
Camavinga muss seine Rolle dieses Jahr noch finden
Vinícius Júnior? Knüpft aktuell ohne große Umschweife an seine fantastische letzte Saison an. Federico Valverde? Zählt bislang ebenfalls zu den Leistungsgaranten in dieser Spielzeit und hat mittlerweile sogar das Tore schießen für sich entdeckt. Rodrygo Goes? Legte auch einen bärenstarken Saisonstart hin und gefällt aktuell dank seiner Flexibilität in verschiedenen Rollen. Aurélien Tchouaméni? Steht aufgrund des plötzlichen Abgangs Casemiros bereits voll in der Verantwortung, löst diese Aufgabe jedoch bravourös und überzeugt durch eine für sein Alter erstaunliche Abgeklärtheit und Souveränität. Reals „junge Garde“ blüht aktuell auf und trägt bis hierhin maßgeblich zum fast makellosen Saisonstart der Königlichen (elf Siege aus zwölf Pflichtspielen, darunter mit dem UEFA Super Cup ein Titelgewinn) bei.
Ein Akteur der jungen Wilden, der insbesondere im Endspurt der vergangenen Spielzeit besonders auf sich aufmerksam machte, befindet sich aktuell allerdings in einem kleinen Formtief und muss seine Rolle im diesjährigen Mannschaftsgefüge erst noch finden: Eduardo Camavinga. Der Franzose stand zwar immerhin in fünf der bisher zwölf Saisonspielen von Anfang an auf dem Feld, sich nachhaltig festspielen wie Landsmann und Neuzugang Tchouaméni konnte er sich bisher aber noch nicht.
Ancelotti: Camavinga als Joker aktuell wertvoller
Nun sollte man an dieser Stelle nicht vergessen, dass Camavinga immer noch erst zarte 19 Jahre alt ist und gerade einmal am Anfang seiner zweiten Spielzeit an der Concha Espina steht, dennoch war die Erwartungshaltung, vor allem nach den mitreißenden Auftritten in den K.O.-Spielen der Champions League, durchaus ein bisschen höher. Dass er nun erst einmal weiterhin mit der Rolle des Jokers Vorlieb nehmen muss, liegt auch ein bisschen in Camavingas Spielweise begründet. Von seinen Anlagen bringt der französische Nationalspieler alles mit, was ein zentraler Mittelfeldspieler in der heutigen Zeit benötigt: Ein präzises Passspiel über sämtliche Distanzen, einen starken ersten Kontakt, eine gute Vororientierung, Dynamik und defensive Robustheit. Was Reals Youngster dabei jedoch noch ein wenig abgeht: Das Gefühl für den Rhythmus einer Partie, bisweilen wirkt das Spiel Camavingas ein wenig roh und übermäßig wild. Weil er in unpassenden Momenten aus seiner Position ausbricht oder versucht, mit dem Kopf durch die Wand stürmen – vor allem, wenn er von Anfang an aufläuft und die Gegner zu diesem Zeitpunkt oft noch gut organisiert sind.
Genau in ebendiese Kerbe schlug jüngst auch Ancelotti, als er auf einer Pressekonferenz erklärte, weshalb Camavinga die Jokerrolle aktuell noch besser zu Gesicht stehe: „Wenn er anfängt, hat er mehr Schwierigkeiten in der Positionierung, wenn er später reinkommt, ist das Spiel schon offener. Dann fühlt er sich wohler. Das muss mit der Erfahrung kommen. Das muss er verbessern und wird er auch. Er ist ein Spieler mit außergewöhnlicher Qualität sowohl mit als auch ohne Ball. Was ihm noch fehlt, kann nur mit der Erfahrung kommen. Er ist erst 19 Jahre alt und das ist total normal, nichts Neues.“
In eine ähnliche Richtung zielte vor wenigen Tagen auch Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps, der Camavinga nach Frankreichs 0:2-Niederlage gegen Dänemark in der Nations League für dessen Unzuverlässigkeit in diversen Spielphasen rüffelte: „Er tat ein paar Dinge, die ich nicht sehen will. Er war nicht gut drauf, aber solche Dinge können passieren. Das wird ihm für die Zukunft helfen.“
Die Partie gegen Getafe (REAL TOTAL-Note: 3.5) lieferte dabei mehr oder weniger eine Bestätigung für Ancelottis Aussagen: Camavinga war zwar sehr umtriebig, konnte dem Spiel der Königlichen aber nicht die nötige Struktur geben gegen einen extrem tief verteidigenden Gegner und rannte sich das ein oder andere Mal unnötig fest. Insgesamt hatte man auch das Gefühl, dass die Partie ein wenig am Franzosen vorbei lief (zweitwenigsten Ballkontakte und drittwenigsten Pässe aller Startelfspieler) und die Positionierung phasenweise etwas wild wirkte.
Parallelen zu Valverde, Vinícius und Co.?
Auch wenn die Kritik am jungen Franzosen zuletzt relativ direkt ausfiel, machten sowohl Ancelotti als auch Deschamps aber auch deutlich: Camavinga ist noch sehr jung, derartige Phasen in diesem Alter völlig normal und einfach Teil des Lernprozesses. Wichtig wird sein, dass der Spieler (und auch Verantwortliche und Fans) dies entsprechend einordnet. Auch wenn die Erwartungshaltung vor der Saison möglicherweise eine andere war, muss sich der Nachwuchsstar vorerst mit der Rolle des Jokers zufrieden geben und darüber den Weg ins Team finden. Dass dies funktionieren kann, haben andere Teamkollege zuletzt ja erst eindrucksvoll bewiesen: Federico Valverde pendelte gar zwei Jahre immer wieder zwischen Bank und Startelf, war Alternative Nummer eins, wenn ein Akteur ausfiel, ehe er sich letzte Saison endgültig festspielte. Auch Vinícius Júnior war in seiner Anfangszeit alles andere als unumstritten, ehe er letzte Saison explodierte. Und Rodrygo ist aktuell drauf und dran, die vermeintlich festgespielte Hierarchie in der Offensive aufzubrechen. Denn auch das gehört bei Real Madrid dazu: Neben Talent und spielerischer Qualität bedarf es auch einer gewissen Resilienz und Geduld, um sich festzuspielen. Zeit wird Camavinga von Trainer und Verein genug bekommen. Er braucht ja nur mal bei seinen Kollegen nachfragen.
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