Kommentar

Ihr dürft Real Madrid jetzt wieder hassen

Na, hatten alle Spaß? Nicht nur Madridistas, auch neutrale Fans haben sich gefreut. Kein englisches Finale! Nächster Scheich-Klub raus. Gern geschehen, dürften die Blancos denken. Warum Real Madrid ganz Fußballeuropa nicht nur einen Gefallen getan hat – dazu ein offener Brief von REAL TOTAL-Chefredakteur Nils Kern.

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Die CL-Träume der Scheich-Klubs ManCity und PSG sind an Real zerplatzt – Fotos: imago

Bitteschön, ihr neutralen Fans, un placer! Es war uns ein Vergnügen! Real Madrid hat Fußballeuropa nicht einen, nicht zwei, sondern drei Gefallen getan – indem die Blancos genauso viele Investoren-Klubs rausgeworfen haben. Nun sollte der FC Chelsea gewiss nicht auf eine Stufe mit Paris Saint-Germain und Manchester City gestellt werden und „natürlich“ gelten auch Florentino Pérez und Co. nicht unbedingt als lupenreine Saubermänner. Aber dass der 13-fache Rekordsieger sowohl bei PSG als auch bei City zwei Scheich-Projekte zum Einstürzen bringt und dann auch noch auf diese dramatische Art und Weise mit Ansage – kein neutraler Fan kann behaupten, das habe ihm oder ihr nicht geschmeckt.

Was meine persönlichen Probleme mit PSG und City sind? Es handelt sich um künstlich hochgezüchtete Luxus-Klubs ohne Seele, ohne Charakter und im Falle von Paris: ohne Tradition. Nun haben auch viele andere Klubs Investoren oder Aktionäre im Hintergrund und auch der nächste Gegner, der FC Liverpool, muss da erwähnt werden, während Real Madrid noch seinen rund 100.000 Mitgliedern gehört. Und doch sind Liverpool und Co. meiner Meinung nach nochmal eine ganz andere Sache als die beiden genannten.

Bei PSG und City steckt Politik dahinter, bei der sich seit vielen Jahren Staaten reinkaufen, um von ihren Skandalen und Menschenrechtsverletzungen abzulenken und sich reinzuwaschen. Sportswashing gibt es mittlerweile in vielen Sportarten, aber City und speziell PSG haben es auf die Spitze dieser Korruptions-Liga getrieben. Sie haben den Markt gesprengt und speziell PSG versucht durch aggressives Auftreten, im Klub der großen Klubs mitmischen zu dürfen, was zumindest ManCity sportlich erreicht hat.

All das reicht euch nicht? Zahlen, bitte! Seit Abu Dhabi im Jahr 2008 durch jährlich dubiose wie illegale Sponsoring-Deals und Zahlungen in England auffällt, hat kein Verein mehr ausgegeben (2,15 Milliarden Euro) und kein Verein eine schlechtere Transferbilanz (-1,44 Mrd.). Zum Vergleich: Auch Real Madrid agierte mit 1,53 Milliarden Euro in den letzten 14 Jahren nicht gerade sparsam, hat seine Finanzen jedoch im Griff dank enormer Verkäufe, weswegen das Minus nur -457 Millionen Euro bedeutet. Neun Top-Klubs haben da eine schlechtere Bilanz (sogar der FC Bayern mit -476 Mio.), auch auf die Champions League betrachtet: Real Madrid kam mit ausgewählten Transfers zu vier Henkelpokalen, in Abu Dhabi träumt man immernoch von der Nummer eins.

transfermarkt bilanz saldo seit 2008 manchester city
Seit 2008: ManCity hat den schlimmsten Transfer-Saldo – Zahlen: transfermarkt.de

