Back to the Roots. Frei nach dem Motto "Schuster, bleib bei deinem Leisten" setzt Ancelotti den diversen taktischen und positionellen Experimenten der vorherigen Wochen ein Ende und besinnt sich wieder auf das Winning System der letzten Jahre. Die Mannschaft dankt es ihm mit einem 2:0. Hier mal wieder eine kurze und knackige Analyse.
Aufstellung:
Rodrygo und Carvajal kehrten nach einer kurzen Pause zurück und auch Mendy startete erneut als defensiv orientierte Option, während Fran als offensivere Waffe in der Hinterhand behalten wurde. Ceballos bekam erstmals seine Chance, auch um das 4-3-3 überhaupt zu ermöglichen. Modric, der in der Spielzeit nicht wiederzuerkennen ist, blieb vorerst auf der Bank.
Um Ceballos gab es in der vergangenen Woche ein paar Wechseldiskussionen und ich bin da voll und ganz auf seiner Seite. Wenn drei Spieler auf seiner Position entweder ausfallen oder in sehr schlechter Form sind (Camavinga, Bellingham, Modric) und der Trainer lieber auf Doppelsechs umstellt als ihn zu berücksichtigen, dann muss er hinterfragen, wofür er denn überhaupt hier ist. Jeder, der das nicht macht, sitzt nur wegen der guten Bezahlung hier. Es war ein sehr schönes Zeichen, dass ihn sowas stört, und es war ebenso schön, dass Ancelotti scheinbar sehr empathisch darauf reagiert hat. #Familie
Gegen den Ball:
Die größte taktische Änderung im Vergleich zu den vorherigen Spielen war natürlich der Wechsel von der Doppelsechs zurück zum Dreiermittelfeld. Vor allem in defensiven Umschaltmomenten hat sich das positiv bemerkbar gemacht. Es ist ein großer Unterschied, wenn man mit einem Spieler mehr absichern kann. Während Real Madrid bei ihren Doppelsechs-Experimenten noch sehr stark von einem zuverlässigen Gegen- und Rückwärtspressing abhängig war, was nicht funktionierte, schaffte man in diesem Spiel wieder Strukturen, die besser zu dieser pressingschwachen Mannschaft passten.
Ansonsten stand Real Madrid vornehmlich wieder im tiefen 4-4-2-Block. In der Hinsicht gab es keine großen Änderungen, man hat es einfach nur besser gemacht als vorher, sowohl individuell als auch kollektiv. Die Abstände und die Kompaktheit waren gut.
Auch Vinicius und Mbappé standen dieses Mal deutlich tiefer und waren merklich damit beschäftigt, diese vorher großen Abstände zwischen ihnen und dem Mittelfeld so klein wie möglich zu halten. Zwar waren die beiden wie gewohnt teilnahmslos und nur körperlich in den Räumen, aber auch das ist eine Steigerung und immerhin besser als Nichts. Es ist schon eine große Hilfe, wenn da wenigstens jemand steht und einen Passweg zustellt.
Rodrygo entwickelt sich in eine erfreuliche Richtung. Er wird in diesem Leben natürlich kein Defensivmonster mehr, das ist klar, aber er ist nicht nur körperlich da, sondern sucht mittlerweile aktiver den Zugriff in die Zweikämpfe und ist in seiner Zweikampfführung bemühter. Er nimmt die Herausforderungen seiner neuen Rolle an. Vier attempted Tacklings in der eigenen Hälfte, davon zwei tief in der eigenen Hälfte. Er ist aktiv. Ich vertrete zwar immer noch die These, dass Ancelotti ihn in großen Spielen durch einen defensiv stabileren Spieler ersetzen wird, aber Rodrygo bietet mit solchen Leistungen eine zusätzliche taktische Option an und das ist ohne Frage ein Gewinn.
Individuell muss man in diesem Spiel definitiv Tchouameni hervorheben, der endlich mal zeigen konnte, wieso er für Ancelotti so essentiell ist in der Defensive:
7/8 ground duels won
3/3 aerial duels won
2 blocks made
4 tackles won
4 interceptions made
Mit dem Ball:
Auch hier, back to the roots. Wir alle kennen Ancelottis 4-3-3. Wie jedes andere System hat auch dieses seine Stärken und Schwächen. Die große Schwäche war schon immer die Besetzung zwischen den Linien und damit einhergehend die Verbindung zwischen Mittelfeld und Angriff. In diesem Spiel hat das wieder ganz okay funktioniert. Die drei Angreifer und die zwei Achter haben sich gut zwischen den Linien bewegt und gute Anbindungen an ihre Mitspieler gefunden.
