Habe ich auch gedacht. Aber dann habe ich mich daran erinnert, wer unseren Club führt. Dieser Mann denkt absolut wirtschaftlich – und er ist bereit, für wirtschaftlichen Erfolg den sportlichen Erfolg ganz weit hintenanzustellen. Viele Fußballclubs werden nicht wie Unternehmen geführt. Entscheidungen werden in erster Linie aus sportlicher Perspektive getroffen. Läuft es sportlich nicht, greift die Führung ein. Und wenn sie eingreift, geht das in den meisten Fällen schief. Die Transfers bringen oft nicht den erhofften Effekt, und besonders Entscheidungen, die aus Emotionen heraus getroffen werden, sind prädestiniert zu scheitern!
Natürlich ist nicht jede Entscheidung automatisch falsch. Aber viele Vereine haben inzwischen “totes Spielermaterial” im Kader – Spieler, für die zu viel Geld ausgegeben wurde, und die dadurch neue, marktgünstige Chancen blockieren. Das Geld ist weg.
Real Madrid hingegen trifft Entscheidungen seit Corona nicht mehr primär auf Basis sportlicher Ergebnisse. Man handelt nur noch dann, wenn man überzeugt ist, dass ein Spieler das notwendige Niveau für den Club mitbringt. Und abhängig davon, inwieweit er diesen Anforderungen entspricht, ist der Club bereit, eine bestimmte Summe zu zahlen. Wahrscheinlich existiert intern ein Scouting-Rating für jeden potenziellen Neuzugang. Je nach Bewertung wird entschieden, ob und wie viel investiert wird.
Das erklärt auch, warum kein Sportdirektor mehr nötig ist. In diesem Modell ist er schlicht überflüssig. Es gibt ein Scoutingteam, das für jede Entscheidung geradestehen muss – und keinen Zidane mehr, der regelmäßig Wunschtransfers äußert, von denen letztlich nur Mendy einigermaßen funktioniert hat – und selbst das nur mit Abstrichen. Diese Strategie reduziert Fehleranfälligkeit deutlich. Entscheidungen werden sachlicher getroffen, frei von kurzfristigen Emotionen. Man verbrennt kein Geld und verfügt über liquide Mittel, wenn sich echte Gelegenheiten bieten – ohne dafür Kredite mit Zinsen aufnehmen zu müssen, die einen später wieder einschränken, wenn das nächste Supertalent auf dem Markt ist.
Natürlich hat auch dies auch seine Nachteile. Auf sportliche Schwächen wird nicht sofort reagiert. Lücken im Kader bleiben bestehen, solange sich keine passenden Spieler zu einem bestimmten Preis finden. Das führ zu schwächeren Auftritten auf dem Platz. Undden Fans wird der emotionale Aspekt genommen, das Gefühl, dass auf eine Durststrecke automatisch eine Reaktion folgt. Seit einigen Jahren fehlt dieses Gefühl, obwohl Real zum Teil große Erfolge erzielt hat.
Vielleicht ändert sich die Strategie mit dem neuen Trainer.
Vielleicht hat man bewusst Geld zurückgehalten. Nicht, um es in die Übergangslösung Ancelottii zu stecken, sondern um es gezielt für den nächsten „Mourinho“ bereitzuhalten. Sprich für Xabi Alonso. Vielleicht muss dieser einfach enger mit dem Scouting-Team zusammenarbeiten, seine Ideen klar kommunizieren und in einem Austausch dafür sorgen, dass das sportliche Profil der Neuzugänge mit seiner Kaderstrategie übereinstimmt. Vielleicht liegt ein Teil des Problems damit auch bei Ancelotti selbst. bei einem Trainer, der nicht dafür bekannt ist, eine klare Spielidee zu verfolgen oder konkrete sportliche Anforderungen zu stellen, sondern der sich quasi nur durch Verwalten statt aktiver Kadergestaltung auszeichnet.
Interessante Sichtweise. Ich glaube, viele Punkte treffen durchaus zu und beschreiben Pérez' Grundhaltung. Mir sträubt sich dagegen halt so einiges:
1.) Das Unternehmen, dem Pérez als Präsident vorsteht, heißt ACS. ACS ist einer der größten Baukonzerne Europas. Zugleich ist er Präsident von Real Madrid
Club de Fútbol. Letzteres ist ein Fußballverein, der (formal) den Mitgliedern gehört. Ein Fußballverein hat als obersten Sinn/Zweck, (erfolgreich) Fußball zu spielen - alle anderen Mittel (Geldbeschaffung, Wirtschaften etc.) sind dazu da, diesem Sinn nachzukommen. Allein schon die Grundannahme, einen Fußballverein nicht primär nach sportlichen Kriterien zu führen, ist ein Widerspruch in sich.