Träumen tut man auch in Paris in großem Maße. Zu groß. Das Unternehmen Qatar Sports Investments kaufte sich 2012 den bis dato erst zweimaligen französischen Meister. Und vieles, vieles mehr: 1,3 Milliarden Euro wurden in den letzten zehn Jahren investiert („nur“ Platz sechs), aber die Bilanz von -852 Millionen (Platz drei) zeigt: auch bei PSG wird gerne mal nach Namen gekauft. Glamour statt Leistung! Real Madrid ist allein auf die Bilanz betrachtet gar nicht unter den Top-25, sondern dank eines Minus von -146 Millionen Euro nur auf Rang 31 hinter Leeds United (-149 Mio.). Und hat genau in diesem Zeitraum jetzt schon zum fünften Mal das Finale erreicht, ganz zu schweigen von acht Halbfinal-Teilnahmen in diesem Zeitraum.

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Seit 2012: PSG hat den drittschlimmsten Transfer-Saldo – Zahlen: transfermarkt.de

Mit Geld kann man sich Tore kaufen, gewiss auch nationale Titel, aber noch lange keine Einheit in einer Mannschaft, die wie eine Familie zusammen kämpft, leidet und feiert. Selbst die PSG-Fans kritisieren auf Plakaten ihre „Söldner-Truppe“, boykottieren die „Meisterfeier“. City und Paris wollen zu den Bayerns, Liverpools und Reals gehören, das können sie aber nicht.

All das, obwohl sie das Financial Fairplay mehrfach aushebelten, durch illegale Jugendtransfers auffielen und obwohl Nasser Al-Khelaifi mittlerweile bestens vernetzt ist (CEO von beIN Sports, Präsident von Klubvereinigung ECA, Mitglied im UEFA-Exekutivkomitee). Und trotzdem konnte Katar nicht mal in seinem so wichtigen WM-Jahr das Viertelfinale erreichen, trotz prominenter Zugänge wie Lionel Messi oder Sergio Ramos. Aber weil es in Paris und Manchester eben primär um Geld geht und nicht Identifikation mit einem Klub und seinen Werten, scheitern die Scheich-Klubs Jahr für Jahr auf dramatische wie unterhaltsame Art und Weise.

Real Madrid sah in langen Phasen dieser K.o.-Runden wie die unterlegene Mannschaft aus, aber Real Madrid hat nicht nur diese oft zitierte DNA, sondern auch charakterlich starke Spieler, die nicht nur Luxus gewöhnt und ihre warmen Nachwuchsleistungszentren sind, sondern auch noch ihre Schuhe putzen und ihre Mitspieler führen und mitreißen können – speziell in schwierigen Phasen. Speziell wenn alle einen für tot erklären. Real Madrid hat in dieser Saison Geschichte geschrieben, und diese ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Aber jetzt, liebe neutrale Fans, könnt ihr die Königlichen wieder hassen. Wenn auch auf hoffentlich andere Art und Weise als PSG, City, Leipzig und Co.

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von
Nils Kern

Du hast Fragen über REAL TOTAL? Da bin ich bin der Richtige: Chefredakteur und erster Ansprechpartner für Medien, Leser, Fans. ¡Hala Madrid!

Kommentare
Die Statistik oben ist ein wenig verzerrt, da die Leihen eingerechnet werden, die ja keine Transfers im eigentlichen Sinn sind, wenn man die Ein- und Ausgaben aufzeigen möchte. Entfernt man die Leihen, ist Real auf Platz 8, knapp vor Bayern auf die letzten 14 Jahre. - Dennoch bemerkenswert und gutes Futter für die nächste "Real ist ja so verschuldet und Bauern München wirtschaftet seriös" Diskussion..
 
Naja ist für mich kein Fakt. Pedri ist eben auf seiner Position überragend, Cama auf seiner. Mich nervt eher, dass Barca ihn so verheizt, wir brauchen ihn und Ansu für die WM.

