Kommentar

It’s been a long way…

Carlo Ancelottis Pressekonferenzen fühlen sich immer mehr wie eine Abschieds-Tournee an. REAL TOTAL-Chefredakteur Nils Kern wird jetzt schon sentimental mit gemischten Gefühlen, auch wenn der mögliche Abschied natürlich noch nicht offiziell, aber mehr und mehr absehbar ist. Eine Trennung mit Titel nach einem langen, gemeinsamen Weg?

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Die Ära des erfolgreichsten Trainer in Reals Historie geht (offensichtlich) zu Ende – Foto: getty images

Verfolgt euch manchmal auch ein Ohrwurm nicht nur stunden-, sondern gar tagelang? Ich bin aktuell mal wieder verfolgt – und das mit einem klaren Fall von einem lachenden, und einem weinenden Auge. It’s been a long way (ja, eigentlich „day“, aber „way“ passt auch), with you, my friend… Bei Real Madrid bahnt sich ein großer Abschied an. Diesmal nicht, wie so oft die letzten Jahre, auf Spieler-, sondern auf Trainerseite.

Was auch immer noch in dieser Saison passiert – und wir reden immer noch von zwei möglichen großen Titeln – aber Carlo Ancelottis Abschied liegt nicht nur mehr und mehr in der Luft. Er wird auch richtig treffen.

 

Stellt euch das nur mal vor: Real Madrids ohnehin schon titelreichster Trainer aller Zeiten gewinnt in einem Finale gegen Barcelona, in dem Real selbst teilweise von der eigenen Fangemeinde schon für tot erklärt wird, seinen 16. Titel. Und verkündet dann gemeinsam mit dem Klub seinen Abschied – egal ob nach Abpfiff, am Tag danach oder nach Liga-Ende. Puh. Und jetzt stellt euch mal vor, wie sich Spieler das vorstellen. Spieler wie Vinícius Júnior oder Rodrygo Goes, die unter „Carletto“ ihre allergrößten Erfolge gefeiert und ihm quasi alles zu verdanken haben, ganz zu schweigen vom immer treuen und lieben Federico Valverde. Wir reden hier von Vater-Sohn-Verhältnissen. How can we not talk about family, when family’s all that we got?

Drei seiner insgesamt fünf CL-Titel gewann Ancelotti mit Real  – Foto: Alex Pantling/Getty Images

Ich habe manchmal das Gefühl, Ancelotti wird im Madridismo teilweise mehr gehasst als außerhalb. Warum? Carlo Ancelotti wird immer ein lieber Typ sein, statt wie er sagte mit „harter rechter Hand“, manchmal zu lieb beziehungsweise mit zu viel naivem Vertrauen in manche Stars, und eben etwas zu wenig „Peitsche”. Aber macht ihn nicht gerade das in einer so schnelllebigen, polarisierenden, auf Gewinne fokussierten Welt liebenswert? Und wie könnte ich einen Trainer und vor allem: Menschen nicht mögen, den ich selbst schon auf Pressekonferenzen zu einem ehrlichen Lacher brachte? In dieser teils harten, teils künstlichen, aber vor allem modernen Fußballwelt ist der gute, alte Carlo etwas ganz Besonderes. Und etwas vom Aussterben bedrohtes, wie die Müllers, Kroos’ und Hummels’ auch. Und natürlich gibt und gab es sowohl in dieser als auch der letzten Saison einiges zu kritisieren, viel sogar. Nicht für alles kann er was – sei es die Kaderplanung von Florentino Pérez und Co. oder manchmal auch der fehlende Biss mancher Spieler. Aber trotz allem verdient Ancelotti die größten Worte. Den größten Abschied. Mit einem Titel!

