
Wer hat von wem gelernt?
Welch ein Trainer-(Traum-)Duo! In der Saison 2013/14 stand Carlo Ancelotti erstmals an der Seitenlinie von Real Madrid. Dabei bekam er prominente Unterstützung von einer Ikone des Fußballs: Zinédine Zidane! Unter der italienischen Führung sammelte der Franzose erste, im Nachhinein besonders wichtige Trainer-Erfahrungen. Kein Wunder also, dass sich die beiden sowohl im Führungsstil als auch bei ihrer taktischen Ausrichtung ähneln.
Als Trainer pflegen beide ein freundschaftliches Verhältnis zu den Spielern. Sie sorgten stets für einen großen Zusammenhalt in ihrer Mannschaft und ließen beziehungsweise lassen sich auch unter Druck nie aus der Fassung bringen – egal ob am Rand des Spielfelds während einer hitzigen Partie oder auf einer Pressekonferenz bei kritischen Fragen. Spieler wie Toni Kroos schätzen die Freiheiten, die die Übungsleiter geben. Beide zeichnen sich stets durch ihr besonnenes Wesen aus, ganz anders als beispielsweise der polarisierende José Mourinho, der bewusst durch Kritik oder Provokation die letzten Prozente aus seinen Schützlingen herauszukitzen weiß. Beim Spielsystem setzen beide Trainer auf das offensive 4-3-3 – nach anfänglichen Experimenten verteidigte Ancelotti das System zuletzt regelrecht: „Ich bin davon überzeugt, dass es das System ist, in dem sich die Spieler am wohlsten fühlen.“
Und auch anhand der derzeit spärlichen Rotation, den wenigen wie späten Wechseln und entsprechend dem Vertrauen auf nur wenige Spieler und Dauerbrenner erkennt man eine Parallele zwischen dem Meister und seinem früheren Lehrling. Trotz der erwähnten Gemeinsamkeiten gibt es auch Unterschiede bei der Arbeit des 62-Jährigen, die ihn von seinem früheren Co-Trainer abheben.
Ein besserer Umgang mit Vinícius
Beim Blick aufs Personal hat einer einen großen Sprung gemacht: Vinícius Júnior blüht unter seinem neuen Trainer regelrecht auf. Zwar stand Vini auch letzte Saison unter Zidane immer wieder mal in der Startelf, doch volles Vertrauen genoss er nicht. Unter den Fittichen von Ancelotti sieht das anders aus: Schon im Sommer bekam der Youngster einen Anruf des zurückgekehrten Trainers, der ihm eine wichtige Rolle in seinen Planungen garantierte – unabhängig davon, ob Kylian Mbappe zu den Königlichen wechselte oder nicht.
Wie in den vergangenen Wochen zu sehen war, genießt der Brasilianer dieses Vertrauen in vollen Zügen. Schon jetzt befindet er sich mit neun Toren und sieben Vorlagen in seiner besten Saison. Auch an seinem präziseren Abschluss merkt man, dass sein Selbstbewusstsein gestiegen ist. “Er wird für uns ein wichtiger Spieler sein. Ich habe viel Vertrauen in ihn”, verrät der Italiener und schwärmt weiter: “Er ist ein bescheidener Typ, der gerne arbeitet.” “Carletto” scheint zu wissen, wie er den brasilianischen Dribbler motivieren und zu Höchstleistungen antreiben kann. Und zieht ihn so weiter vor Eden Hazard in Betracht: “Er wird weiterhin spielen, solange er keine Pause braucht oder sein Niveau nicht hält.”
Wackligere Defensive, teilweise mehr Tore
Die Offensivleistung lässt unter Ancelotti – trotz vielversprechenden Starts – genau wie mit Zidane als Trainer zu wünschen übrig: 22 Tore in den ersten sieben Saisonspielen, nur 13 in den acht danach. Ein größerer Unterschied lässt sich bei der Defensive feststellen: Obwohl in der Saison 2020/21 kein Titel nach Madrid ging, ging zwischen Februar und Mai nur ein einziges Spiel verloren: das Halbfinale gegen Chelsea. Der Grund dafür war die stabile Verteidigung, die für den Gegner schwer zu durchbrechen war. Mittlerweile lässt die (personell neu aufgestellte) Hintermannschaft Reals spürbar mehr Chancen zu. Eine Stellschraube, an der das Trainerteam noch arbeiten muss.
So fallen in Ancelottis zweiter Amtszeit bislang 0,93 Gegentore pro Partie, in Zidanes zweiter Ära waren es „nur“ 0,86. Und trotzdem: Mit einer aktuellen Sieg-Quote von 66,7 Prozent und durchschnittlich 2,2 Punkten handelt es sich um die (aktuell) erfolgreichste Saison seit 2016/17 (73,3 Prozent und 2,38 Punkte).
Die im Schnitt 2,27 Tore wurden dagegen zuletzt 2017/18 erreicht (2,39). Auch wenn Ancelottis Team zuletzt durchaus riskanter und weniger kontrollierend sein könnte, macht es trotzdem mehr Buden als in der vergangenen Spielzeit. So konnte in den 15 Spielen der laufenden Saison 34 Mal eingenetzt werden. Zidanes Mannschaft schoss 2020/21 88 Tore in 52 Partien, was einer Quote von 1,69 entspricht. Während die Defensive weniger gefestigt agiert, zeigt sich die Offensive vor dem gegnerischen Tor effizienter. Dafür ist auch der erhoffte zweite Scorer verantwortlich: War 2021/22 Casemiro mit sieben Treffern der gefährlichste Mann hinter Karim Benzema, so ist nun regelmäßig Verlass auf Vinícius. Und trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass Ancelotti dem Versprechen auf seiner Präsentation nicht immer nachkommt. “Die Idee ist immer gleich: Der Fußball muss offensiv und spektakulär sein. Das will die Geschichte des Klubs, das wollen die Fans”, verkündete er im Juni. Aber auch Zidane erklärte bei seiner Rückkehr schon “Dinge verändern” zu wollen, doch waren sowohl die Spieler als auch das System meist die gleichen.
Der Schützling hat sich mehr und mehr vom speziell 2013/14 spektakulären Fußball seines Lehrers abgewandt. Macht es Ancelotti seinem „Padawan“ nun nach und versinkt ebenso in zu viel Ballkontrolle und zu wenig Risiko? Was „schön“ ist, darüber lässt sich streiten, aber zumindest die Ergebnisse stimmen aktuell und Real Madrid ist in beiden bisherigen Wettbewerben auf Kurs. So wie es auch in den letzten Wochen der vergangenen Saison der Fall war.
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