Für mich ist und bleibt Perez ein sehr zweischneidiges Schwert.
Er hat den Verein finanziell saniert und in immer noch grössere Höhen gepusht, managt aktuell auch die Corona Kriese so gut es eben geht und hat das Bernabeu als sein Magnum Opus renoviert. Das ist definitiv sein grösster Verdienst und das kann ihm auch keiner mehr nehmen. Es gab unter seiner Führung auch einige Titel. Wie viel Anteil seine spezifischen Entscheidungen daran letztendlich gehabt haben, ist ein Thema für sich, aber er hat eine finanziell sehr gute Basis geschaffen und eininge starke Transfers getätigt.
Wo sein Bild bei mir aber Risse bekommt, ist bezüglich Konstanz und Nutzung des eigenen Potentials, was sich wohl am besten in der mageren Anzahl Liga Titeln ausdrückt, von der Copa mal ganz zu schweigen. Ich habe oft den Eindruck, dass Perez sein eigener grösster Feind ist bzw. sich mit fragwürdigen Entscheidungen gerne selber im Weg steht. Von der Entlassung del Bodques über die Behandlung von Spielern wie Redondo und Makalele, der Entlassung Carlos, so Transferw wie James, der Verkauf von di Maria, das Festhalten an Bale, das blinde Vertrauen in Zidane, der Wahn mit jungen Brasilianern usw. Alles Dinge, die uns unter dem Strich wohl mehr geschadet als genutzt haben.
Nüchtern betrachtet ist Perez erste Amtszeit mit dem Galactico Konzept am Ende gescheitert. Es gab zu Beginn Erfolge, aber irgendwann um 2003 - 2004 ist es gekippt, Beckham für Makalele war wohl der berühmte Tropfen zu viel. Kosequenterweise ist er zurückgetretten. In seiner 2ten Amtszeit hat er einiges besser gemacht, hat aber immer mal wieder Rückfälle in alte Verhaltensmuster gehabt und entscheidend in die Mannschaftsstruktur eingegriffen, oft mit negativen Folgen. Die Zeit seit 2009 ist geprägt von Gegenextremen, mal ist man sehr erfolgreich, dann geht wieder gar nix mehr. Definitiv honorieren muss man hier die Aufbauarbeit von Mou, die Verfeinerungsarbeit von Carlo und Zidanes erste Amtszeit, wo er in historischen Ausmass die Früchte geerntet hat. Undnatürlich der Mannschaftskern um Dani, Ramos, Varane, KMC, Benzema und vorher Iker, Navas, Arbeloa, Pepe, Marcelo, Alonso, Di Maria, Higuain, CR, Bale usw. die die Mannschaft jahrelang getragen haben und es immer noch tun. Perez hat das finazielle Umfeld dafür geschaffen, damit diese Komponenten in der richtigen Reihenfolge zur richtigen Zeit zueinander gefunden haben. Allerdings hat er auch immer wieder mit persönlichen Eingriffen dazwischen gefunkt, die selten von Erfolg gekrönnt wären. Wäre alles nur nach seiner Kappe gegangen (Galacticos 2.0, James, Benitez, Bale usw.), wer weiss, wo wir heute stehen würden. So bleibt der fade Beigeschmack, dass vieles eher glücklicher Zufall als gewollte und minutiöse Planung war.
TL;DR: Perez als Präsident leistet unter dem Strich gute bis sehr gute Arbeit. Allerdings hat er diesen totalitären Machtanspruch und mischt sich immer mal wieder entscheidend in die sportliche Entwicklung des Vereins ein, oft mit negativen Folgen. Es kommt selten vor, dass er jemanden zu 100% vertraut, bisher eigentlich nur Mou und Zidane.
Darüber hinaus gibt es 2 mehr subjektive Dinge, die mich bei Perez stören.
1. Für mich steht er symbolisch für die, nennen wir es mal "Entartung und Komerzialisierung des Madridismo". Halt so Dinge wie dass man die Castilla nur noch als Geldspender sieht, dass alles komerzialisiert werden muss, Gewinn und Erfolg um jeden Preis, früher grosse Namen um jeden Preis, heute sind es Talente um jeden Preis. Das neue Bernabeu ist auch grenzwertig, und Perez ist ja auch einer der grössten Verfechter einer europäischen Super Liga, damit die Grossen endlich unter sich sind und sich nicht mehr mit Kleinen um die nationale Meisterschaft prügeln müssen. Natürlich muss man auch mit der Zeit gehen,und dass wir noch immer ein Mitgliederverein sind und bisher keinen (Stadion) Namen veräussern mussten, und trotzdem noch oben mitspielt, verdient wiederum Respekt. Trotzdem gibt es Vereine, die einen gesünderen Mittelweg zwischen Tradition, Werten und Moderne gefunden haben. Real Madrid 2021 ist vor allem ein loses Konstrukt von Ideen und Konzepten, die mehr schlecht als recht funktionieren, einige der Tugenden, die uns zum besten Verein des 20 Jahrhunderts gemacht und auch im 21 Jahrhundert noch zum Erfolg beigetragen haben, sieht man nur noch sehr selten.