Diese Personalie teilt mich ja selbst innerlich: das Herz sagt irgendwie noch bleib, der Verstand aber schon länger, dass es Zeit wird. Jetzt ist der Zeitpunkt vermutlich (!) gekommen – offiziell ist natürlich noch nichts. Und es könnte ein passender Zeitpunkt sein, indem die Mannschaft dadurch noch mehr motiviert ist im Copa-Clásico. Der Titel liegt noch in ihren Händen, die Liga ist da eine andere Sache. So sind sowohl die Spieler als auch die Fans dem Mann, der 2014 nach zwölfjähriger Wartezeit endlich La Décima holte – immerhin der erste von sechs CL-Titeln innerhalb elf Jahren –, nicht nur ihre Dankbarkeit schuldig, sondern auch ein letztes Mal vollstes Vertrauen und Unterstützung. Das hat gegen Arsenal nicht geklappt, i know. Aber jetzt ist er hier: der letzte, große Tanz. And now you gon’ be with me for the last ride. Es war ein langer Weg bis hierhin, selten gehen auch große Trainerären wirklich schön zu Ende – aber Real Madrid hat jetzt die Möglichkeit das Blatt zu wenden. Ein Blatt, auf dem schon teils zurecht viel Negatives von dieser Saison steht, ich kritisiere auch regelmäßig seine Belastungssteuerung, Wechsel, Taktik und vieles mehr, aber die Rückseite dieses Blattes ist noch Weiß. Platz für eine Copa del Rey. Mindestens. Und für einen Abschied, der mir jetzt schon, während besagter Ohrwurm längst wieder von vorne begonnen hat, einen Kloß in den Hals zaubert.

Was immer auch 2024/25 noch passiert: Grazie, Carlo, mille grazie! Reals Weg wird weiter gehen, vermutlich sowohl ansehnlicher als auch etwas erfolgreicher als zuletzt. Und trotzdem singe ich: We’ve come a long way, from where we began, oh, I’ll tell you all about it when I see you again!

 

PS: Wer jetzt noch immer nicht mein Ohrwurm-Leid teilt, nimm’ das!

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von
Nils Kern

Du hast Fragen über REAL TOTAL? Da bin ich bin der Richtige: Chefredakteur und erster Ansprechpartner für Medien, Leser, Fans. ¡Hala Madrid!

Kommentare
Besser kann man die Gefühle eines Madridista wohl im Moment nicht beschreiben.
Wie oft hab ich mir Spiele angeschaut wo ich wegen der Taktik, den Wechseln oder der Lethargie neben dem Spielfeldrand richtig wütend wurde. Aber wie oft hat er in Interviews etwas gesagt das mich einfach schmunzeln ließ und klar machte das es zu wenige Menschen wie Carlo im Fußball gibt. Es ist also wirklich ein lachendes und weinendes Auge bei Carlo´s Abschied. Carlo als Trainer, nein danke, Carlo als Mensch, ein wahrere Traum. Nicht umsonst stehen die Spieler alle hinter ihm. Aber ich glaube das auch die Spieler irgendwo wissen das es mit Carlo im Moment einfach nicht mehr reicht und jetzt etwas frisches kommen muss
 
Für La Decima, die unvergessliche CL Rückrunden 2022 und das Double 2024 (trotz der Kadersituation) sage ich auf ewig DANKE und wünsche dir zumindest noch einen Titel als krönenden Abschluss deiner Trainerlaufbahn bei Real Madrid. Nur das Beste lieber Carlo!
 
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Besser kann man die Gefühle eines Madridista wohl im Moment nicht beschreiben.
Wie oft hab ich mir Spiele angeschaut wo ich wegen der Taktik, den Wechseln oder der Lethargie neben dem Spielfeldrand richtig wütend wurde. Aber wie oft hat er in Interviews etwas gesagt das mich einfach schmunzeln ließ und klar machte das es zu wenige Menschen wie Carlo im Fußball gibt. Es ist also wirklich ein lachendes und weinendes Auge bei Carlo´s Abschied. Carlo als Trainer, nein danke, Carlo als Mensch, ein wahrere Traum. Nicht umsonst stehen die Spieler alle hinter ihm. Aber ich glaube das auch die Spieler irgendwo wissen das es mit Carlo im Moment einfach nicht mehr reicht und jetzt etwas frisches kommen muss
Das gab es aber auch bei Zidane. Was wurde da oft die Spielweise kritisiert. Am Ende gibt der Erfolg Recht. Sonst könnten wir ja die Galaktischen 2.0 wieder ins Rennen schicken und in Schönheit sterben ;)
 
