Puhh war ich angefressen. Gott sei dank sind wir in *so* einem Spiel nicht mal wieder rausgeflogen. Ich wette fast jeder hier hat dies live schon befürchtet.
Nach ein bisschen Ruhe und einem re-watch finde ich, dass unsere Probleme am Dienstag fast ausschließlich nur fußballerischer Natur waren. "Nur" fußballerischer Natur.
Es gab zwei ganz ganz große Probleme: Stellungsspiel beim Aufbau und ein funktionierendes System im letzten Spielfelddrittel.
Die Positionen der Spieler beim Aufbau waren viel zu symmetrisch und dicht, niemand bot sich im Rücken einer Pressinglinie an, noch entfernte man sich von einander, um Platz für einander zu schaffen. Taktisch war das einfach ganz schwach.
Unter diesen Umständen war das Passspiel viel zu horizontal und in der eigenen Hälfte. Das ist riskant und es wurde ersichtlich an den technischen Fehlern und "unnötigen" Ballverluste. Das sind alles fußballerische Probleme. Psychologisch gesehen hat sich die Mannschaft in dieser schwierigen Situation in meinen Augen gut präsentiert, denn die Mittelfeldspieler haben sich ständig angeboten. Es bestand eine taktische Unterlegenheit, aber niemand lies sich beeindrucken.
Dortmund hat Europa eine Lektion erteilt. Auch ich habe sie unterschätzt, obwohl ich sie als Kollektiv auch im Hinspiel ganz gut fand. Sie haben ein System, das so stark in den Köpfen der Spieler verankert ist, sie glauben daran und tun alles als Team. Der Fußballgott gibt ihnen zwei Chancen, die sie nutzen und zack sind die voll in der Partie. Wenn man den Spielverlauf betrachtet, war das etwas total normales, es war nur so schockierend, weil man ein gewisses Bild von Dortmund hatte.
Ehrlich gesagt war Reals Beginn sehr stark. Man ließ den Gegner, der 3-0 hinten war, bei 0 Torschüssen und drosselte das Tempo. Dort war ich sehr begeistert. Doch dann kommt der Elfer(ich bin auch erstaunt, dass Di Maria unser zweiter Schütze ist) und kurz danach der Fehler auf der anderen Seite. Das ist Dortmunds Chance. Alle wissen das, deswegen geben die Gastgeber alles, forcieren Fehler aus vorhin genannten Gründen, machen das 2-0 und haben noch 2 Chancen, ohne einen Konter zuzulassen. Dies hatte aber fußballerische Defizite der Madrilenen zugrunde. Es gab keine vertikale Anspielstation. Boah, Reus in dieser Spielphase war einfach fantastisch und nicht mal wegen seinen zwei Toren.
Danach kommt Isco und verändert das Spiel, weil er eines der Defizite Madrids ausgleichen kann. Er schafft es sich für vertikale Pässe anzubieten. Alonso(der gekämpft hat) und Modric(der beste nach Reus) kriegen etwas Luft und schaffen es am Spiel teilzunehmen. In der zweiten Hälfte war Madrid insgesamt besser, bis auf eine 10 minütige Druckphase der schwarzgelben. Das ist die Champions League und sowas ist völlig normal und darum ist es so etwas besonderes. Eben diese Druckphase wurde dann beendet, als Ancelotti mutigerweise Casemiro brachte. Sehr starke Performance, mit viel Charakter und taktisch hat man die Verbindung Hummels(auch, wieder, eine krasse Performance)-Reus so erschwert.
Das Problem war, dass man vorne einfach kein eingeimpftes Konzept hat. Ohne Cristiano hat Madrid riesige Probleme zu Chancen zu kommen - sein Wert für dieses Team ist immens, denn er ist ein ganz besonderer Spieler. Isco brachte Madrids Ballbesitz näher an Weidenfeller, aber die Mannschaft wusste schlicht nicht, was sie mit der Kugel anfangen sollen und deswegen können sie das Duell nicht vor dem Schlusspfiff entscheiden.
Di Maria war offensichtlich nicht fit. Er strahlte null Kontrolle aus und er und Illarramendi, der von dem Spiel auch überwältigt wurde, machten sich das Leben gegenseitig schwer. Unsere rechte Seite war total unter Druck und auch wenn er natürlich oft überwunden wurde, so fand ich Carvajals Spiel sehr stark. Er war in einer mehr als brenzlige Situation.
Wirklich ein gutes Spiel, Fußball pur, mit einem überlegenem Dortmund, das der Welt zeigte, wie viele Schwächen Real Madrids Fußball hat, was die Mannschaft in den Augen der Öffentlichkeit schlagbar erscheinen lässt. Ein Spiel, das aber gleichzeitig zeigt, was für einen Wandel es in dieser Mannschaft gibt, wie man Situationen angeht. Für mich war das nicht "das Madrid von immer". Das war ein Spiel, indem einer Mannschaft nur verzweifeln kann. Und das verzweifelte Madrid hat das Spiel nie komplett aus der Hand gegeben. Letztes Jahr in dieser Situation lassen sie 20 Flanken und 10 Schüsse mehr zu. Da bin ich mir sicher.
Das Problem ist, dass wir eine Mannschaft sind, die in dieser Phase sehr stark von ihren Individuen abhängig ist und im Halbfinale stehen 3 der größten Trainer als Gegner zur Auswahl. Denen wird das nicht entgangen sein. Das Dortmundspiel war eins, aus dem man viele Lehren ziehen kann, aber reicht die Zeit tatsächlich aus, um diese zu beheben? Äußerst fragwürdig. Ich bin skeptisch, aber nicht pessimistisch. Wir sind zum vierten Mal im Halbfinale in Folge und das ist ein Erfolg, wie es weiter geht, werden nur die nächsten 180 Minuten dieses wunderbaren Wettbewerbs zeigen.
Also nochmals, denn ich glaube das ist nicht die verbreitete Meinung hier: Ich mache emotional der Mannschaft keine Vorwürfe(außer teilweise die Überhärte, was mir auch gar nicht gefällt, die aber einfach im Charakter mancher Spieler steckt - das wird sich nicht ändern). Isco fand ich in diesem Aspekt krass, eigentlich muss man erwarten, dass so ein Junge sich in so einem Moment in die Hosen macht. Oder Pepe, der nach dem Hinspiel vor einem Jahr und den Bock in diesem zum 1-0 keinen Fehler mehr macht.
Das Problem war einfach, dass wir nicht die fußballerischen Mitteln hatten/haben, um uns aus so einer Situation besser zu befreien.