2. Bei manchen gibt es diesen schon fast sektenhaften Personenkult um Perez mit einer alles oder nichts Einstellung. Gibt es irgendwo etwas positives zu berichten, ist es automatisch Perez' Verdienst, auch wenn er 0 damit zu tun hatte. Umgekehrt wird jegliche Kritik sofort abgewiegelt und immer versucht, Perez auszuklammern, auch wenn er als mit Abstand mächtigster Mann in diesem Verein bei vielen Dingen die Finger im Spiel hat, auch bei positiven natürlich. Natütlich gibt es Kritik und es gibt Hate, ich hab da über die Jahre auch schon über die Stränge geschlagen, manchmal als Reaktion auf eine schon fast götterhafte Verehrung Perez'. Er ist ein Mensch wie wir alle auch und macht sein Job, vieles macht er gut, anderes kann man hinterfragen, und sollte man auch dürfen.
Am Ende des Tages ist für mich etwas die Frage: Quo vadis, Real Madrid 2021? Wir sind in einer schwierigen Phase, sportlich wie finanziell und gesellschaftlich. In solchen Zeiten ist es verständlich, wenn man auf Bewährtes setzt. Perez ist nicht der beste, aber ein guter, erfahrener und bewährter Präsident, ihn zu ersetzen wird nicht einfach, das soll hier nicht unterschlagen werden. Aber am Ende ist auch niemand gänzlich unersetzlich. Und die letzten 4 Jahre standen für mich vor allem für Stagnation oder gar Rückschritt. Man klammert sich mehr und mehr an die alternden Säulen der CL Elf. Taktisch und spielerisch entwickeln wir uns nicht weiter. Man hat einiges Geld in Talente gesteckt, bringt sich aber oft selber um die Früchte, Trainer, Transferpolitik und Vereinsphilosophie passen nicht wirklich zusammen. Von 12 möglichen grossen Titeln seit Sommer 2017 hat man 2 gewonnen ( CL 2018, La Liga 2020) und 8 verspielt, 2 stehen noch aus. Nicht die beste Ausbeute angesichts der oft schwachen Konkurrenz.
Es muss sich einiges ändern, Sprich wenn Perez weiter machen will, sollte er mal aus dem Schlendrian aufwachen. Und gerade hier kann etwas Konkurrenz sicher nicht schaden. Es ist selten genug, dass jemand die lächerlichen Anforderungen überhaupt erfüllen kann, insofern ist es schon bemerkenswert, dass es mit Balouda und Riquelme gleich 2 mögliche Kandidaten gibt. Ob die dann besser sind, ist eine andere Frage, Balouda hat eine durchwachsene Geschichte im Verein und Riquelme ist ein Top Manager mit allen Ecken und Kannten, aber wenn sie Perez schon nun mal von seinem vermeindlichen unverwundbar Podest herunter holen, ist schon einiges getan. Unsere Führung ist sehr bequem geworden in den letzten Jahren, es braucht den berühmten Nuevo Impulso.
Nicht ganz unbeachtet lassen sollte man auch Perez Alter. Er wird dieses Jahr 74, 2025 nach einer weiteren Amtszeit wäre er 78. Ich wünsche ihm eine gute Gesundheit (bin an der Stelle auch froh, dass er Corona gut überstanden hat ) und noch ein langes Leben, aber irgendwann mit bald 80 sollte Schluss sein, ich will kein "Franco Szenario", dass sich jemand bis zum Tod an sein Amt klammert und dann Chaos hinterlässt.
Am meisten überzeugt mich momentan eine Art Mischkonzept. Perez solle diese letzte Amtszeit nochmal bekommen, den Verein durch die und aus der Corona Situation führen, "sein" Bernabeu als Präsident eröffnen und seine Stärken und und Erfahrungen nochmal voll ausspielen. Gleichzeitig sollte man sich nebenher aber ernsthafte Gedanken über einen mittel bis langfristigen Nachfolger machen, jemanden, der den Verein wieder näher an seine Wurzeln bringt, aber ihn auch durch die Tücken des 21. Jahrhunderts lenken kann, und dann kann man 2025 eine ordentliche Übergabe machen. Perez ist nicht unfehlbar und auch nicht unsterblich, es wird eine Zeit nach ihm geben, und das permament versuchen auszuklammern, bringt uns nicht weiter.