerdings erst, wenn er noch eine weitere Saison in Valladolid gespielt hätte.
Hierro, der für 900.000 Euro zu “Atléti” wechseln sollte, fühlte sich von Herranz hintergangen und ließ seinem Ärger freien Lauf: “Das war ganz schön anekdotenhaft, weil ich gestern mit dem Präsidenten gesprochen habe und er mir nichts von einem Wechsel erzählt hat. Als ich dann meine Teamkameraden begrüßte, sagte er mir, dass ich ab 1990 ein Spieler von Atlético sein würde.” Da auch Miguel Santos, der Agent des Andalusiers, nicht in den Deal involviert war, entschied sich der Verteidiger nur wenige Tage, nachdem er mit dem Trikot der “Rojiblancos” im Vicente Calderón abgelichtet worden war, für einen Wechsel zu den Königlichen – ein bitterer Korb für den Stadtrivalen.
Bei Real etablierte sich der Neuzugang schnell, avancierte direkt zum Stammspieler und deutete bereits im ersten Jahr bei den Blancos seine Torgefährlichkeit an: Ganze sieben Tore gelangen dem Freistoß- und Elfmeterspezialisten wettbewerbsübergreifend in 43 Partien. 120 weitere Tore sollten folgen – und Hierro zum torgefährlichsten Verteidiger der Real-Geschichte machen. Vor dem Hintergrund heutzutage gängiger Ablösen kaum zu glauben, dass die Königlichen zu jener Zeit gerade einmal etwa eine Million Euro für die Dienste des Verteidigers auf den Tisch legen mussten.
“Besser als Beckenbauer”
Doch nicht nur individuell, auch im Kollektiv lief es für den Defensivstrategen von Beginn an sehr gut: Auf die erste Meisterschaft in der Premierensaison 1989/90, die zugleich den letzten der legendären fünf Liga-Titel in Serie der „Quinta del Buitre“ darstellte, sollten 15 weitere Pokale folgen. Der Madridismo wird sich vermutlich vor allem an die Champions-League-Titel in den Jahren 1998, 2000 und 2002 erinnern. In seinem letzten Königsklassenfinale führte “El Mariscal”, der Marschall, seine Farben sogar als Kapitän aufs Spielfeld.
Ein Amt, das der Spanier von 2001 bis 2003 als Nachfolger von Vereinslegende Manolo Sanchís mit großem Stolz bekleidete und Ausdruck seiner immensen sportlichen Verdienste und Leader-Fähigkeiten war: „In Madrid musst du immer gewinnen. Wenn du in einem Jahr die Champions League oder die Liga gewinnst, fängst du im nächsten Jahr wieder bei null an. Als Kapitän bedeutet dies Druck und Stolz zugleich. In schlechten Momenten wird erwartet, dass du dich zeigst. Wenn es nicht rund läuft, suchen die Leute nach sichtbaren Köpfen. Wenn du die Armbinde trägst, versuchst du die Gruppe aber stets anzuführen und dem Trainer zu helfen“, sagte Hierro gegenüber der MARCA. Eine Aufgabe, die er bis zu seinem Wechsel zum katarischen Al-Rayyan im Jahr 2003 mit Leidenschaft und Hingabe erfüllte.
Einer seiner größten Förderer, der ehemalige Real-Coach Vicente del Bosque, musste die Concha Espina wie Hierro nach zahlreichen erfolgreichen Jahren im Sommer 2003 eher unfreiwillig verlassen. Er sieht in dem Andalusier einen den größten Verteidiger aller Zeiten: “Fernando hat so viele Fähigkeiten vereint – er erzielte extrem viele Tore, konnte das Spiel gestalten und verteidigen. (…) Er war ein positiver Leader, der niemals schädlich für andere war”. Für Spaniens Weltmeister-Trainer war Hierro sogar “besser als Beckenbauer”, weil er ein kompletter Spieler mit den Attributen einer Bestie, eines unnachgiebigen Verteidigers und genialen Baumeisters gewesen sei.
Und für seine Mitspieler war er fast ein Trainer-Ersatz, wie Steve McManaman 2016 verriet: “Er war der Leader in der Umkleide und hielt die ganzen Ansprachen. Natürlich war Del Bosque offiziell unser Trainer, doch dieser war sehr ruhig und überließ oft Hierro das Wort.”