Ich würde den Clubs keine Tradition absprechen, aber klar man hat sich komplett verhurt. Wir haben ja auch schon den Fehler mit den Galácticos gemacht und ich fand auch nicht jede Generation so sympathisch wie die jetzige. Aber es ging eben nie soweit, dass man seine komplette Identität verkauft hat. Aber gut in England haben das alle gemacht. Gibt es noch einen Club der keinem Investor gehört in der oberen Tabellenhälfte?
 
Naja, ich muss keinen Gebrauch machen von der Erlaubnis zum Hassen :D

Gönne zwar Real Madrid keinen Clásico und keine Rekordmeisterschaft, aber mein Feindbild ist sicherlich die Premier League. Wo jeder Abstiegskandidat so viel Geld zur Verfügung hat, dass ich mich frage, wie da Klubs, die noch Vereine sind, auf die Dauer mithalten sollen. Und man hört dauernd von der "besten Liga der Welt". :( Der Fast-Bankrott des FC Barcelona hat natürlich mit dem korrupten oder kriminellen Gebaren mancher Leute zu tun, aber doch auch nicht nur. Die Erwartung an den Klub ist durch die Erfolge einer Jahrhundertmannschaft so immens gestiegen, dass die Versuche, daran anzuknüpfen, schwerlich gut gehen konnten. Es sollte binnen weniger Jahre ein 3. Triple her, es war 2019 auch zum Greifen nah und wurde auf unglaubliche Weise verspielt, die 8. Meisterschaft in 11 Jahren kam daran gemessen gar als enttäuschender Misserfolg daher. Seither - sehr wenig. Auch ohne die sinn- und planlose Kaufwut unter der letzten Vereinsführung wüsste ich aber nicht, was man den Geldklubs auf die Dauer entgegensetzen sollte - außer den Frauentiteln, die NOCH erschwinglich sind. (Da versucht PSG interessanterweise auch erfolglos, ins Finale zu kommen. Und sie haben diese Saison seltsame Querelen, einen Kriminalfall und Streit im Team.) Das Problem stellt sich wohl oder übel eben auch Real Madrid - auch wenn eure Fassade weniger baufällig aussieht.

"künstlich hochgezüchtete Luxus-Klubs ohne Seele, ohne Charakter"... das glaube ich eigentlich nicht in dem Sinn. Ich meine, bei einem 1880 gegründeten Klub muss es doch Fans geben, die vor dem Geld dort waren? PSG wiederum ist vom Rechtlichen eine viel neuere Gründung, knüpft aber wohl an einen Verein an, der fast so alt ist wie Real Madrid? Und wenn es so starke Kritik gibt, gibt es offensichtlich Leute mit Charakter und Meinung? Aber ja, die aktuellen Konstrukte sind schlimm. Da würde ich wiederum auf keinen Fall Leipzig im gleichen Atemzug nennen. Ich meine, ein Millionär, der sein Gesöff verkauft und in diverse Sportarten investiert, ist doch nicht auf gleicher Ebene mit arabischen Diktaturen? Da werden meines Wissens ja auch keine Galácticos zusammengekauft, sondern ernstzunehmende Jugendarbeit betrieben, oder?
 
Naja ist für mich kein Fakt. Pedri ist eben auf seiner Position überragend, Cama auf seiner. Mich nervt eher, dass Barca ihn so verheizt, wir brauchen ihn und Ansu für die WM.

Ich hoffe schon, dass sich das jetzt bessert und man sich der Fehler bewusst ist. Ja, natürlich möchte ich die auch in der Nationalmannschaft sehen.

Naja, zuerst ist eigentlich das Frauenturnier. Da wird man auch sehen, wie das klappt mit den Spielerinnen von Barcelona und Real Madrid zusammen. Das Potenzial müsste schon einmal da sein und Freundschaften zwischen diesen Gruppen anscheinend auch.
 
Falls dann die Konkurrenz verschwindet sehen wir derzeit alle, was mit Bayern passiert und uns blühen könnte.

Die Konkurrenz in Gestalt des nicht bayerischen FCB? Nein, die verschwindet nicht :D
 

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