
Alonso setzt konsequent auf Rotation
Den ersten vermeintlichen Aufreger gab es bereits im Vorfeld der Partie, als die Aufstellung bekannt gegeben wurde und der Name Vinícius Júnior nicht unter den ersten Elf zu finden war. Ein deutlicher Fingerzeig in Richtung des Brasilianers, der zuletzt eher unterdurchschnittlich performte? Oder vielleicht doch einfach nur die von Xabi Alonso bereits in Leverkusen praktizierte Rotation in der Offensive? Geht es nach dem dem 43-Jährigen, eindeutig letzteres. „Wir haben einen sehr anspruchsvollen Kalender und brauchen jeden. Wir brauchen Vinícius, wir brauchen Rodrygo, wir brauchen Franco (Mastantuono), Brahim (Díaz) und auch Gonzalo (García). Jeder wird seinen Moment haben. Das Wichtigste ist, dass alle bereit sind und sich jeder wichtig fühlt, denn das sind sie und zwar die gesamte Saison über“, stellte der Cheftrainer nach der Partie deutlich klar.
Das Kuriose: Vorgänger Carlo Ancelotti wurde genau für ebenjene fehlende Rotation immer wieder kritisiert. Alonso weiß um die großen Herausforderungen dieser Spielzeit, auch in den ersten Monaten. Und dafür ist die Gesundheit und Frische aller Spieler elementar. Und Alonso weiß das – und setzt dafür offensichtlich auch auf eine konsequente Rotation.
Mastantuono lässt sein Potential aufblitzen
Die ersten 45 Minuten waren mit großem Abstand die besten dieser noch jungen Spielzeit. Ein Grund dafür war auch Franco Mastantuono, der sein enormes Potential erstmals so richtig aufblitzen ließ. Der Argentinier war durch sein Dribbling und seine variable Positionierung ein permanenter Unruheherd. Auch das Kombinationsspiel mit seinen Nebenleuten wusste zu gefallen. Was aber besonders imponierte: Der Fleiß und die Intensität des Argentiniers gegen den Ball, was sogar beinahe in einer Torerzielung mündete. Dem 18-Jährigen war die Gier und Bereitschaft in jedem Zweikampf anzusehen, teilweise jagte er seinem Gegenspieler über das halbe Feld im Sprint hinterher. Ein klares Indiz, dass Reals Neuzugang nicht nur für offensive Glanzmomente sorgen kann, sondern auch gegen den Ball die nötige Intensität und Robustheit mitbringt.
Das lässt auch darüber hinwegsehen, dass die Chancenverwertung diesmal noch zu wünschen übrig ließ. Und auch der starke Leistungsabfall nach der Pause ist für einen 18-Jährigen nicht weiter dramatisch. Aber in Madrid weiß man jetzt endgültig, dass man ein weiteres Talent in seinen Reihen hat, dass das Potential für das oberste Regal besitzt.
Der Alonso-Effekt: Funktionierendes Pressing und hohe Ballgewinne
Dass die Königlichen am Ende erheblich zittern mussten, lag nicht nur an Carvajals Platzverweis, sondern war in Anbetracht der fahrlässigen Chancenverwertung in Durchgang eins zum großen Teil auch selbst verschuldet. Oder in anderen Worten: Was die Blancos – und allen voran auch Kylian Mbappé – in den ersten 45 Minuten liegen ließen, war phasenweise nahezu absurd. Gleichzeitig war der madrilenische Chancenwucher aber auch der Beweis dafür, dass Xabi Alonsos taktische Vorstellungen immer besser greifen. Durch das hohe und aggressive Anlaufen verzeichnet Real immer wieder extrem hohe Ballgewinne und kreiert dadurch auch viele Chancen (insgesamt verzeichneten die Königlichen in der ersten Halbzeit 16 hohe Ballgewinnt, die siebenmal in einem Torschuss mündeten), auch das Gegenpressing funktioniert immer besser. Ein Umstand, mit dem sich der Cheftrainer der Blancos sehr zufrieden zeigte: „Wir haben in der gegnerischen Hälfte viele Bälle zurückerobert. Es war ein gutes Spiel, auch nach dem 1:1.“ In Ballbesitz funktionieren die von Alonso präferierten Verlagerungen und Überladungen auf den Flügeln im besser, wodurch man die Außenspieler immer wieder in Eins-gegen-Eins Duelle bekommt und so ebenfalls für reichlich Torgefahr sorgt.
