
Nach 13 Spielen: Erst eine Gelbe in den 90 Minuten
In den vergangenen Monaten schien Vinícius Júnior einen bemerkenswerten Schritt in seiner persönlichen Entwicklung gemacht zu haben. Denn nach einer auch unter Xabi Alonso für ihn überschaubaren Klub-WM, aber mit Saisonbeginn findet der Brasilianer nicht nur allmählich zu seiner alten Form zurück, sondern präsentierte sich zuletzt auch etwas gereifter, fokussierter und kontrollierter als in früheren Zeiten. Weniger Reklamationen, weniger Provokationen – dafür mehr Effizienz und Verantwortung auf dem Platz.
Während Vinícius in den letzten Jahren häufig durch hitzige Wortgefechte mit Schiedsrichtern oder Gegenspielern auffiel, wirkte er in dieser Saison bislang erstaunlich gefestigt. Statistisch lässt sich das auch belegen, denn zum aktuellen Zeitpunkt wurde der 25-Jährige während der 13 Saisonspiele erst ein Mal verwarnt und kassierte somit deutlich weniger gelbe Karten als in vergleichbaren Phasen vergangener Spielzeiten. Dazu kommt zwar noch eine Gelbe nach Abpfiff des Clásicos und trotzdem: weniger protestieren, weniger Schwalben, mehr Konzentration. Vor allem seit dem Skandalspiel in Valencia im Mai 2023 wird der Flügelspieler regelmäßig zur Zielscheibe gegnerischer Zuschauer – so auch bei Reals erstem Besuch in Oviedo seit 2001. In der laufenden Saison drehte er den Spieß dennoch um: Statt selbst Opfer von Provokationen zu werden, brachte er seine Gegenspieler durch geschicktes Verhalten mehrfach in Verlegenheit und provozierte so Platzverweise zugunsten der Blancos. Erst gegen Villarreal (3:1) eine Gelb-Rote, dann erwischte es den FC Getafe (1:0) sogar doppelt – erst Rot, dann Gelb-Rot. Und auch ohne auf Platzverweise zu spekulieren, wurde beispielsweise Jules Koundé vier Mal umdribbelt vom Brasilianer, darunter die Vorarbeit zum 2:1-Treffer, und von Pedris Gelb-Roter Karte fällt die erste Hälfte ebenfalls auf Vinícius’ Konto, der vom Spanier nur mit einem taktischen Foul zu stoppen war.
Rückfall oder alles halb so wild?
Und trotzdem: Ausgerechnet in jenem Spiel, auf das die ganze Fußballwelt blickt – dem Clásico gegen den FC Barcelona – fiel Vinícius schlussendlich doch noch in alte Muster zurück. Nachdem er bereits in der 72. Minute ausgewechselt wurde, verließ er das Feld wutentbrannt, flüchtete kurzzeitig in die Kabine, fluchte vor sich hin und drohte sogar, Real Madrid verlassen zu wollen („Ich verlasse das Team!“). Zwar kehrte er wenig später auf die Bank zurück, dafür war er in der abschließenden Rudelbildung rund um Barças Lamine Yamal ebenfalls mittendrin, sah dabei Gelb. Und wurde zuvor beim Jubel über Pedris Platzverweis provoziert durch einen Barça-Verantwortlichen Carles Naval, der eine Ball-Geste zu ihm machte (in Anlehnung an den verlorenen Ballon d’Or?), was zur ersten Rudelbildung führte. Ein Auftritt, der Erinnerungen an alte Zeiten weckt und einen bitteren Beigeschmack hinterlässt, weil Vini abermals etwas den Fokus von seiner sportlichen Entwicklung ablenkt.
Por fin el video de la primera tangana:
– Vinicius celebra la expulsión de Pedri.
