
Zidane bricht Schweigen nach Real-Abgang
MADRID. Keine Pressekonferenz, nicht einmal ein Social-Media-Beitrag: Zinédine Zidane hat den Mantel des Schweigens um seinen Rücktritt als Trainer von Real Madrid gehüllt – bis jetzt. Am vierten Tag nach der offiziellen Bestätigung seines Abgangs wendet sich der 48 Jahre alte Franzose über die Sportzeitung AS in einem offenen Brief an den Madridismo.
Allein dass er ein externes Medium wählt und nicht eine Plattform des Klubs, um noch etwas loszuwerden, deutet darauf hin, dass etwas im Argen liegen muss. Und ja, das tut es. Das Schreiben erklärt unter anderem, warum er anders als noch 2018 bei seinem ersten Abgang diesmal einen gemeinsamen Presseauftritt mit Florentino Pérez partout ablehnte – weil Spannungen herrschen und die Trennung nicht harmonisch ablief. In seinem Statement schlägt „Zizou“ überraschend ungewohnt kritische Töne gegenüber der Vereinsführung an.
REAL TOTAL übersetzt den kompletten offenen Brief von Zidane.
„Ich will euch die Entscheidung meines Rücktritts erklären“
„Liebe Madridistas, seit 20 Jahren, seit meinem ersten Tag, an dem ich die Stadt Madrid betreten und mir das weiße Trikot übergestreift habe, habt ihr mir immer eure Zuneigung geschenkt. Ich habe immer gespürt, dass zwischen uns etwas Besonderes besteht. Ich hatte die große Ehre, Spieler und Trainer des wichtigsten Klubs der Geschichte zu sein, aber in erster Linie bin ich ein weiterer Madridista. Wegen all dem wollte ich euch diesen Brief schreiben, um mich von euch zu verabschieden und euch die Entscheidung meines Rücktritts zu erklären.
Als ich im März 2019 akzeptiert hatte, Madrid nach etwa acht Monaten Pause wieder zu trainieren, war der Grund dafür, dass Präsident Florentino Pérez mich darum bat. Natürlich. Aber auch, weil ihr es mir jeden Tag gesagt hattet. Als ich einen von euch auf der Straße traf, spürte ich die Unterstützung und den Wunsch, mich wieder bei der Mannschaft zu sehen. Ich teile die Werte des Madridismo, dieser Klub gehört seinen Mitgliedern, seinen Fans, der gesamten Welt. Ich habe versucht, diese Werte auch bei all dem, was ich tat, zu vermitteln. Ich habe versucht, ein Vorbild zu sein. 20 Jahre bei Real Madrid zu verbringen, war das Schönste, was mir je in meinem Leben passiert ist. Und ich weiß, dass ich das exklusiv Florentino Pérez zu verdanken habe, der 2001 auf mich gesetzt hat, um mich gekämpft hat, damit ich komme, während viele dagegen waren. Das sage ich aus dem Herzen: Ich werde dem Präsidenten dafür dankbar sein. Für immer.

„Ich gehe, weil der Klub mir nicht mehr das Vertrauen gibt“
Jetzt habe ich entschieden zu gehen und ich will euch die Gründe dafür gut erklären. Ich gehe, aber ich verlasse das Boot nicht und bin nicht müde vom Trainieren. Im Mai 2018 ging ich, weil ich nach zweieinhalb Jahren mit so vielen Erfolgen und so vielen Trophäen spürte, dass die Mannschaft eine andere Ansprache benötigt, um ganz oben zu bleiben. Heute sind die Dinge anders. Ich gehe, weil der Klub mir nicht mehr das Vertrauen gibt, das ich benötige. Er bietet mir nicht die Unterstützung, um mittel- oder langfristig etwas aufzubauen. Ich kenne den Fußball und die Anforderungen, die bei einem Klub wie Real Madrid herrschen. Ich weiß, dass du gehen musst, wenn du keinen Erfolg hast. Aber hier wurde eine sehr wichtige Sache vergessen: Es wurde alles vergessen, was ich in der täglichen Arbeit aufgebaut habe, was ich in der Beziehung zu den Spielern geleistet habe, zu den 55 Mitarbeitern rund um die Mannschaft. Ich bin ein geborener Gewinner-Typ und ich war hier, um Trophäen zu gewinnen. Aber noch darüber befinden sich die Menschen, die Emotionen, das Leben, und ich habe das Gefühl, dass diese Dinge nicht geschätzt wurden und nicht verstanden wurde, dass auch damit die Dynamik bei einem großen Klub beibehalten wird. Es wurde mir zusätzlich sogar zum Vorwurf gemacht.
