Analyse

Vor CL-Halbfinale: Was Real besser machen muss, um auch City auszuschalten

Am Dienstag ist Real Madrid in der Königsklasse bei Manchester City zu Gast. Für das Team von Trainer Carlo Ancelotti ist das Duell mit der Guardiola-Elf die bislang größte Herausforderung der Saison. REAL TOTAL beleuchtet, welche Lehren die Blancos aus dem bisherigen Saisonverlauf ziehen müssen und worauf es gegen den englischen Meister ankommt.

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Guardiola, Ancelotti
Treffen im Champions-League-Halbfinale aufeinander: Die Weltklasse-Trainer Pep Guardiola und Carlo Ancelotti – Fotos: Imago 

20 Monate ist es her, dass Manchester City die Königlichen aus der Champions League gekegelt hat. Nach einem 1:2 im Bernabéu und der darauffolgenden mehrmonatigen Corona-Pause verlor das Team von Zinédine Zidane im August 2020 beim Final-Turnier in Lissabon ebenfalls mit 1:2 gegen die Guardiola-Elf. Nun, fast zwei Jahre später, trifft der Rekordsieger erneut auf die „Citizens“.

Dabei geht das Team von Carlo Ancelotti zwar mit dem Selbstvertrauen der souveränen Tabellenführung in LaLiga und dem Last-Minute-Halbfinaleinzug gegen Chelsea in das Duell mit dem englischen Meister. Die herbe Clásico-Pleite gegen den FC Barcelona und die 120 Minuten gegen Chelsea haben aber auch aufgezeigt, wo die Schwächen der „Merengues“ liegen. REAL TOTAL beleuchtet die wunden Punkte der Blancos – und zeigt auf, worauf sich Ancelotti und Co. im Halbfinale einstellen müssen.

Was Real besser machen muss:

Agieren anstatt (nur) zu reagieren

Das Rückspiel gegen den FC Chelsea hat offenbart, dass die Merengues durch einen innovativen Matchplan vor große Probleme zu stellen sind. So hat Thomas Tuchel nach der Machtdemonstration des spanischen Rekordmeisters im Hinspiel die richtigen Schlüsse gezogen und taktische Veränderungen vorgenommen, die die Statik des Spiel entscheidend geändert haben. Während sich Real im Hinspiel oft nach dem Muster „auf eine Seite locken, Positionen rochieren, Seitenverlagerung spielen und Tiefe suchen“ durchkombinierte, war Chelsea nach einer guten Anfangsphase der Königlichen im Verlaufe der Spielzeit die aktive Mannschaft.

Das Muster Spielauslösung über links (Überzahl oder Gleichzahl, rote Kreise), Verlagerung auf Modrić (grüner Kreis), Tiefe suchen (am Flügel, blauer Kreis) und schließlich Hereingabe ins Zentrum, wie hier vor Benzemas 2:0 im Hinspiel gegen Chelsea, funktioniert dieser Tage gut bei den Blancos – Screenshot: DAZN

 

So schob Tuchel Loftus-Cheek und Alonso derartig hoch, dass der Dreierangriff Havertz, Mount und Werner in fünf (!) tiefe Anspielstationen transformiert wurde. Diese Herangehensweise erinnert ein wenig an Xavis Barcelona, das ebenfalls mit vier oder fünf tiefen Anspielmöglichkeiten daherkommt. Durch Rochaden und geschicktes Fallenlassen in die Halbpositionen durch Mount und Loftus-Cheek übernahm Chelsea ab der 20. Spielminute die Kontrolle und brachte die Real-Defensive immer wieder in die Bredouille. Zudem sorgte Tuchel dadurch, dass er im 4-3-1-2 verteidigte für eine deutlich bessere defensive Balance als Hinspiel. Zusätzlich stellte der deutsche Weltklasse-Coach den schnellen Reese James im direkten Duell gegen Vinícius, sodass dessen Stärke eingedämmt war.

Die Situation vor Alonsos aberkanntem Treffer unterstreicht, dass die Londoner im Rückspiel oftmals über fünf Spieler in der Tiefe verfügten, wenngleich sie aus einer Umschalt- und nicht aus einer statischen Aufbausituation resultierte. Dasselbe war vor dem Führungstreffer nach einer Viertelstunde (aus einer statischen Situation) zu sehen – Screenshot: DAZN

Der größte Kritikpunkt an den Blancos in dieser Saison ist vor diesem Hintergrund, dass sie mitunter in „großen Spielen“ eher reagieren als zu agieren. So brachten die Ancelotti-Schützlinge im Clásico über 90 Minuten ihre eigene Idee nicht auf den Platz. Gegen Chelsea waren die Madrilenen nun darauf bedacht, auf Chelsea zu reagieren. Spätestens in der Halbzeitpause hätte Ancelotti jedoch seinerseits Anpassungen vornehmen müssen – etwa einen Eduardo Camavinga einzuwechseln, um die physische Dominanz im Mittelfeld zu erlangen oder die Zahlenverhältnisse im Mittelfeld derartig zu verändern, dass Chelsea seinen Ansatz auch nochmals hätte überdenken müssen. Die Camavinga-Einwechslung erfolgte allerdings erst sehr spät – proaktives Handeln seitens Ancelotti war nicht zu erkennen.

