Reportage

Entschlüsselt? Zidanes 4-3-1-2 auf dem Prüfstand

Real Madrids Spiel wirkte in den letzten Wochen oftmals ideenlos. Besonders im letzten Drittel mangelte es an der nötigen Kreativität. Aber auch taktisch fehlte es an adäquaten Lösungen. Ist Zidanes 4-3-1-2 mittlerweile entschlüsselt?

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Denkt Zidane über eine Systemänderung nach? – Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP/Getty Images

Fehlt wirklich nur das Tor?

MADRID. Nach dem 0:0 in Bilbao am vergangenen Samstag und der dadurch verpassten Chance, den Abstand auf Tabellenführer Barcelona auf sechs Punkte zu verkürzen, war die Enttäuschung im Lager der Blancos verständlicherweise enorm. Doch es war nicht nur das Ergebnis, das rund um die Concha Espina für Enttäuschung und Niedergeschlagenheit sorgte, auch der spielerische Auftritt von Cristiano Ronaldo und Co. regte nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit zum Nachdenken an. Zinédine Zidane zeigte sich auf der anschließenden Pressekonferenz zwar einmal mehr überzeugt, dass seinen Mannen aktuell nur das nötige Fortune vor dem gegnerischen Gehäuse fehle, doch wenn man ehrlich ist, zeigte der Auftritt im San Mamés in aller Deutlichkeit, was den Königlichen aktuell wirklich abgeht: Durchschlagskraft und vor allem Kreativität im letzten Drittel.

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Denn auch wenn man gegen die Basken durchaus einige (aussichtsreiche) Einschussmöglichkeiten besaß, wirkte das Angriffsspiel der Madrilenen über weite Strecken behäbig und ideenlos. Anders als noch vergangene Saison vermittelten die Blancos keineswegs das Gefühl, man könnte jederzeit eine Schippe drauf und daraus resultierend einen Treffer nachlegen. Viel gravierender: Es hatte zeitweise tatsächlich den Anschein, als fehlten der Mannschaft die taktischen Mittel, um die zumeist tiefstehenden Abwehrbollwerke zu knacken. Wenn man sogar einen Schritt weiter geht, könnte man sogar sagen, dass Zidanes System für den Moment entschlüsselt scheint. Der Überraschungsmoment, den der Franzose mit der Systemumstellung zum Ende der vergangenen Saison noch auf seiner Seite wähnte, ist verpufft. Die Rufe nach der Rückkehr zum altbewährten 4-3-3 werden langsam aber sicher wieder lauter.

Viel Kontrolle, keine Durchschlagskraft

Auch wenn Trainer die Frage nach der Formation oder dem System meist mit dem Hinweis darauf, dass es letztlich auch auf die jeweilige Interpretation und Umsetzung durch Spieler ankäme, nonchalant umgehen, darf das 4-3-1-2 in seiner aktuellen Form durchaus diskutiert werden. So verfügen die Königlichen durch Iscos Positionierung hinter den Spitzen zwar stets über numerische Überlegenheit im Mittelfeld und auch über jede Menge Ballkontrolle, haben andererseits jedoch merklich an Durchschlagskraft über die Flügel eingebüßt. So sind Marcelo und Carvajal auf den Außen zumeist auf sich allein gestellt und können dementsprechend leicht gestellt werden, durch Ronaldos zentralere Positionierung respektive dem Fehlen weiterer „echter“ Außenspieler sind die Räume auf den Außenstreifen im letzten Drittel kaum besetzt und lassen auch die situativen Überladungen durch Isco oder auch Benzema effektlos verpuffen. Hinzu kommt noch, dass junge Spieler wie Theo Hernández oder Achraf Hakimi während der Verletzungspausen von Marcelo und Carvajal mit der alleinigen Besetzung des Flügels oftmals (noch) hochgradig überfordert wirkten.

Auch auf das flankenlastige Spiel der Madrilenen – letzte Saison ja durchaus noch eine der Waffen im Repertoire der Blancos – haben sich die Kontrahenten mittlerweile größtenteils eingestellt. Im Wissen um die Ballsicherheit und Pressingressistenz von Kroos und Konsorten überlassen die Gegner Real zu großen Teilen das Mittelfeld und verteidigen extrem tief, stellen die Königlichen erst wenige Meter vor dem eigenen Sechzehner. Aktuell eine extrem effektive Methode, um den Angriffen der Merengues den Wind aus den Segeln zu nehmen, weil Ronaldo und Benzema zumeist die einzigen Spieler sind, die konsequent in die Box einrücken, sich aber stets vier bis fünf Gegenspielern gegenübersehen und trotz zahlreicher Hereingaben keinerlei Torgefahr entwickeln können. Und da das real’sche Mittelfeld bis auf den ab und an nach vorne preschenden Casemiro bekanntlich wenig bis gar keine Torgefahr ausstrahlt, haben die verteidigenden Mannschaften gegenwärtig äußerst leichtes Spiel gegen den amtierenden Meister.