Eine Änderung, die mich persönlich am meisten freute, waren die AVs, die diesmal nicht ständig einrückend gespielt haben. Es ist keine grundsätzlich schlechte Taktik, das ist eine Taktik sowieso nie, aber sie hat dieser Mannschaft viel mehr Probleme bereitet als es Vorteile brachte. Darauf gehe ich später noch öfter ein.
In der Spieleröffnung agierte man nun wieder mit einem Dreiermittelfeld, was die Raumaufteilung etwas flexibler machte. Ansonsten war die Rollenaufteilung aber relativ gleich. Wir sehen seit dem Kroos-Abgang, dass ein großer Teil der Last auf die beiden IVs übertragen wurde. Das ist auch logisch, denn sowohl Militao als auch Rüdiger sind in der Spieleröffnung unglaublich spielstark und vielseitig.
Tchouameni hingegen hat in dieser tiefen Spielmacherrolle bisher eine wesentlich weniger dominante Rolle als es Kroos noch hatte. Natürlich ist er keine Durchlaufstation wie es einst Casemiro war, aber er ist aktuell deutlich mehr darauf fokussiert Dreiecke zu schaffen und die Ballzirkulation aufrechtzuhalten als die Bälle strategisch überall auf dem Feld zu verteilen. Dass er das auch kann, hat er in der französischen Nationalmannschaft gezeigt, aber in Madrid hat es bisher noch nicht ganz geklickt. Finde ich aber auch verständlich. Nach Kroos der nächste Spielmacher zu werden ist wie nach Michael Jackson aufzutreten. Auf ihm lastet eine Menge Druck. Ich finde, er steigerte sich von Spiel zu Spiel stetig, aber langsam.
In vorderster Reihe agierte Rodrygo dieses Mal etwas rechtslastiger. Das hatte aber vermutlich mehr mit der Raumaufteilung für Umschaltmomente zu tun und war wohl kaum eine taktische Anweisung. Gegen Low Blocks wird er vermutlich wieder wie gewohnt überall auf dem Feld zu finden sein.
Ich möchte an der Stelle auch mit einem Mythos aufräumen, dass die rechte Seite wegen Rodrygo verwaist bzw. die rechte Seite allgemein zu wenig bespielt wird. Mannschaften haben sehr oft eine dominante Possession/Progression Seite und eine Penetration Seite. Beim FC Barcelona ist das nicht anders.
Was in den letzten Spielen allerdings definitiv ein Problem war, ist die qualitativ schwache Penetration über die rechte Seite. Das hat einige Gründe:
- einrückender und/oder zurückhaltender RV, der zu wenig Breite anbietet für schnelle Spielverlagerungen
- allgemein zu langsame Ballzirkulation im letzten Drittel, sodass schnelle Spielverlagerungen gar nicht erst stattfinden
- Valverde gefesselt als Doppelsechs, der zu wenige Runs nach rechts anbieten kann
- Rodrygo, der in einer Freirolle das gesamte Spielfeld bespielt
Rodrygo ist somit ein Grund für das Problem, aber erstens nur ein Grund und zweitens der unwichtigste der Gründe. Dass er oftmals alleine dafür verantwortlich gemacht wird, ist in meinen Augen zu kurz gedacht.
Mbappé findet sich immer besser zurecht, sowohl positionell als auch individuell in der Zusammenarbeit mit seinen Mitspielern. Er hat mittlerweile auch eine Reihe von Experimenten durchgemacht in den letzten Spielen. Anfangs gab Ancelotti den Spielern noch sehr freie Rollen und sie selbst sollten zurechtkommen, später gab es dann klarere Täusche zwischen Mbappé und Vinicius und in den letzten beiden Spielen wurde er in zentraler Position festgemacht. Das ist okay. Gerade dann, wenn es Schwierigkeiten gibt, sind klare Referenzpunkte nach denen man sich richten kann, sehr hilfreich.
Mein Highlight dieser Partie war Vinicius. Er war wie ausgetauscht. Unfassbar spielfreudig und deutlich formverbessert. Und unfassbar spielfreudig. Das muss man einfach wiederholt sagen. Eine kurze Statistik dazu:
In den vorherigen Spielen hatte Vinicius eine Passrate von 56%, das bedeutet nur die Hälfte seiner Touches wurden mit einem Pass fortgesetzt. Das ist für einen Winger ein lächerlich geringer Wert, der einfach nur atemberaubend ist. Offensichtlich gab es da ein Einzelgespräch, dass das so nicht weitergehen kann, denn am gestrigen Abend gab es eine klare Kehrtwende. Er erreichte eine Passrate von fast 70%, zur ersten Halbzeit sogar fast 80%. Ein Vinicius, der mit seinen Mitspielern zusammenspielt, ist ein besserer Vinicius.