Mehr als nur einen Plan A haben

Daran anknüpfend bietet der italienische Cheftrainer durch seine verhältnismäßig eindimensional wirkenden Matchplanentwürfe Angriffspunkte. Auffällig war beispielsweise, dass Ancelotti – bis dato nichtsdestotrotz der Architekt einer außergewöhnlich starken Saison – im Chelsea-Rückspiel keine Veränderungen im Chelsea-Spiel zu antizipieren schien.

So änderte der Weltklasse-Trainer im Vergleich zum Hinspiel wenig an der eigenen Herangehensweise. Dass er Tuchels taktischen Überlegungen nicht erahnen konnte, versteht sich von selbst. Von einem Trainer von Ancelottis Format darf man jedoch erwarten, entweder den eigenen Plan durchzudrücken – oder im Verlauf des Spiels durch gezieltes In-Game-Coaching (oder Maßnahmen in der Halbzeitpause) den eigenen Plan so anzupassen, dass unter dem Strich die eigenen Stärken jene des Gegners überwiegen.

Das Verhältnis von Dynamik und Kontrolle optimieren

Das Chelsea-Hinspiel hat gezeigt, dass das Trio Kroos, Modrić und Casemiro zwar noch kein Auslaufmodell ist, Spielkontrolle allein aber nicht ausreichen wird, um den Henkelpott zu gewinnen. Insbesondere Fede Valverde und Eduardo Camavinga verleihen dem Spiel der Königlichen eine Dynamik, die es braucht, um die Statik eines Spiels aufzubrechen und durch dynamische Tiefenlaufwege oder mutiges Passspiel neue Situationen zu kreieren. Ist das der Fall, entsteht Unordnung in der gegnerischen Hintermannschaft. Dann können Spieler wie Vinícius oder Benzema ihre Stärken wesentlich besser auf den Platz bringen.

Worauf sich Real gegen City einstellen muss…

Taktische Variabilität

Pep Guardiola gilt für viele Beobachter des Weltfußballs in puncto Matchplan-Design noch immer als einer der Top-3-Trainer. Eine der größten Stärken des Spaniers liegt in diesem Zusammenhang ohne Frage darin, die wesentlichen Stärken des Gegners zu identifizieren, diese zu neutralisieren und zugleich eigene Ideen durchzudrücken.

Beim 2:2 gegen Liverpool baut City oft „klassisch“ auf. Die hoch geschobenen Außenverteidiger Walker und Cancelo (blaue Kreise) binden hier theoretisch Mané (gelber Kreis) und Salah (roter Kreis) und verhindern oftmals ein Mann-gegen-Mann-Pressing. Da Salah unaufmerkam ist, entsteht eine City-Überzahl am linken Flügel, die Silva per Flugball hinter die Kette ausnutzt. Cancelos Chance führt hier nicht zum Tor – Screenshot: Sky Sport

Ein gutes Beispiel dafür stellt das 2:2-Unentschieden im Premier-League-Spitzenspiel gegen den FC Liverpool dar. In jenem Aufeinandertreffen der englischen Top-Teams wich Guardiola von seinem gern gespielten Dreieraufbau ab. Durch den Wechsel auf einen klassische Zweieraufbau mit hochgeschobenen Außenverteidigern, an denen sich Salah und Mané größtenteils orientierten, nahm er Liverpool über weite Strecken das geliebte Mann-gegen-Mann-Pressing in vorderster Linie. Wenn Salah oder Mané die City-Außenverteidiger einmal nicht im Auge hatten, gelang es der Guardiola-Elf, Überzahlsituationen an den Flügeln herzustellen und von dort die Tiefe mit Steckpässen oder dergleichen zu attackieren.

Guardiola ist de facto gegen jeden Gegner in der Lage, Muster des Gegners zu brechen und eigene Muster erfolgreich auf den Platz zu bringen. Das Viertelfinal-Rückspiel bei Atlético hat jedoch gezeigt, dass dieser Variabilität mit Disziplin, Physis und Überzeugung von den eigenen Stärken beizukommen ist.