Allerdings: Alonsos Spielweise birgt natürlich auch Risiken, die auch gegen Marseille phasenweise aufgedeckt wurden. So entstehen durch die enorme Mannorientierung sowie das konsequente Durchdecken der Innenverteidiger immer mal wieder Lücken im Defensivverbund, die, sobald die erste Pressinglinie überspielt ist, vor allem gegen schnelle Offensivreihen ein ordentliches Risiko darstellen. Da Dean Huijsen und mittlerweile auch Éder Militão über längere Strecken über ein gewisses Tempodefizit verfügen, ist die Fehlertoleranz hier eigentlich gleich Null. Gegen gewisse Gegner könnte man ansonsten in erhebliche Schwierigkeiten geraten.
Tchouaméni wird zum Mittelfeld-Boss, Güler muss die Balance finden
Während in der Offensive und Abwehr bisher munter rotiert wird, setzt Alonso im Mittelfeld bisher eher auf Konstanz. So absolvierte Aurelién Tchouaméni bisher alle fünf Saisonspiele von Anfang an und jeweils über die volle Distanz. Der französische Nationalspieler ist für Alonso ein absolut zentrales Puzzlestück in seinem System und auf der Position vor der Abwehr unangefochten gesetzt. Und der 25-Jährige zahlt dieses Vertrauen mit Leistung zurück. In Ballbesitz ist der Franzose die Schaltzentrale im königlichen Spiel, verteilt die Bälle, organisiert den Aufbau, agiert nahezu fehlerfrei. So verzeichnete Reals Nummer 14 gegen Marseille 66 Ballaktionen (die meisten bei den Blancos), spielte 56 Pässe, von denen 91 Prozent den Weg zum Mitspieler fanden, und leitete zudem drei Torchancen ein. Und auch defensiv hält der Franzose den Laden beisammen, wirft sich in alles, was in Richtung Thibaut Courtois kommt. Mit fünf abgefangenen Bällen wusste Tchouaméni auch hier einen Bestwert aufzustellen. Es scheint fast so, als bastle Alonso ein bisschen an einer Kopie seines früheren Selbst.
Wer im bisherigen Saisonverlauf ebenfalls gesetzt ist, ist Arda Güler. Der Türke darf seit dieser Spielzeit endlich im zentralen Mittelfeld ran und weiß ebenfalls zu überzeugen. Gegen Marseille zeigten sich aber auch die noch vorhandenen Defizite im Spiel des 20-Jährigen. So muss der begnadete Linksfuß lernen, seine fehlende Athletik und Dynamik durch eine schnellere Entscheidungsfindung im Ballbesitz zu kompensieren. Güler schafft es zwar oftmals durch seine Spielintelligenz und Technik, sich direkten Duellen zu entziehen, und ist bei freiem Fuß im Spielaufbau eine konstante Bedrohung für den Gegner. In den direkten Zweikämpfen zieht der Türke aber noch zu oft den Kürzeren oder trifft situativ zu oft die falsche Entscheidung und bleibt zu lange am Ball, wie beispielsweise vor dem 0:1, als sein Ballverlust dem Gegentreffer vorausging.
Carreras mausert sich zum Königstransfer
Nach Fran Garcías starken Auftritten bei der Klub-WM, fragte sich der eine oder andere im madrilenischen Umfeld, ob man Álvaro Carreras denn wirklich so dringend benötigen würde. Nach fünf absolvierten Spielen lässt sich sagen: Auf jeden Fall. Auch der 22-jährige Linksverteidiger hat sich bereits als Achsenspieler etabliert und überzeugt durch ein komplettes Paket: Hohe Laufbereitschaft, Geschwindigkeit und Dynamik, Zweikampfstärke, taktisches Geschick, saubere Technik und ein gutes Passspiel. Der Spanier bringt alles mit, was von einem modernen Außenverteidiger verlangt wird – in beide Richtungen.
Insbesondere Carreras’ Stärke in den direkten Duellen in und um den Strafraum ist bemerkenswert. So verzeichnete der Canterano mit zwei Tacklings, einem abgefangenen Ball, drei Klärungen und einem geblocktem Schuss die meisten erfolgreichen Defensivaktionen. Durch sein Tempo ist der Linksfuß zudem insbesondere in der Restverteidigung extrem wichtig. Und gleichzeitig liefert Reals Nummer 18 einen beachtlichen offensiven Impact. Es scheint, als wäre den Blancos da ein richtiger Transfercoup gelungen.
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