– Le increpan desde el banquillo de BCN
– Vinicius se encara
– El subnormal del encargado del BCN le hace lo del balón de playa
– Ferran Torres y Balde van a por él, empujón y tirón de camiseta… pic.twitter.com/VGi0d2eji4— Álvaro M-G (@AlvaroNCG) October 27, 2025
Die Reaktionen der Fans fielen entsprechend gespalten aus: Die einen lieben Viní für seine unbändige Leidenschaft und seine sichtbare Identifikation mit dem Verein. Gerade in Anbetracht seiner guten Leistung gegen den Erzrivalen, war die Entscheidung von Xabi Alonso für viele Anhänger unverständlich. Nach einer zwischenzeitlichen Flaute gehörte er in den letzten Wochen wieder zu den gefährlichsten Offensivspielern in LaLiga. Dass er im Clásico „früh“ vom Feld musste, war für den Brasilianer daher doppelt frustrierend – Rodrygo Goes kam aber auch, um einen frischen Spieler gegen Lamine Yamal zu haben. Der Frust kam bei Vini aber auch auf, weil Alonso ihn in dieser Saison erst drei Mal über die vollen 90 Minuten auf dem Platz und auch „nur“ zehn Mal von Beginn an spielen ließ. Ein deutlicher Kontrast zu den unantastbaren Zeiten unter Carlo Ancelotti. Auf der anderen Seite erntet er viel Kritik dafür, dass er mit solchen Ausbrüchen Grenzen überschreitet und sich folglich, wenn auch unbewusst, über die Mannschaft stellt.
Öffentliche Entschuldigung mit Nachklang
Erst drei Tage nach dem Clásico-Eklat und nach einem Monaco-Kurzurlaub mit Wieder-Freundin Virginia Fonseca – auch hier sorgte er selbst zuletzt für Schlagzeilen – meldete sich Vinícius schließlich über Social Media zu Wort. Er entschuldigte sich für sein Verhalten und betonte, wie sehr er den Verein liebe – ein wichtiges Signal, das bei den Madridistas durchaus positiv aufgenommen wurde. Doch auffällig: Eine direkte Entschuldigung bei Trainer Xabi Alonso blieb aus, auch wenn der zwar zum erwähnten „Team“ gehört. Und trotzdem: der Clásico-Konflikt war nur zwischen Spieler und Trainer. Das wiederum nährt Spekulationen über mögliche Spannungen zwischen den beiden, auch wenn Alonso in der Pressekonferenz betonte, dass man über diese Angelegenheit intern sprechen würde. Ob das abseits von Vinícius’ Entschuldigung im Kreise der Mannschaft schon geschehen ist, da gibt es widersprüchliche Meldungen.
Sein Reifeprozess ist sichtbar, seine sportliche Entwicklung unbestreitbar, auch wenn der jüngste Ausraster zeigt, dass der Weg zur völligen Selbstkontrolle noch nicht abgeschlossen ist. Alonso wird wissen, dass er Vinícius nicht bremsen, sondern lenken muss und wenn man die jüngsten Vorfälle nicht allzu hoch hängt, ist die Nummer 7 definitiv auf einem guten Weg.

Zwischen Superstar und Nebenrolle
Mit der Ankunft von Kylian Mbappé hat sich die Hierarchie bei Real Madrid spürbar verschoben. Der Franzose ist im weißen Trikot voll eingeschlagen, liefert Tore, Vorlagen und eine Aura, die ihn zum neuen unangefochtenen Aushängeschild des Vereins macht. Eine Rolle, die zuvor fest in Vinís Händen lag. Zwar betonen beide regelmäßig ihr gutes Verhältnis, doch man wird das Gefühl nicht los, dass Viní die neue Rangordnung innerlich beschäftigt, so entscheidet mittlerweile Mbappé, wer Elfmeter ausführt. Vinícius dagegen war lange das Gesicht des Umbruchs, der Liebling der Fans, der Hoffnungsträger einer neuen Ära und steht nun plötzlich ein Stück weit im Schatten.
Hinzu kommt der schwelende Vertragspoker: Sein aktuelles Arbeitspapier läuft im Sommer 2027 aus, doch seit Monaten ziehen sich die Gespräche über eine vorzeitige Verlängerung hin. Immer wieder kursieren Gerüchte über lukrative Offerten aus Saudi-Arabien. Noch hat der 25-Jährige stets betont, dass es für ihn nur Real Madrid gebe, doch die jüngsten Spannungen und seine neue Rolle innerhalb der Mannschaft werfen Fragen auf. Wird er sich langfristig als echte Vereinslegende etablieren oder endet die gemeinsame Geschichte in einem unerwarteten Bruch, wie schon bei anderen berühmten Trägern der Nummer 7 auch? Fest steht, dass der Brasilianer mit seiner Emotionalität Real Madrid genauso bereichern wie gefährden kann, denn ein leidenschaftlicher, fokussierter Viní ist für Real Madrid Gold wert – ein impulsiver Vinícius dagegen ein Risiko.


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