
Hoher Auswärtssieg im Hinspiel? Schlechtes Omen
Zugegebenermaßen: Ein wenig Irrsinn verspüre ich schon bei der Behauptung, dass im Achtelfinal-Rückspiel gegen den FC Liverpool (Mittwoch, 21 Uhr, im REAL TOTAL-Liveticker und bei DAZN) noch alles offen ist. Ein Polster von drei Toren herschenken? Vor heimischer Kulisse? Gegen eine kriselnde Mannschaft, die auch ihre Generalprobe beim bis dato Tabellenletzten AFC Bournemouth mit 0:1 verliert? Ja. Man lernt ja mit den Jahren dazu.
Eine Lektion, die nicht nur mir, sondern allen Anhängern der Blancos dabei (zu) häufig erteilt wurde: Wenn Real in der Champions League im Hinspiel eines K.o.-Runden-Duells zunächst auswärts ran muss und das Spiel mit mindestens zwei Toren Vorsprung gewinnt, wird’s im Rückspiel vor den eigenen Fans nicht der erwartet abgeklärte Auftritt, sondern zumeist eng. Richtig eng. Bei den letzten vier Aufeinandertreffen in beschriebener Konstellation musste drei Mal mächtig gezittert werden, ehe das Weiterkommen feststand.
Mahnmale wurden genug errichtet
Da wäre das Viertelfinale der Vorsaison, als man zunächst auswärts 3:1 beim FC Chelsea triumphierte, um dann im Rückspiel zwischenzeitlich mit 0:3 hinten zu liegen. Oder das Viertelfinale der Saison 2017/18, als man in Turin mit 3:0 gegen Juventus gewinnen konnte, im Rückspiel aber auch hier plötzlich ein 0:3 auf der Anzeigentafel las und den Sieg erst in der 90.+7 (!) nach einem streitbaren Elfmeterpfiff erringen konnte. Auch unvergessen und vielen Madridistas mit Sicherheit als eines der nervenaufreibendsten und packendsten Spiele der letzten zehn Jahre im Gedächtnis: das Achtelfinale der Saison 2014/15 gegen den FC Schalke 04. Nach einem 2:0-Sieg in Gelsenkirchen zitterte sich das weiße Ballett im Estadio Santiago Bernabéu mit einer 3:4-Niederlage eine Runde weiter, wurde von den Schalkern phasenweise schwindelig gespielt, denen aufgrund der damaligen Auswärtstorregel nur ein Tor fehlte. Lediglich 2016, beim Achtelfinale gegen die AS Roma, konnte ein deutlicher Auswärtserfolg im Hinspiel (2:0) auch im Rückspiel (2:0) bestätigt werden. Dafür gab es auch mal einen knappen Hinspiel-Sieg, der dann im Rückspiel im Bernabéu aus der Hand gegeben wurde: 2019 gegen Ajax (erst 2:1, dann 1:4)…
Vielleicht ist nun für einige nachvollziehbar, warum vor dem Rückspiel gegen die „Reds“ für mich noch rein gar nichts entschieden ist. Der Irrsinn liegt hier nicht in einer exzentrischen Meinung, sondern in dem, was die Merengues in solchen Situationen oft auf dem Platz zeigen. Ein vermeintlich komfortabler Auswärtserfolg in Hinspielen scheint Gift für die Mentalität der Königlichen zu sein, die in der Folge allzu oft gedanklich schon eine Runde weiter sind und jegliche Einstellung und Intensität vermissen lassen. Wer glaubt, dass gegen die Mannen von Coach Jürgen Klopp ob der hohen Führung ein lockerer Aufgalopp reicht, der täuscht sich. Vom Anpfiff weg muss den Engländern mit voller Einsatzbereitschaft verdeutlicht werden: „Für euch gibt es hier heute nichts zu holen!“ Gerade Klopp ist jemand, der mit seiner leidenschaftlichen Art eine Mannschaft bis in die Haarspitzen motivieren kann.
Quo vadis, Carlo?
Dieses Feuer muss von seinem Gegenüber, Real-Trainer Carlo Ancelotti, im Keim erstickt werden, damit auch der letzte Funken Hoffnung bei den „Reds“ rasch verglüht. Wenn dieser wie nach dem Hinspiel sagt, es sei „gut ausgegangen, nun muss uns klar sein, dass wir im Rückspiel kämpfen und leiden müssen“ oder er nach der gewonnenen Generalprobe gegen Espanyol Barcelona (3:1) fordert, sein Team müsse gegen Liverpool „das ganze Spiel über eine Topleistung bringen, nicht versuchen, das Ergebnis zu halten“, dann handelt es sich dabei für mich schon längst nicht mehr um abgedroschene Standardphrasen, sondern ich nehme ihn beim Wort. Bei jedem einzelnen. Er muss es wissen. Sowohl letzte Saison gegen Chelsea als auch 2015 gegen Schalke stand er an Reals Seitenlinie. Man sollte ihm glauben und ihn ernst nehmen, wenn er wie nach dem Hinspiel sagt: „Entschieden ist nichts, nein.“ Auch für den Gegner sind 90 Minuten im Bernabéu eben manchmal sehr lang.
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