Maradona als Vorbild – Ramos der legitime Nachfolger
601 Spiele für Real Madrid dazu zwischen 1989 und 2002 89 Einsätze für die “Selección“, in denen er unglaubliche 30 Tore erzielte und zudem bei drei Weltmeisterschaften als Stammspieler auflief. Für viele ist Hierro eines der Vorbilder, doch hatte auch er ein großes Idol, und der war kein Verteidiger: Diego Maradona. „Wenn ich ein Idol, ein Vorbild hatte, jemand, der mich wirklich inspiriert hat – dann ist das Maradona. Wie vermutlich für fast jeden Fußballer meiner Generation.“ Dabei habe Maradona den Spanier vor allem mit seiner brillanten Technik und der Fähigkeit, stets ein Feuerwerk auf dem Platz zu entzünden, tief beeindruckt.
Während der junge Fernando Hierro selbst Idolen nacheiferte, wurde er schnell zur Inspiration nachfolgender Generationen. Eine Verbindung ist dabei besonders augenscheinlich – jene zwischen Hierro und Sergio Ramos: Beide stammen aus Andalusien, führten ihr Team viele Male als Kapitän aufs Feld, trugen dabei die Rückennummer 4, kombinieren Eleganz und Aggressivität – und Torgefahr. Denn nicht nur der Kapitän der frühen 2000er Jahre (127 Tore in 601 Partien), sondern auch Sergio Ramos (91 Tore in 640 Partien) haben bereits unzählige bedeutende Tore erzielt und ihre Teams durch ihren unbändigen Willen zum Erfolg geführt. Entsprechend positive Worte fand der Ex-Blanco jüngst über seinen legitimen Nachfolger: „Es gibt einen Spieler, der immer wieder heraussticht – und das ist Sergio Ramos. Er ist absolut bemerkenswert. Früher hatten wir Verteidiger noch mehr Torchancen, da wir oft im Mittelfeld gespielt haben. Aber in der heutigen Zeit, im Fußball des 21. Jahrhunderts, ist es außergewöhnlich, was Sergio leistet. Er ist eine Liga für sich.“
Dass die beiden Kapitäne, die so vieles gemeinsam haben, mit einer großen Anzahl an Platzverweisen auch in einer eher unrühmlichen Statistik an der Spitze liegen, mindert ihre Bedeutung für den Madridismo nicht.
Vom Sportdirektor zum WM-Trainer der „Selección“
Nach dem Karriereende 2005 bei den Bolton Wanderers blieb die Real-Ikone dem Fußball treu: Zunächst arbeitete er von 2007 bis 2011 als Sportdirektor für den spanischen Verband und begleitete dabei unter anderem den EM-Titel 2008 und den WM-Triumph 2010. Nach einem kurzen Intermezzo als Sportdirektor des FC Málaga in der Spielzeit 2011/12 kehrte Hierro 2014 als Co-Trainer von Carlo Ancelotti ins Bernabéu zurück. Anschließend trainierte er Zweitligist Real Oviedo in der Saison 2016/17, ehe er 2017 zum spanischen Verband zurückkehrte.
Als Sportdirektor verpflichtet, coachte der Andalusier die „Furia Roja“ 2018 während der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland, nachdem der damalige Trainer Julen Lopetegui wenige Tage vor Turnierbeginn entlassen worden war. Hierro führte die „Selección“ zwar als Gruppensieger vor Portugal ins Achtelfinale, schied dort aber gegen Gastgeber Russland aus.
Und auch wenn seine bislang letzte Station im Profifußball somit eher enttäuschend endete, ist Fernando Hierro – laut Real Madrid die “Fußballer gewordene Polyvalenz” – weiterhin eine der großen Legenden der Merengues. Nur wenige Spieler verkörpern den durch harte Arbeit, Willen und Hingabe gelebten Traum, den Weg vom Spielen auf den Schulhof bis in die großen Arenen dieser Welt so sehr wie der ehemalige Kapitän. Mit seiner Persönlichkeit, seiner Eleganz und seinem Erfolgshunger hat er die Herzen unzähliger Madridistas gewonnen – und daher einen festen Platz in der Vereinsgeschichte sicher.
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