Flanken und ein flügellastiges Spiel gelten durchaus als probates Mittel, um zum Torerfolg zu kommen – erst Recht bei solch starken Kopfballspielern wie Ronaldo –, allerdings bedarf dies auch einer vorherigen Destabilisierung der gegnerischen Defensive, was den Madrilenen aktuell aber nahezu nie gelingt. Vielmehr beruhen die Angriffe auf dem Zufallsprinzip, da man zu keinem Zeitpunkt Überzahlsituationen (auf dem Flügel) oder zumindest Gleichzahl (im Strafraum) herzustellen vermag, was die gegnerische Defensive in Nöte bringen könnte. Die Ballkontrolle und überwiegend auch ansehnlichen Staffetten im Mittelfeld sind im Moment meist nicht mehr als ein Muster ohne Wert, da man im letzten Drittel keinerlei Durchschlagskraft entwickelt. Weil man die entscheidenden Räume in der Offensive – vor allem auf den Flügeln – nicht adäquat besetzt bekommt.

Ronaldo und Benzema leiden unter dem System

Was außerdem auffällt: Sowohl Ronaldo als auch Benzema wirken in der aktuellen Konstellation ihrer großen Stärken beraubt. Ronaldo gelingt es nicht, durch seine nähere Positionierung zum Tor seine Stärken im Spiel ohne Ball entsprechend auszuspielen, kann sich folglich keine Vorteile durch seine unnachahmlichen Tiefenläufe verschaffen und auch keine Räume für Marcelo erschließen. Benzema hingegen steht sich mit Isco oft auf den Füßen und nimmt so Tiefe aus dem Spiel – und sich selbst zumeist auch. Probleme, die so im 4-3-3 eigentlich nie auftraten.

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Bezeichnenderweise absolvierten die Königlichen ihre besten Saisonspiele in jenem 4-3-3: Das 2:0 in der Supercopa über den FC Barcelona sowie das 3:1 in San Sebastián am 4. Spieltag. Ob den aktuellen Schwierigkeiten durch eine Systemumstellung beigekommen werden kann? Was in den letzten Spielen jedenfalls auffiel, ist, dass es der Mannschaft zu selten gelang, entsprechende Lösungen für die jeweiligen Situationen zu finden. Unter anderem, weil bestimmte Räume in der Offensive falsch oder nicht besetzt wurden und einige Spieler ihre Stärken nicht vollends ausspielen konnten. An dieser Stelle ist nun auch Zidane gefordert, um für die entsprechende Homogenität innerhalb des Teams zu sorgen und auch die richtigen Spielertypen miteinander zu kombinieren. Dabei gilt es auch, das (aktuell) ein wenig festgefahrene 4-3-1-2 auf den Prüfstand zu stellen. Denn Stillstand bedeutet bekanntlich Rückschritt.

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

Kommentare
Vor allem dadurch, dass PSG/die Araber (gerade durch das 1:6-Debakel...) jetzt den Geld-Hammer rausholen,
sollte man sich doch darüber im Klaren sein, dass die "Harlem-Globetrotters" jetzt in Paris spielen ?

Das ist schon ein netter Druck, da drüben bei St. Germain, während Pep mit Manchester City sich zurücklehnen kann... Da nich soo im Fokus, Manchester City ist derzeit die Nummer Eins...

Vielleicht wären "Nadelspitzen" seitens Reals notwendig, also punktuelle Verstärkungen (im Sommer 2018, klar) , die richtig EUR kosten ?
 
"Einen stürmer (flügelspieler) der mit dem Ball spielerisch stark ist und nahem am Tor löcher aufreisseb kann brauchen wir. So z.B. Neymar, Hazard, Dybala, Mbappe... Aber bitte kein Salah."

Und das ist meines Erachtens der Punkt, Real Madrid CL Gewinner seit Äonen, aber in dieser Saison beginnt es zu kippen in die andere Richtung, gerade ein Mbappe...
Das hätte man sich nicht entgehenen lassen sollen, auch wenn der 18-Jährige die Gehaltsstruktur zerstört hätte, aber : so ist das nun mal mit Scheich-Vereinen...
Warum die UEFA da nicht eingreift, fragt doch mal die FIFA wieso in Katar die WM veranstaltet wird ?
 

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