
MADRID. Gareth Bale sollte einer der wenigen Gewinner nach dem Abgang von Superstar Cristiano Ronaldo werden und (endlich) aus dem Schatten der Tormaschine treten. Der Portugiese hatte die Position auf der linken Außenbahn freigemacht – genau die Rolle, auf welche Bale stets in Lauerstellung gewartet hat. Der linke Flügel sollte von nun an zum Hoheitsgebiet des Walisers avancieren, erwartet wurde allerdings im Gegenzug auch nicht viel weniger, als eine ähnliche Torgarantie, welche Ronaldo stets versprochen und eingehalten hatte, oder zumindest annähernd so viele Torbeteiligungen – auch keine geringe Hypothek, welcher sich die Nummer 11 verschrieben hat.
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Der „Big Game Player“ in der Nebenrolle
Dabei hatte der mittlerweile 29-Jährige doch schon im ersten Jahr nach seiner Ankunft in Madrid nahezu jeden Kritiker verstummen lassen: Erst enteilte er in der 85. Minute im Finale der Copa del Rey dem bemitleidenswerten Marc Bartra und erzielte den entscheidenden Treffer zum 2:1 gegen den FC Barcelona, wenig später köpfte er auch in der Verlängerung des Champions-League-Finals den Führungstreffer gegen Atlético. Der Ruf eines „Big Game Players“ war geboren und hat bis heute Bestand – zuletzt bewiesen durch zwei sehenswerte Treffer im Königsklassen-Finale 2018 oder durch einen Hattrick im Klub-WM-Halbfinale.

Doch immer kam dem “walisischen Express” irgendwie nur eine Nebenrolle zu, egal, was er zu leisten vermochte. Auch in jenem Finale von Kiew kam der Linksfuß erst von der Bank, wie er nun zugab, sowohl zu seiner Verwunderung als auch mit Unverständnis: “Ich fühlte mich, als hätte ich es verdient, von Beginn an zu spielen.” Über den damaligen Trainer Zinédine Zidane berichtet Bale nun in einem Interview mit Magazin Fourfourtwo: “Ich habe seit dem Finale nicht nochmal mit ihm gesprochen, wir waren nicht die besten Freunde”, relativierte aber gleichzeitig: “Es war eine normale Beziehung von Profis.”
Karten neu gemischt: Kein Trumpf für den Waliser
Nun ist neben Zidane auch Platzhirsch CR7 gegangen. Unter der kurzen Amtszeit Julen Lopeteguis schien Reals Nummer 11 zumindest auf der freigewordenen Position gesetzt zu sein. Allerdings blieb der sportliche Erfolg unter dem neuen Trainer aus und er wurde durch Solari ersetzt. Der argentinische Übungsleiter hat der Mannschaft neues Leben eingehaucht und frischen Schwung gegeben, dazu auch die eine oder andere Personalie ausgetauscht oder frische Kräfte freigesetzt. Darunter auch: Ein junger Brasilianer, der auf den Namen Vinícius Júnior hört.

Das Talent hat sich durch erfrischendes Auftreten, tolle Solos und Dribblings bereits in die Herzen vieler Fans und anscheinend auch des Trainers gespielt – zuletzt stand “Vini” neun Mal hintereinander in der Startelf. Bestärkt durch die Zwangspause des Manns aus Cardiff, welcher an einer Wadenverletzung laboriert hatte, konnte Vinícius legitimen Anspruch auf jene Position anmelden, welche erst im Sommer für Bale frei wurde. Seit seinem Comeback bekam der Waliser nun vier Einsätze, davon dreimal in der Schlussphase ein-, einmal nach einer guten Stunde ausgewechselt. Elf seiner insgesamt 99 Tore im weißen Trikot erzielte er in seinen 27 Einsätzen in der laufenden Saison – keine schlechte, aber auch keine überragende Quote.
“Beweislast” liegt bei Bale
Es ist eine der großen Fragen im Dunstkreis der Königlichen, was mit Bale passieren wird. Vinícius überzeugt durch seine permanente Gefahr für die gegnerischen Abwehrreihen, bereitet regelmäßig Angriffe vor, überzeugt auch durch Einsatz und Verteidigen. Bale ist dagegen noch nicht wieder richtig in Tritt, genießt aber nach wie vor den Ruf als „Big Game Player“. Damit er diesen und damit womöglich seine Rolle als Linksaußen nicht endgültig an Vinícius verliert – alternativ wäre auch eine Rückkehr auf die mehr oder weniger ungeliebte rechte Seite möglich – müsste Bale wieder einmal beweisen, dass er der Mann für die großen Momente ist. Im Halbfinalhinspiel der Copa del Rey gegen Barcelona (1:1) hatte er in der 82. Minute die große Gelegenheit dazu, vergab jedoch kläglich. Ihm bleibt allerdings noch der Clásico im Rückspiel, um zu zeigen, dass er da ist, wenn es um das Eingemachte geht. Spätestens da sollte er wieder überzeugen, sonst wird Solari auch weiterhin dem jungen Vinícius in den wichtigen Spielen den Vorzug auf Links geben. Und dann gäbe es wohl keinen Grund, den Waliser über den Sommer hinaus zu halten.
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