Falsche 9 und falsche Erwartungen.
Ein Weltstar des Fußballs und ehemaliger französischer Nationalspieler sagte Ende 2019 in einem Interview sinngemäß: „Ich habe mich nie als Nummer 9 gesehen (…) meistens war ich nicht einmal im Strafraum (…)“.
Bei diesen Worten könnte man an Karim Benzema denken. Aber es war Arsenal-Legende Thierry Henry. Jemand, den man eigentlich als absoluten Goalgetter in Erinnerung hat. Etwas, das nur die wenigsten auch über Karim Benzema, immerhin einer der erfolgreichsten Champions-League-Torschützen der Geschichte (bis dato 64 Tore und Rang 4 in der ewigen Schützenliste), sagen würden. Aber: warum ist das so? Ein Erklärungsversuch.
Startschwierigkeiten und Vorschusslorbeeren.
Karim Benzema kam 2009 mit einer Menge Vorschusslorbeeren im Gepäck bei seinem neuen Club in Madrid an. Empfangen wurde er rund 20.000 von Madridistas, die allesamt hohe Erwartungen hatten. Zurecht, denn Karims Talent und die gezeigten Leistungen bei Olympique Lyon waren vielversprechend. Als „neuer Ronaldo (R9)“ wurde er bezeichnet. Schnell, technisch versiert und torgefährlich. Florentin Perez ging sogar noch weiter und behauptete: „Karim ist eine Mischung aus Ronaldo (R9) und Zidane“.
Das Versprechen konnte der damals 22-jährige Franzose aber anfangs nicht einmal ansatzweise einhalten. Seine Leistungen waren von „Il Fenomeno“ oder „Zizou“ weiter entfernt als oder Sergio Ramos von einer Saison ohne gelbe Karten. Aber es war nur bedingt seine Schuld:
Einerseits musste sich das wild zusammengewürfelte Team um Manuel Pellegrini erst finden und die Konkurrenz um Raul, Higuain und Co war groß. Andererseits – und das ist ein wichtiger Punkt – war die Erwartungshaltung an Benzema meiner Meinung nach von Tag 1 an die völlig falsche.
Benzemas große Stärke war noch nie das „Knipsen“ an vorderster Front. Karim, der bei „OL“ auch mal am linken Flügel auflief, war immer schon ein Spieler, der sich Bälle holte, weite Wege ging, das Dribbling und die Kombinationen mit Mitspielern suchte – ein torgefährlicher Supportstürmer aber kein „Sturmtank“, der wie am Fließband Tore fabriziert. Kein R9. Genau das wollte man jedoch von ihm – zumindest erwarteten sich das die Fans, die von einer „Nummer 9“ einfach anderes gewöhnt waren und sind.
Man muss sich also meiner Meinung nach bei der Beurteilung von Benzema stets fragen: was erwartet man sich am Platz von ihm, was erwarten sich die Trainer?
Nebenrolle für den Hauptdarsteller.
Dass er jetzt schon über 10 Jahre fast durchgehend Stammspieler beim größten Verein der Welt ist, kommt nicht von ungefähr. Sicher: Perez & Co waren geduldiger mit ihrem Liebling als mit so manch anderem Stürmer. Ein gewisser Argentinier kann davon ein Lied singen. Aber „geliefert“ hat Benzema nach anfänglichen (zugegebenermaßen langen) Schwierigkeiten eigentlich immer. Nur eben auf andere Weise. Denn spätestens mit der Ankunft von Carlo Ancellotti manifestierte sich die undankbare Rolle des Franzosen: als „Wasserträger“ für Cristiano Ronaldo.
Im Gegensatz zu seinem langjährigen Kollegen, Gonzalo Higuain, war Karim nämlich der ideale Sturmpartner für Cristiano Ronaldo. Madrids Nummer 7 war eine Dekade lang DER Zielspieler im weißen Dress, obwohl er nominell am Flügel auflief. Und Benzema ein 9er, der eigentlich als eine Art „False 9“ agierte. Verkehrte Welt im Bernabeu – aber genau das funktioniere lange Zeit hervorragend. Benzema legte die Hebel um, damit die Tormaschine CR7 knipsen konnte. Leistungsbeweise gefällig? „KB9“ legte in knapp 500 Spielen für Real Madrid 132 Tore auf. Dazu kommen etliche Pre-Assists, die selten bis gar nicht in Statistiken aufscheinen. Monseur Benzema war und ist Madrids Spiel immens wichtig, denn spätestens seit dem Abgang Mesut Özils ist er sowas wie der offensivste Spielmacher. Knipsen war in der Ära Cristiano Ronaldo nie Karims (Haupt)Aufgabe. Und obwohl er es macht, wie wenige andere auf der Welt, bekam er dafür selten Lob. Seine wichtige Aufgabe war stets eine undankbare. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass er, wenn CR mal fehlte, plötzlich der einzige Stürmer am Platz war. Er musste sich gefühlt haben, wie im falschen Film, denn von einen Tag auf den anderen wurde er vom Supportstürmer zum Zielspieler. Dass das nicht funktionieren kann, sah man besonders schmerzlich, als CR sich in Richtung Turin verabschiedete und der Verein von Karim erwartete, der neue Zielspieler zu sein.