Pérez gebührt dahingehend ein enorm großes Lob, dass er es über weite Strecken seiner Präsidentschaftszeit geschafft hat, Sport und Wirtschaftlichkeit zusammenzuführen. Etwas, was andere Präsidenten zweifellos vermasselten, indem sie die sportliche Ebene absolut setzten und alles andere aus den Augen verloren (Grüße an Bartomeu).
2.) Wie passt deine Beschreibung, unter Pérez würde streng nach Wirtschaftlichkeit entschieden, mit der objektiv als Passion zu bezeichnenden Thematik rund um Mbappé zusammen? Pérez hätte nachweislich über 200 Mio. in den Prinzen von Paris investiert. Mag sein, dass bei Zidane und CR7 der return on investment tatsächlich noch greifbar war (es war eine andere Zeit und die globale Vermarktung mit Trikotverkäufen etc. ein ganz anderes Thema). Schon die 101 Mio. für Bale scheinen mir jedoch diesen Punkt deutlich zu verfehlen.
3.) Die Transferstrategie der letzten Jahre war alles, nur nicht "sachlich getroffen und frei von kurzfristigen Emotionen". Man hatte nach dem ersten Mbappé-Transferscheitern Geld übrig, also kaufte man kurzerhand für ~30 Mio. Camavinga. Sachlich notwendig? Vielleicht ja, wenn man den bilanziellen Gewinn drücken wollte.
Tchouaméni war der 1:1-Tausch für Casemiro, finanziell nahezu ein Nullsummenspiel (Case ging für ~70 Mio, Aurelien kam für ~80 Mio.)
Mehrere brasilianische Talentetransfers waren ein Gamble in der Preisklasse 30-70 Mio. Manche sind geglückt (Vini, Rodrygo), manche gefloppt (Reinier, Lucas Silva), Endrick muss sich noch erweisen (schaut aktuell aber gut aus). Der alleinige Fokus auf den brasilianischen Nachwuchsmarkt als "sachlich" zu begreifen, fällt mir schwer (obschon Calafat da natürlich seine besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse hat; aber globales Talentescouting schiene mir, gerade vor dem sachlichen Gebot der Wirtschaftlichkeit, sinnvoller; da leistet zB Red Bull Scouting ziemlich gute Arbeit).
4.) Scouting und Sportdirektorat unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Aufgaben. Die Scoutingabteilung sucht nach vielversprechenden Spielern, ganz egal, auf welcher Position. Ein Sportdirektor muss diese Berichte sichten und mit den Erfordernissen des Kaders abgleichen, außerdem mit der wirtschaftlichen Ebene in Einklang bringen. Das Resultat einer Scoutingabteilung ohne Sportdirektorat sind bspw. 3 Weltklasse-LAs in einem Kader. Sachlich optimal? Reduzierte Fehleranfälligkeit?
5.) Deine Ausführungen unterschlagen m.E. den Einfluss von Pérez auf das Bestellen von Trainern und die Kaderpolitik allgemein. Warum soll Ancelotti als "Übergangstrainer" geholt worden sein? War das nicht schon Zidane II? Oder Solari? Ancelotti war und ist der optimale Trainer für Pérez, weil er ihm nirgends (öffentlich) dazwischenfunkt. Warum entschied sich Pérez etwa einstens nicht für Conte (eingestanden, dass auch gewisse Spieler rund um Ramos damals den Verlust der "Komfortzone" befürchteten)? Warum schmiss Zidane entnervt hin? Warum reden viele Fans heute noch so positiv von der Kaderpolitik der Mourinho-Ära (in der bspw. medial durchsickerte bzw. die Gerüchte kursierten, Pérez hätte u.a. beim Transfer von Altintop die Nase gerümpft)? Ich formuliere das mal als offen bleibende Fragen...
In jedem Fall ist Ancelotti als "Verwalter" und als "nicht aktiver Kadergestalter" genau der Deckel auf den Topf, den Pérez auf den Herd stellt. Ancelotti ist (in der Frage der Kaderstrategie) nicht das Problem - oder genauer: die causa prima. Problemursache Nr. 1 ist Pérez. Er allein macht hier die Kaderstrategie. Beweisführung: Mourinho war in den letzten 15 Jahren der einzige (!!) Trainer mit Transfervollmacht. Alle anderen sollten das bestmögliche aus dem machen, was sie vorgesetzt bekamen. Man erinnere sich an die Aufforderung an Benítez, er solle doch dem Wunsch von Starspieler Bale nachkommen und diesem eine zentralere Rolle ermöglichen.
Bitte versteh das diesmal nicht als einen persönlichen Angriff auf deine Äußerungen. Ich will nur inhaltlich etwas beitragen und deine Perspektiven ergänzen bzw. einen anderen Blick in die Diskussion einbringen.