
Traumhaftes Freistoßtor als Ausdruck starker Form
MADRID. Entschlossen steht er da, hat Position eingenommen. Er wartet darauf, dass per Pfiff das Go des Schiedsrichters ertönt. Seinen Mitspielern Karim Benzema und Gareth Bale, zwei nach Toren dürstenden Angreifern, machte er gerade noch deutlich: Das übernehme ich, das ist Chefsache, schaut ihr ruhig zu. Und dann hämmert Sergio Ramos das runde Leder zentral aus 20 Metern Entfernung mit einer Selbstverständlichkeit zum 2:0 für Real Madrid gegen RCD Mallorca in den Winkel, dass nicht nur Torwart Manolo Reina machtlos war, sondern auch Mittelfeldspieler Dani Rodríguez, der zur Unterstützung Reinas zur Torlinie geeilt war – man kennt es aus Fußballsimulationen –, nichts mehr retten konnte.
Eine Augenweide von Freistoß, von denen der Madridismo in der vergangenen Dekade möglicherweise weitaus mehr hätte erleben können, wenn Cristiano Ronaldo in seinen neun Jahren bei den Königlichen ruhende Bälle trotz seiner durchwachsenen Quote nicht so vernarrt stets für sich beansprucht hätte. Ramos hat an diesem späten Mittwochabend in der 56. Minute des 31. Spieltags der Primera División eindrucksvoll bewiesen, dass ihm Freistöße durchaus liegen. Wie so vieles andere auch.
Schon zehn Ramos-Tore in dieser Saison
Der Kapitän, der beim Aufbau von Angriffen oft mit nach vorne eilt und für kurze Momente einen zweiten Mittelstürmer mimt, kommt inzwischen wettbewerbsübergreifend auf zehn Saisontore. Und das als Innenverteidiger. Und das mit inzwischen 34 Jahren. Öfter hat er als Real-Profi, der er seit 2005 ist, nur in der Saison 2018/19 gejubelt: elf Mal. Bei mindestens sieben verbleibenden Partien also gut möglich, dass er seinen persönlichen Rekord noch einstellt. Team-intern ist mit 22 Erfolgserlebnissen aktuell nur Benzema besser. Drei seiner zehn Treffer hat Ramos seit Mitte Juni, als die Spielzeit nach der dreimonatigen Pause wegen der Coronavirus-Pandemie eine Fortsetzung fand, markiert. Vor Mallorca netzte der Spanier bereits aus dem Spiel heraus gegen SD Éibar (3:1) und per Elfmeter gegen Real Sociedad (2:1) ein.
Mit acht Toren in der Primera División hat er hingegen schon einen neuen persönlichen Bestwert aufgestellt – der torgefährlichste Verteidiger der LaLiga-Historie (169 Treffer) ist er zudem seit kurzem.
Dreimal Note 1,5: Kapitän seit Re-Start top
Es sind jedoch nicht allein die Tore, die ihn derzeit zu einem der konstantesten, wenn nicht sogar zu dem konstantesten Profi im Kader des weißen Balletts machen. Ramos weiß auch mit seiner Leistung in der Defensive zu überzeugen, erhielt von REAL TOTAL auch daher in drei von bisher vier Pflichtspielen seit dem Re-Start die Note 1,5.
Die Nummer 4 hält den Laden hinten als Lautsprecher dicht und gibt selbst dann weiter Anweisungen, wenn sie gar nicht mehr mitwirkt. So geschehen am vergangenen Sonntag in San Sebastián, als Ramos mit einem angeschlagenen linken Knie nach 60 Minuten humpelnd ausgewechselt werden musste, das aber nicht als persönlichen Feierabend verstand. Er animierte seine Teamkollegen von der Bank aus, gab ihnen angesichts der umkämpften Partie Hinweise.
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Wegen ebenjenen lädierten Knies schien ein Startelf-Einsatz gegen Mallorca noch zu Wochenbeginn eher keine Option zu sein. Lieber schonen anstatt ein Risiko einzugehen, wurde gemutmaßt, wie Zidane plant. Aber wenn er fit ist, dann steht ein Leitwolf wie Ramos auch auf dem Rasen. Erst recht, wenn es um die Meisterschaft geht.
All good.
Here we go again! #HalaMadrid pic.twitter.com/PtwdYz8Qmx— Sergio Ramos (@SergioRamos) June 23, 2020
Vertrag bis 2021: Der große Poker um die neue Laufzeit
Ein Ramos, der defensiv sicher steht. Ein Ramos, der vorne trifft – und das dann auch noch besonders sehenswert. Gegenwärtig müsste jedes weitere Spiel das Verlangen der Chefetage steigern, den nur noch bis zum 30. Juni 2021 laufenden Vertrag besser heute als morgen zu verlängern. Während Bruder und Berater René Ramos zuletzt behauptete, Gespräche darüber hätten noch gar nicht begonnen, verbreiten Medien in Madrid bereits seit einiger Zeit Meldungen, wonach Klub und Spieler bislang unterschiedlich denken.
Knackpunkt: das hohe Alter des Abwehrchefs. Ramos würde dem Vernehmen nach gerne gleich ein neues Arbeitspapier bis Mitte 2023 unterschreiben, um so definitiv auch noch im umgebauten Estadio Santiago Bernabéu aufzulaufen. Die Bosse um Präsident Florentino Pérez und Generaldirektor José Ángel Sánchez sollen ihm zumindest vorerst aber nur den 30. Juni 2022 als Ende einer möglicherweise neuen Laufzeit bieten.
Er ist unser Kapitän, unser Leader. Sergio ist seit vielen Jahren hier und muss seine Karriere hier beenden. Das denke ich und das werde ich immer sagen. Zinédine Zidane nach dem Mallorca-Spiel über Sergio Ramos
„Mein Gott! Mit Ramos muss verlängert werden“
Für Predrag Mijatović, einst selbst Spieler und später Sportdirektor von Real, ist das Grübeln seitens des Vereins ein Unding. „Wir können es uns nicht erlauben, ihn gehen zu lassen und einem anderen Klub damit zu helfen. Er gehört uns. Der Klub denkt nun darüber nach, was mit Ramos passieren soll. Mein Gott! Mit ihm muss verlängert werden. Ob zwei oder drei Jahre, spielt keine Rolle. Dieser Typ muss seine Karriere in Madrid beenden. Er ist wichtig, ein Schatz des Klubs. Bei all dem, was er geleistet hat, und all dem, was er noch leisten kann… vielleicht nicht mehr auf dem Spielfeld, denn möglicherweise wird er das in ein paar Jahren nicht mehr können. Aber er wird auf junge Spieler Einfluss nehmen und ihnen beibringen können, wie man sich verhält und an den Verein anpasst“, appelliert der Montenegriner eindringlich an die Führungsriege, Ramos nochmals zu binden.
Führt man sich seine immense Wichtigkeit, seine Performance in diesem Alter und all seine Verdienste im Klub – unter anderem 21 Titel – vor Augen, mag der Poker um das eine Jahr mehr inzwischen wie ein Witz erscheinen. Nicht nur für jemanden wie Mijatović. Bestätigt Ramos seine Leistungen weiter, dürfte sich die Sache jedoch von selbst erledigen und er bis 2023 unterschreiben. Zumal es ja bekanntlich heißt: Es gibt kein zu jung oder zu alt, es gibt nur gut oder schlecht. Und wie gut Ramos ist, hat das Mallorca-Spiel mal wieder hervorragend gezeigt…
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