Ist das denn so? Ich dachte, dass mein Barcelona im Internet als DER "Schuldenklub"bekannt ist, dessen pure Nochimmer-Existenz für viele eine Zumutung ist, ein schmutziger Haufen von Spanienhassern unterstützt von bigotten spaßbefreiten Heuchlern, besucht von Touristen und Kunden statt echten Fans, die Titel alle unverdient und durch Schiebung gewonnen. Welche Medien lassen derzeit ein gutes Haar am Klub?
Barcas Image hat in den letzten 2-3 Jahren Kratzer bekommen, ist aber halt auch erst so seit ihr euch in der CL regelmässig blamiert habt, die Schulden publik wurden und der Verein mit Anlauf einen Kopfsprung in jedes Fettnäpfchen am Wegrand macht. Davor wurde von Mitte der 2000er bis noch 2020 sehr oft das Bild vom überragenden und ehrenvollen Klub, der sich nur mit Jugendspielern und wenig Investitionen den Fussball gegen den ehrenlosen und zusammengekauften Galactico Schulden Klub verteidigt. Teilweise wurde das ganze sogar politisch ausgeschlachtet, die ehrenvollen Verteidiger der katalanischen Unabhängigkeit gegen die bösen imperialistischen Unterdrücker aus der Hauptstadt. Dieses Bild hat sich im deutschen und teilweise auch im englischen Sprachraum tief eingebrannt. Wir haben 2022 und ansonsten eigentlich sehr gute Sportjournalisten im öffentlich rechtlichen Schweizer Fernsehen reden noch immer von Real als "der Schuldenklub" als sei es das normalste der Welt, obwohl es mit etwas Recherche leicht widerlegbar wäre. Das zeigt doch, dass selbst in Fachkreisen eins sehr verzerrtes Bild besteht. Auch die neutralen Fans haben gegenüber Real oft nocht einen instinktiven Abwehrreflex und schlagen sich nur zähneknirschend auf ihre Seite, wenn es gegen den Scheich Abschaum des Fussballs geht. Einmal festgesetzte Vorurteile kriegt man nur schwer und mit viel Geduld und Beharrlichkeit wieder weg.
Mir ist auch komplett die Anerkennung für unsere eigene epische Remuntada abgegangen (4 Tore Rückstand sind doch ein ganz anderes Kaliber als 1, dass Real Madrid jetzt weiterkommt, hatte ich eigentlich nicht hinterfragt...), habe damals eigentlich mehrheitlich ironische Kommentare zum angeblich unverdienten Weiterkommen bekommen. Als ob das nicht etwas Einzigartiges wäre, wenn 1x in der Vereinsgeschichte etwas so Unwahrscheinliches durch enormen Willen und Kampf und Glauben seitens der Fans erreicht wird!
Eine Remontada im Achtelfinale und ein CL Triple bzw. 4 Titel in 5 Jahren und nun diese legendäre CL Kampagne ist in meinen Augen dann doch nicht ganz dasselbe. Barca hat damals zurecht viel Lob von allen Seiten bekommen, auch wenn es einige strittige Szenen gab. Das ihr in den letzten Jahren in der CL vor allem durch epische Niederlagen geglänzt habt und sich diese in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, habt ihr euch selber zuzuschreiben.
Denke andererseits schon, dass der "Hype" der besten Barcelona-Jahre gerechtfertigt war, weil Barcelona eher wirklich überlegen sein muss, um zu gewinnen - sodass dann eher mehr oder mit Glück gleich alles Verfügbare auf einmal gewonnen wird. Wenn es nicht läuft, kommen leider gleich die Lampenfieber-Probleme bei den entscheidenden Spielen. Und von eurer Seite heißt es gleich einmal, die Jahre des Hypes wären bloß Ausreißer vom natürlichen Zustand der Titellosigkeit gewesen LOL.
Hier geht es mir, wie eigentlich schon im ersten Abschnitt, um die öffentliche Wahrnehmung. Peps Barca 2008 bis 2012 war eine der beste Mannschaften aller Zeiten (wer jetzt DIE beste ist ist aus meinen Augen subjektiv) und hat überragend gespielt und zurecht viel gewonnen, kann ich neidlos anerkennen. Mir geht es darum, wie Reals eigene legendären Leistungen und Rekorde dagegen betrachtet werden. Wie gesagt 4 Titel inklusive ein Triple in 5 Jahren, etwas was selbst Peps Barca nicht geschaft hat und lange als unmöglich eingestuft wurde. Jede andere Mannschaft wäre dafür unsterblich gemacht und auf ewig vergöttert worden. Nur bei Real wir irgendwie immer nach Ausreden gesucht. Alles vor 2000 war natürlich Franco zu verdanken (was völliger Blödsinn ist), alles danach reines Glück und unverdient. Aber Manus 3 Minuten gegen die Bayern 1999, Liverpool 2005 oder Chelsea 2012 sind dann jeweils die besten aller Zeiten. Real Madrid ist Rekordmeister (mit Abstand), Rekord CL-Sieger (mit Abstand), den allermeisten Fussballfans rund um den Globus ein Begriff, viele der besten Spieler und Trainer aller Zeiten haben das legendäre weiss getragen/gecoacht. Die meisten Fussballer träumen davon, einmal weiss zu tragen, oder mit Barca im legendären Duell gegen sie anzutretten. Man muss Real nicht mögen, aber vielleicht sollte man mal aufhören so zu tun, als wären wir irgend ein Hinterwäldler Klub, der andere Vereine durch reines Glück um ihre verdienten Titel bringt. Ausgerechnet Dani Alves hat es gestern eigentlich treffend formuliert, nur mit Glück steht man nicht im CL Finale (sinngemäss).