Der Supportstürmer ohne Sturmpartner.
Der „Ziehsohn“ Perez‘ sollte ohne Cristiano Ronaldo aus dem Schatten seines einstigen Sturmpartners treten – und selbst zum umjubelten Torjäger werden. Es soll schon Fälle gegeben haben, wo das gut funktioniert hat. Aber in Madrid trat das erhoffte Szenario nicht ein, im Gegenteil: Benzema wurde heftiger kritisiert denn je. Vielleicht sogar das erst mal genau für das, was (jetzt) sein Job war.
Aber darf man einen Spieler kritisieren, wenn von ihm etwas erwartet wird, was offensichtlich nicht seine größte Stärke ist? Ein bisschen wäre das so, als ob Casemiro plötzlich für den Spielaufbau verantwortlich sein müsste, oder man von Dribbler Vinicius erwartet, auf der rechten Seite eine Flanke um die andere zu schlagen. Vielleicht könnten sie es irgendwann – aber es wäre nie ihre Spezialdisziplin und es gäbe immer andere, die das besser können. Genau wie umgekehrt andere Spieler nicht einfach deren Rolle einnehmen können.
Meiner Meinung nach liegt es auch am Trainer, dafür zu sorgen, dass Benzema dort eingesetzt wird, wo er am besten funktioniert. Mit Luka Jovic hätte man im Sommer einen Spieler geholt, der sich im Doppelsturm (wie er es bei Frankfurt gewohnt war) deutlich wohler fühlt – und genau der fehlende Sturmpartner für Benzema sein könnte, den er so dringend braucht. Karim funktioniert zwar auch an vorderster Front (irgendwie) und heuer lesen sich seine Zahlen mehr als respektabel – aber man darf zumindest bezweifeln, dass er diese Statistiken weiterhin kontinuierlich halten kann. Außerdem tut man weder ihm noch dem Team mit dieser Rolle einen Gefallen. Ein Klopp erwartet von Firmino auch keine 30 Tore pro Saison. Er soll Mane und Salah glänzen lassen – wie KB9 in besten „BBC-Zeiten“.
Ein Plädoyer für die Spezialisten.
Im modernen Fußball verlangt man von Verteidigern, dass sie auch angreifen und von Stürmern, dass sie auch verteidigen. Spieler sollen am besten auf mehreren Positionen spielen können. Das unterschreibe ich im Ansatz alles … aber die Gefahr ist, dass die Spezialisten verlorengehen und Spieler alles können aber nichts weltklasse. Mateo Kovacic ist mMn so ein Beispiel. In Madrid konnte er jede Mittelfeld-Position bekleiden – aber auf keiner hat er sich langfristig durchgesetzt. Casemiro war der bessere „Staubsauger“, Kroos der bessere Dirigent. Perfekt wäre er für die Modric-Nachfolge gewesen, aber das ist eine andere Geschichte. Worauf ich hinaus will: Spieler sollen dort spielen, wo sie a) am besten sind und b) der Mannschaft am besten helfen können. Wo die Stärken am besten und die Schwächen am wenigsten zur Geltung kommen.
Benzema ist ein Spezialist darin, sich fallen zu lassen, Bälle zu behaupten, Platz für Mitspieler zu schaffen und ihnen zu assistieren. Er versteht es, ein Spiel zu lesen und zu antizipieren. So war es meiner Meinung nach nicht nur Glück, dass er im CL-Finale gegen Liverpool Karius‘ missglückten Abschlag abfing und dem Deutschen ein Tor einschenkte – denn es war nicht das erste Mal, dass der Franzose solche Patzer ausnutze. Es schaut zwar leicht aus, aber man muss erst einmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein für solche Tore. Karim macht das so gut wie wenige andere, deshalb hat er auf der Position des Solo-MS mMn nichts verloren. Geben wir Karim mit Jovic doch wieder einen Sturmpartner. Das verteilt die Last des Toreschießens auf mehrere Schultern und vor allem: der Strafraum ist besetzt, wenn Karim wieder einmal wo anders ist.