Positiv:
- Meist ruhig und sympathisch
- Am Anfang noch Gentleman (mittlerweile zuviel Schirikritik)
- Vaterfigur für die Spieler
- lenkt in Interviews die Kritik weg von den Spielern (nicht immer gut, Vini Kritik berechtigt)

Negativ:
- Zeitpunkt von selbst zu gehen verpasst
- Taktik, Belastungssteuerung, Spieler verbessern, ingamecoaching, Kaderplanung...
- Spieler nicht zurechtweisen (Vini Verhalten)
- keine Selbstreflektion und Sturheit


Er war lange Zeit der richtige Trainer für Real und hat einen grossen Anteil am Erfolg, dafür danke ich ihm und hab ihn damals auch gefeiert. Aber irgendwan ist es Zeit zu gehen wenn man die Spieler nicht mehr erreicht und wir offensichtlich schrecklichen Fussball spielen. Klar muss man ihn respektieren und alles, aber Fussball ist kein Ponyhof und man muss einfach ehrlich sagen das man jetzt 1 Jahr verloren hat, ähnlich wie dieser Mist mit den sogenanten Übergangssaisons. Man sollte jede Saison so Planen und Transfers machen das man niemals eine Übergangssaison hat und das wäre auch möglich! Alles gute Carlo in Brasilien!
 
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Positiv:
- Meist ruhig und sympathisch
- Am Anfang noch Gentleman (mittlerweile zuviel Schirikritik)
- Vaterfigur für die Spieler
- lenkt in Interviews die Kritik weg von den Spielern (nicht immer gut, Vini Kritik berechtigt)

Negativ:
- Zeitpunkt von selbst zu gehen verpasst
- Taktik, Belastungssteuerung, Spieler verbessern, Kaderplanung...
- Spieler nicht zurechtweisen (Vini Verhalten)
- keine Selbstreflektion und Sturheit


Er war lange Zeit der richtige Trainer für Real und hat einen grossen Anteil am Erfolg, dafür danke ich ihm und hab ihn damals auch gefeiert. Aber irgendwan ist es Zeit zu gehen wenn man die Spieler nicht mehr erreicht und wir offensichtlich schrecklichen Fussball spielen. Klar muss man ihn respektieren und alles, aber Fussball ist kein Ponyhof und man muss einfach ehrlich sagen das man jetzt 1 Jahr verloren hat, ähnlich wie dieser Mist mit den sogenanten Übergangssaisons. Man sollte jede Saison so Planen und Transfers machen das man niemals eine Übergangssaison hat und das wäre auch möglich! Alles gute Carlo in Brasilien!
Gebe ich dir in vielen Punkten Recht. Die Kaderplanung und die ungenutzte Transferphase im Winter waren schlecht. Der Meistertitel wäre heuer sicher drinnen gewesen - mit dem einen oder anderen Transfer.

5 CL Titel in 10 Jahren haben Perez wohl leider geblendet anders kann ich mir das nicht erklären, dass z.B. kein Verteidiger verpflichtet wurde bei 2 Kreuzbandrissen von Stammspielern. Asencio war ja ein kompletter Glücksfall. Wenn der nicht einschlägt, schauts noch düsterer aus. Und ein RV ist schon lange fällig.
 
Toller Text, kann mich da nur anschließen!!
 
@Nils Kern ...schöne Worte und 100% bei dir!

I sehne den Tag dann auch in der Community in ein paar Jahren NICHT herbei, wenn Ancelotti von vielen hier zurück gewünscht wird - da zähle ich mich auch dazu, dem "Mister" muss man ewig dankbar sein für sein Wirken in diesem Verein, absolute Trainerlegende!

...und doch lässt mich irgendwie auch mein Bauchgefühl nicht los, dass er als "Abschluss" seiner Herausragenden Trainer Tätigkeit unbedingt nochmals die Selecao will!
 
Zuletzt bearbeitet:
Ancelotti haben wir sehr sehr viel zu verdanken! Einer der grössten Trainer! Aber irgendwann muss es eine Änderung geben. Und wir haben in dieser Saison, gegen alle starken Teams verloren (ausser Man City & Atletico). Wir brauchen neue Impulse und ein Spielsystem etc.
 

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