Weltklasse so weit der Kader reicht

Die vielleicht größte Stärke der „Skyblues“ liegt in der kaum zu greifenden Tiefe des Kaders. So ist die Guardiola-Elf auf allen Positionen mindestens doppelt mit absoluten Weltklassespielern besetzt. Das wird auch mit einem Blick auf die Verteilung der erzielten Tore deutlich. So verfügt City in der Saison 2021/22 wettbewerbsübergreifend über 18 (!) verschiedene Torschützen. Mit Riyad Mahrez (23 Tore, acht Assists), Kevin De Bruyne (14 Tore, elf Assists), Raheem Sterling (14 Tore, sieben Assists), Phil Foden (zwölf Tore, neun Assists), Bernardo Silva (zwölf Tore, fünf Assists) und Gabriel Jesus (elf Tore, zwölf Assists) haben gleich sechs Spieler zweistellig getroffen. Folglich ist das Spiel des englischen Meisters deutlich schwieriger vorherzusehen als jenes der internationalen Konkurrenz.

„KdB“ in Überform

Hinzu kommt, dass der Tabellenführer der Premier League mit Kevin De Bruyne dennoch einen Spieler in seinen Reihen hat, der aus dem Kollektiv herausragt und dem Team ein Gesicht gibt, so legt der Belgier seit Jahren hervorragende Statistiken an den Tag. Allein in dieser Spielzeit kommt er bisher auf 25 Torbeteiligungen. Zudem verfügt der zentrale Mittelfeldspieler über die mentale Stärke, in schwierigen Situationen zu übernehmen und mit seinen überragenden fußballerischen Fähigkeiten die Partie in Richtung der „Citizens“ zu lenken. Spätestens seit seiner dramatischen Verletzung im Königsklassen-Finale der Vorsaison wirkt der mittlerweile 30-Jährige so fokussiert wie nie, die begehrte Trophäe in den „blauen Stadtteil“ Manchesters zu holen.

Kevin De Bruyne, Atlético
In Überform: Kevin De Bruyne ist Manchester Citys Unterschiedsspieler – Foto: IMAGO / MB Media Solutions

Fazit

Will Real Madrid die Champions League zum 14. Mal gewinnen, müssen viele Faktoren zusammenkommen. Zum einen dürfen sich die Blancos keinen schwarzen Tag, wie etwa im Clásico oder über weite Phasen der regulären Spielzeit im Chelsea-Rückspiel leisten. Dahingehend sind Variantenreichtum mit Blick auf die eigene Herangehensweise und ein gutes In-Game-Coaching Ancelottis vonnöten. Zum anderen erwartet die Merengues im Halbfinale ein Gegner, der zumindest hinsichtlich der Breite des Kaders besser aufgestellt sein dürfte. Insofern werden Mentalität, Tagesform – und eben der Matchplan – von großer Bedeutung sein. Citys Probleme im Viertelfinalrückspiel gegen einen mit viel Energie, Leidenschaft und einem klaren Plan agierenden Gegner zeigen jedoch, dass die Guardiola-Elf definitiv zu knacken ist. Hinzu kommen die offene Rechnung des letzten direkten Duells im Achtelfinale 2019/20 sowie die Tatsache, dass Real in der Königsklasse schon immer in der Lage war, eine besondere Magie zu entfachen.

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Kommentare
Ich möchte noch hinzufügen, dass sich Pep in seiner Perfektion und Abstimmung auf den Gegner gerne mal vercoacht (im positiven Sinne), denn wenn sein erdachter Matchplan nicht sofort und wie erhofft aufgeht, dann bekommt auch er Schwierigkeiten. Darauf dürfen wir uns selbstverständlich nicht verlassen und müssen uns auf unsere eigenen Stärken besinnen, um aus diesem Duell als Sieger vom Platz zu gehen. Vielleicht gelingt es aber Carlo, dem alten Fuchs, mit ein Paar Tricks und Kniffen, Pep eine kalte Dusche zu verpassen? Ansonsten wie immer top geschriebener Artikel und ich bin sehr gespannt, wie unsere Mannen diese schwere Aufgabe angehen werden. Das werden zwei extrem enge und schwierige Partien, um ins Finale zu gelangen.
 
Hallo zusammen :) habe heute die Bilder bei insta gesehen und Eden war sogar draußen beim Team. Gibt es Hoffnung zum Beispiel für das Rückspiel bzw. Saisonfinale? Habe iwie im Urin, dass er ein bedeutendes Tor schießt... wie auch immer das zustande kommen mag
 
Hallo zusammen :) habe heute die Bilder bei insta gesehen und Eden war sogar draußen beim Team. Gibt es Hoffnung zum Beispiel für das Rückspiel bzw. Saisonfinale? Habe iwie im Urin, dass er ein bedeutendes Tor schießt... wie auch immer das zustande kommen mag
Im Training um T-Bo warm zu schießen, ja das halte ich für realistisch.
 
Toller Artikel!
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viel Taktik in den Spielzügen steckt. Mir als Fußball Fan erschließt sich das alles gar nicht während des Spiels. Dafür bin ich bestimmt zuviel Laie ;-).
Ich denke auch, dass es zwei sehr schwere Spiele werden, die wir nur mit einer Meisterleistung und individueller Klasse einzelner gewinnen können. Auf jeden Fall glaube ich an unser Weiterkommen. Hala Madrid !!!
 

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