Analyse

Der Maschinenraum stockt: Alonsos Suche nach der Balance im Zentrum

Real Madrid lässt im dritten Liga-Spiel hintereinander Punkte liegen und beklagt den Verlust der Tabellenführung. Beim 1:1 in Girona scheitern die Königlichen aber nicht nur an der eigenen Chancenverwertung, sondern offenbaren zugleich erhebliche Probleme in puncto Balance. Xabi Alonso sucht seit Wochen die perfekte Besetzung für das zentrale Mittelfeld, hat diese aber immer noch nicht gefunden.

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Xabi Alonso hat die optimale Besetzung für sein Zentrum noch nicht gefunden – Foto: Getty images/realmadrid.com

Elfmeter-Diskussion darf nicht als Alibi dienen

Verständlicherweise drehte sich nach Real Madrids 1:1 in Girona und dem damit einhergehenden Verlust der Tabellenführung für die Königlichen Vieles um den verwehrten Elfmeter an Rodrygo Goes, der die potentielle 2:1-Führung bedeutet hätte. So zeigte sich Cheftrainer Xabi Alonso auf der Pressekonferenz nach der Partie „überrascht“ ob des Nicht-Eingriffs des VAR, „das sind Situationen, die das Spiel entscheiden können“. Die Kritik an der Leistung der Unparteiischen mag inhaltlich zwar angebracht sein, doch diente jene Diskussion auch ein wenig dazu, die abermals offensichtlichen Mängel im Spiel der Blancos ein wenig zu übertünchen. Neben der mal wieder schlechten Chancenverwertung (sowohl Kylian Mbappé als auch Vinícius Júnior hatten in mehreren Situationen die Führung auf dem Fuß) war es insbesondere die schwache erste Hälfte, die auch Alonso Sorgen bereitete.

„Wir konnten den Ballbesitz nicht über längere Zeiträume halten und nicht offensiver spielen. In der zweiten Halbzeit gelang uns das mit mehr Kontinuität. Woran liegt das? Das müssen wir analysieren, um uns von Anfang an zu verbessern“, schlug der Baske nachdenkliche Töne an. Ob es diesbezüglich wirklich einer tiefgreifenden Analyse bedarf oder der 44-Jährige genau weiß, an welchen Stellen er anzusetzen hat, sei einmal dahingestellt. Denn eigentlich waren die Probleme im Spiel der Königlichen – vom Thema der Chancenverwertung mal abgesehen – sehr offensichtlich: Mit Ball agierte man (mal wieder) viel zu linkslastig, hoffte auf individuelle Geniestreiche Vinícius’ oder Mbappés, während die diesmal von Fede Valverde besetzte rechte Seite quasi nicht-existent war. Zudem präsentierte sich das Zentrum einerseits extrem statisch und unkreativ im Ballbesitz, andererseits sehr nachlässig und unausgewogen in der Rückwärtsbewegung.

So durfte Gironas Torschütze Ounahi vor dem 1:0 unbedrängt von der Mittellinie bis in den Sechzehner einlaufen, ohne dass sowohl Arda Güler als auch Aurelién Tchouaméni sich verantwortlich fühlten, den Laufweg aufzunehmen. Und genau diese fehlende Balance aus offensiver Kreativität auf der einen Seite und defensiver Stabilität auf der anderen Seite, scheint aktuell das größte Rätsel zu sein, welches Alonso zu lösen hat.

Alonso und das Rätsel im Zentrum: Bellingham oder Güler?

Bei aller Rotation, die unweigerlich zu Alonsos Philosophie gehört, scheint der Baske immer noch auf der Suche nach seiner vermeintlichen A-Elf zu sein. Mit der Versetzung Valverdes auf den rechten Flügel und der Positionierung Gülers und Bellinghams auf den Achterpositionen vor Tchouaméni hatte man personell diesmal die aktuell vermeintlich besten Spieler allesamt auf dem Feld, doch davon war in der ersten Hälfte nichts zu sehen. Güler offenbart auf der Achterposition immer wieder defensive Schwächen und tut sich insbesondere gegen physisch agierende Gegner in diesen Räumen extrem schwer, Bellingham ist als Achter auf der anderen Seite zu weit weg vom gegnerischen Tor, um seine Stärken in der gegnerischen Box auszuspielen. Und Tchouaméni ist gegen den Ball aufgrund seiner Charakteristika zwar unentbehrlich, im Spielaufbau aber nicht in der Lage, das Spiel alleine zu diktieren.