Die Champions League kratzt mich nicht besonders, denn dieser Zug ist lange vor meinen Lebzeiten abgefahren, ein Aufholen ist da unmöglich. Wie hätte man auch den mitgezählten alten Pokal oft gewinnen können, wenn man ihn fast nie überhaupt gespielt hat? Der Rekordmeister scheint mir da vielversprechender. In jedem Fall ist es im Sinne der spanischen Liga, wenn er möglichst hart umkämpft und nicht dauerhaft entschieden ist.
"Titel XY interessiert mich nicht" ist in meinen Augen eine billige Ausrede, sorry. Die Barca Titelgewinne 92, 06, 09, 11 und 15 wurden (zurecht) ausgiebig gefeiert und viele haben darauf gehoft, dass man noch mehr Titel gewinnen könnte und es schaft, ihn zu verteidigen. Und das Bord hat nicht zurecht auch in der Hoffnung, die CL nochmal zu gewinnen, soviel Geld in die Dembeles, Coutinhos und Griezmanns dieser Welt gesteckt. Die CL ist ein legendärer Wettberwerb mit vielen legendären Geschichten, und Real ihr Köning. Ich finde es genau so lächerlich wenn man aus Madrider Sicht sagt, die Copa interessiert mich nicht, aus meiner Sicht der Wettberwerb, der von uns etwas stiefmütterlich behandelt wird. Konkurrenz ist immer gut, Real ist aber wieder mehr auf Augenhöhe als auch schon. Es wird noch einige Pep Äras brauchen, bis die Rekodmeisterschaft in Reichweite kommt.
Es gibt sogar wieder einen Barcelona-Hype, nur diesmal einen weiblichen. Die Liga ist extrem, 28 Spiele, 28 Siege, 151 Tore, 9 Gegentore. Die beiden meistbesuchten Spiele diese Saison im Camp Nou waren Frauenspiele. Ob die Verteidigung des Triples machbar ist, wird sich zeigen. Hoffentlich entwickeln sie bei dem jetzt entstandenen Erwartungsdruck nicht auch Lampenfieber-Probleme!
Ich finde es Super, das Frauenfussball auf dem Vormarsch ist und mitterweile auch 2 so legendäre Vereine wie Real und Barca mitmischen. Ich hoffe es gibt auch da viele spannende Duelle und Titel für beide Seiten. Hat nur aus meiner Sicht mit dem Herrenbereich absolut nichts zu tun.
Und völlig aus der Luft gegriffen finde ich den Vorwurf der ewigen Opferrolle nicht. Wenn Barca gut spielt und Titel gewinnt, wird das hier und von Real meistens honoriert. Im Clasico wart ihr klar besser, muss man neidlos anerkennen. Es ist ebenfalls stark, wie schnell Xavi aus wenig wieder etwas funktionierendes aufbauen konnte. Auch das Triple 2015, die Pep Ära oder eure langjährige La Liga Vorherrschaft wurden ausgiebig gewürdigt. Gab und gibt hier sogar genug Leute, die eine regelrechte Barca Phobie haben und bei jedem Aufschwung eurerseits sofort die nächste Ära sehen. Ebenso gibt es die, die sich wünschen, dass wir uns vieles bis alles bei euch absehen, auch wenn ich das persönlich anders sehe. Umgekehrt kommt aber oft nur sehr zähneknirschend und zurückhalten irgend eine Gratulation und Anerkennung, wenn überhaupt. Uns es wir gerne, sowohl bei Real Triumpfen als auch eigenen Niederlagen, sehr gerne nach Ausreden und Schuldigen gesucht. Glück, der Schiri, Spieler X, die Zuschauer, irgendwer is es immer. Ist es so schwer einmal hinzustehen und zu sagen "ihr wart besser, gratulation"?
In der Hinsicht ist mein Respekt für Pep in den letzten Tagen übrigens einiges gewachsen, und er selbst scheint auch als Person und Trainer reifer geworden zu sein. Ein jüngerer Pep aus Barca Zeiten hätte ohne Zweifel genau so reagiert wie oben beschrieben, trotzig, nach Ausreden suchend, unverdient. Aber er hat es mit Fassung getragen, allen gratuliert und sich an der eigenen Nase genommen. Das zeigt einerseits Grösse als Person und andererseits kann man ihm aus meiner Sicht wirklich wenig vorwerfen. Er hat 2 mal die bestmögliche Elf aufgestellt und sie so spielen lassen, wie er es meistens tut uns sie es auch am besten können. Keine wilden Experimente, keine komplizierte taktischen Manöver, er hat seine überragenden spielerischen Qualitäten voll ausgespielt, und hat 98% der Spielzeit geführt. Wenn den Spielern die allerletzte Konsequenz fehlt, um den Deckel endgültig drauf zu machen oder halt bis zur 96 min konzertriert zu bleiben, ist dass dann am Ende irgendwo auch ausserhalb seiner Reichweite. Dieses Real ist irgendwo einfach auch höhere Gewalt, diese Moral und/oder Effizienz kann auch der beste Taktiker nicht reproduzieren und kein Geld dieser Welt kaufen. In 9 von 10 Fällen hätte City das klar und verdient gewonnen, jetzt haben sie knapp gegen ein übernatürliches Real verloren, ist aus meiner Sicht keien Schande.