Ich will, dass respektiert wird, was wir zusammen geleistet haben. Mir hätte es gefallen, wenn meine Beziehung zum Klub und Präsidenten in den letzten Monaten eine etwas andere gewesen wäre als bei anderen Trainern. Ich habe nicht um Privilegien gebeten, natürlich nicht, sondern um etwas mehr Erinnerungsvermögen. Heute dauert das Leben eines Trainers bei einem großen Klub zwei Spielzeiten, nicht sehr viel länger. Damit sie länger dauert, sind die menschlichen Beziehungen essentiell, sie sind wichtiger als das Geld, wichtiger als die Berühmtheit, wichtiger als alles. Man muss sie pflegen.
„Tat sehr weh, als ich las, dass man mich entlassen würde“
Deshalb tat es mir sehr weh, als ich nach einer Niederlage in der Presse las, dass man mich entlassen würde, wenn ich das nächste Spiel nicht gewinne. Es tat mir und der gesamten Mannschaft weh, denn diese nach außen zu den Medien dringenden Botschaften kreierten Störgeräusche innerhalb des Teams, sie brachten Zweifel und Missverständnisse hervor. Gott sei dank hatte ich wunderbare Jungs, die bis zum Tod hinter mir standen. Als die Dinge hässlich wurden, retteten sie mich mit grandiosen Siegen. Weil sie an mich glaubten und sie wussten, dass ich an sie glaube. Natürlich bin ich nicht der beste Trainer der Welt, aber ich bin in der Lage, jedem Kraft und Vertrauen zu geben, was jeder bei seiner Arbeit braucht – sei es der Spieler, jemand aus dem Trainerstab oder irgendein anderer Mitarbeiter. Ich weiß ganz genau, was eine Mannschaft braucht. Im Laufe dieser 20 Jahre bei Real Madrid habe ich gelernt, dass ihr, die Fans, gewinnen wollt, natürlich. Aber vor allen Dingen wollt ihr, dass wir alles geben – der Trainer, der Stab, die Mitarbeiter und selbstverständlich die Fußballer. Und ich kann versichern, dass wir 100 Prozent für den Klub gegeben haben.
https://www.youtube.com/watch?v=VV6N2g7Dw44
Ich nutze diesen Brief auch, um den Journalisten etwas zu sagen. Ich hatte hunderte Pressekonferenzen und leider haben wir sehr wenig über Fußball geredet. Ich weiß, dass ihr den Fußball ebenfalls liebt, dass uns dieser Sport verbindet. Dennoch hätte es mir gefallen – ohne dass ich euch eine Lektion erteilen will –, wenn die Fragen nicht immer Richtung Polemik abgezielt und wir öfter über den Ball und vor allem über die Spieler, die das Wichtigste an diesem Spiel sind und immer sein werden, gesprochen hätten. Vergessen wir nicht den Fußball, passen wir auf den Fußball auf. Liebe Madridistas, ich werde immer einer von euch sein. ¡Hala Madrid! Zinedine Zidane.“
Worte, die unter dem Strich gewiss nicht danach klingen, als würde man eine erneut baldige Rückkehr des Monsieurs auf den Trainerstuhl erwarten können…
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