Woche für Woche tut sich in der einen oder anderen Form die gleiche Problematik auf: Es fehlt der Verbindungsspieler á la Toni Kroos, der die Defensive und Offensive zusammenführt und seinen Mitspielern erlaubt, ihre Stärken komplett auszuspielen. Unweigerlich scheint dies auch dazu zu führen, dass sich Alonso zukünftig zwischen Güler und Bellingham entscheiden muss, um Platz für einen Verbindungsspieler zu schaffen. Ob dieser nun auf den Namen Daniel Ceballos (mehr Kontrolle) oder Fede Valverde (mehr Physis/besserer Ballschlepper) beziehungsweise Eduardo Camavinga (Physis/stark unter Druck) hört, dürfte vom Gegner abhängen.

Es wird auch immer deutlicher, weshalb Alonso im Sommer augenscheinlich vehement auf einen Zubimendi-Transfer gepocht hatte, da dieser genau diesen fehlenden Spielertyp verkörpern würde. Und es zeigt auch, dass die perfekte Ausgewogenheit, die über Jahre mit Casemiro, Toni Kroos und Luka Modrić vorherrschte, in keinster Weise eine Selbstverständlichkeit darstellt – am Ende für den Erfolg aber unentbehrlich ist.

Problemzone rechter Flügel – und wohin mit Valverde?

So wirkte auch die Versetzung Valverdes auf den rechten offensiven Flügel ein wenig wie der letzte Versuch Alonsos, um eben die vermeintliche A-Elf endlich auf den Rasen zu bringen. Ein Versuch, der kläglich scheiterte. Und eben auch zeigt, weshalb er bis zu dessen Verletzung fast ausschließlich auf den unerfahrenen Franco Mastantuono setzte, trotz dessen (verständlicherweise) noch vorhandenen Schwächen. Reals Spiel benötigt einen (gelernten) Rechtsaußen, der bei all der Linkslastigkeit mit Vinícius und Mbappé auch über rechts Gefahr ausstrahlt. Da die aktuelle Mannschaft im Vergleich zur Zeit unter Carlo Ancelotti, als Valverde diese Position ebenfalls bekleidete, aber über gänzlich andere Spielertypen verfügt und andere Charakteristika benötigt, scheint der Uruguayer in dieser Funktion komplett verschenkt. Da man im Zentrum aktuell aber den Typus Lenker und Spielkontrolleur benötigt, bleibt für Valverde fast nur die Rechtsverteidigerposition, wo er in dieser Spielzeit auch seine bisher besten Auftritte hinlegte.

Für Alonso eine delikate Situation, da der Vize-Kapitän nicht unbedingt ein Fan dieser Position ist und zudem Neuzugang Trent Alexander-Arnold nur der Bankplatz bliebe. Ein Dilemma, das stellvertretend für das große Problem Reals und Alonsos steht: Die unausgewogene Kaderzusammenstellung, mit zu vielen ähnlichen Spielertypen, die in den gleichen Räumen respektive Positionen ihre Stärken besitzen, wohingegen manche Profile quasi überhaupt nicht vorhanden scheinen. Eine Problematik, die Alonso in den kommenden Wochen voraussichtlich mit ein paar unangenehmen Personalentscheidungen angehen muss.

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

Kommentare
Ganz ehrlich, wenn einer dort im Mittelfeld die Klappe aufmachen darf, dann er. Er ist der einzige, der sich in jeden Zweikampf wirft, der auch Chancen erarbeiten oder eben vollenden kann und auch zurück rennt. Er ist für mich eigentlich der kompletteste Mittelfeldspieler der neuen Generation und kann auch ein Anführer sein, wenn er denn richtig eingesetzt wird. Ja, er ist eingebildet, aber er hat genug oft gezeigt, dass da ordentlich was dahinter ist. Gibt man den beispielsweise nach England ab, wird es kaum ne halbe Saison dauern und wir es bereuen. So glaube ich das zumindest.

Und ich verstehe auch teilweise seinen Unmut. Wenn ich da als Jude vor mir sehen würde, wie energielos Vini und Kyky in der Spitze rumtraben, während ich schon so viele Extra-Meilen gegangen bin, würde ich auch auf 180 sein!

Mich macht aktuell Fede wütender, der teilweise bei aller Liebe wie ein eingeschnappter Teenie wirkt, obwohl er als einer der älteren eigentlich als Vorbild vorausgehen sollte.
Dieses ganze Kroos-Erbe-Gerede hat ihm und seiner Entourage echt nicht gut getan.
Number 8 is not Number 15 … und Fede weit weg davon, ein Kapitän oder Führungsspieler zu sein. Aktuell sind Ich-wärm-mich-für-RV-nicht-auf-Valverde und Ich-lass-mich-nicht-auswechseln-Vini unsere Kapitäne. Sagt eigentlich eh schon alles. Überbezahlte Kinder, die glauben, sie sind der nächste Francescoli/Ronaldinho
 

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