Wieso funktionierte das vorher nicht? In meinen Augen gab es dafür zwei Gründe. Erstens, abermals, die einrückenden AVs, die statisch im Raum standen, während Vinicius isoliert auf dem Flügel klebte und keinen Anschluss zu seinen Mitspielern finden konnte. Und zweitens ein individuelles Problem bei ihm selbst. Er hat immer wieder Phasen und sogar ganze Spiele, in denen er in reihenweise Soloaktionen verfällt. Es wirkt so, als sei es ein Ego-Ding bei ihm, aber ich kann ihm da natürlich nicht in den Kopf schauen. So oder so sollte Ancelotti ihm regelmäßig klarmachen, dass seine beste Version die mitspielende Version ist.
Diesbezüglich entstand auch der Mythos, dass er absichtlich nicht Mbappé abspiele. Richtig, er spielte ihm selten einen Ball ab, aber er spielte allgemein selten Bälle ab. Das war sehr viel Confirmation Bias in den sozialen Netzwerken.
Fazit:
Die Rückkehr zum 4-3-3 hat definitiv einiges verbessert. Die Absicherungen waren besser, die Raumaufteilungen fühlten sich wieder vertrauter an für die Spieler, Valverde wurde befreit aus den Doppelsechs-Ketten und war besser eingebunden, Carvajal konnte wieder Carvajal-Dinge tun, die rechte Seite wurde wieder effektiver. Das klingt jetzt vielleicht zu positiv, aber damit meine ich einfach nur, dass Real Madrid nicht mehr schlecht gespielt hat sondern okay. Und das ist schließlich auch ein Schritt in die richtige Richtung.
Es ist ein bisschen witzig, weil sich Ancelotti im Grunde vom 4-3-3 ausgehend einmal um 360 Grad im Kreis gedreht hat und nun wieder beim 4-3-3 angekommen ist. Aber auch durchaus verständlich. Modric ist zur Zeit ein Schatten seiner selbst und Ceballos fällt in der Qualität deutlich ab zum Rest. Es war schon okay in der Situation zu experimentieren.
Nur wie soll es jetzt weitergehen? Auch Ceballos fällt nun mehrere Wochen aus. So erfreulich die Steigerung im 4-3-3 auch war, die gelernten Spieler dafür gehen Ancelotti aus. Das ist schon eine Menge Pech. Drei Spieler sind verletzt, ein weiterer ist komplett außer Form. Keine Kaderplanung der Welt rechnet so etwas ein. Außer Chelsea natürlich.
Vielen Dank für die tolle Analyse. Macht sehr viel Spaß zu lesen!
Ich bin ebenfalls zu der Überzeugung gekommen, dass die Doppel-6 in der derzeitigen Zusammensetznung mit Valverde und Tchouameni nicht optimal ist. Zum Einen wird Valverde so seine Stärken beraubt und zum anderen fehlt es beiden an Spielmacherqualität. Durch die Hereinnahme von Ceballos konnten wir dem entgegenwirken. Wir sind uns glaube trotzdem einig, dass er eher ein guter Rotationsspieler als ein Stammspieler ist.
Deshalb schließt sich für mich die Frage an, wie es kurz- und mittelfristig weitergeht. Ich sehe da im Moment am ehesten Arder Güler in die Rolle des Spielmachers auf der 8er Position. Dafür müsste dann Valverde allerdings die Seite wechseln.
Mittelfristig steht uns Bellingham wieder zur Verfügung, den Carlo eher ungehr in einer tieferen Rolle "verschwenden" will. Sprich wir werden wieder zum 442/4231 zurückkehren und wohlmöglich wieder vor den gleichen Probleme stehen.
Die Verletzungssorgen stellt Carlo und seine Team immer weider vor Probleme und ich habe die große Befürchtung, dass die Lösungsansätze zu kurzsichtig sind. Die Karten werden bei jeder Verletzung oder Formtief neu gemischt und wieder werden im Schlimmsten Fall weiter Federn lassen.
Die klare Grundstruktur und Idee Fußball zu spielen fehlt. Ja, das ist ein Stück weit - zu diesem Zeitpunkt - "normal", weil Carlo heuer wieder ohne Kroos und Mbappe eine ganz neue Ausgangslage hat und die Vorbereitung mit allen Spieler bedeutend zu kurz gewesen ist.
Neben Bellingham wird dann auch noch Camavinga zurückkehren und ich kann mir derzeit noch nicht vorstellen wie unsere Startelf/Formtion dann aussehen soll. Es klemmt derzeit an vielen Punkten und wird das eine Probleme behoben offenbart an anderer Stelle das nächste Leck. Unsere Offensive sehe dabei noch als das geringste Problem.
So gut bestückt unser derzeitiger Kader in dieser Saison ist, so viele Luxusprobleme verbergen sich darin daraus eine funktionierende Mannschaft zu formen. Ich bin überzeugt, dass Ancelotti einen Weg finden wird. Bis dahin könnte es uns aber vielleicht die Meisterschaft kosten.