
6. März 1902 oder: Die Geburt eines einzigartigen Mythos
MADRID. Einen Tag vor dem richtungsweisenden Derbi Madrileño, das im Kampf um die Meisterschaft vorentscheidenden Charakter hat, steigt bei den Königlichen die Anspannung. Der Erste empfängt Sonntagabend den Dritten, wobei Real Madrid eigentlich punktgleich mit dem Tabellenzweiten aus Barcelona ist. Für die Blancos geht es um den 35. Titel in der Primera División!
Ob die Gründerväter des heutigen spanischen Rekordmeisters solche gigantischen Zahlen im Sinn hatten? Ende des 19. Jahrhunderts erreichte Spanien durch Einflüsse aus England eine neue Sportart – den Fußball. In der Folgezeit wurden zahlreiche Vereine gegründet. Die ersten Jahre der Merengues verbindet man mit der Figur Julián Palacios, der 1900 eine Generalversammlung zusammenrief, um die Spieler auszusuchen, die die erste Mannschaft von Madrid bilden würden. Die Gründung des Madrid Foot Ball Club fand am 6. März 1902 statt, mit Juan Padrós als Vorstandsvorsitzenden.
Die Vereinsleitung beschloss außerdem das Aussehen der Mannschaftsbekleidung, die in Anlehnung an die berühmten Londoner Corinthians aus weißen Leibchen und Hosen, blauen Strümpfen und Kappen sowie violettem Querstreifen mit dem farbig aufgestickten Wappen von Madrid bestand.
Heute, exakt 119 Jahre später ist der Real Madrid Clúb de Fútbol der erfolgreichste, bekannteste und wertvollste Fußballverein der Welt. Mit den schier unglaublichen Zahlen von 34 spanischen Meistertiteln (Rekord), 19 nationalen Pokalsiegen, 13 Champions-League-Erfolgen (Rekord), sieben FIFA Klub-Weltmeisterschaften beziehungsweise Weltpokalsiegen (Rekord) sowie zahlreichen weiteren Erfolgen einen Fußball-Mythos begründet.
Die frühen Jahre verliefen für Madrid schon erfolgreich, wie die vier aufeinander folgenden Copa-del-Rey-Siege von 1905 bis 1908 belegen. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte sich Real mit zwei Liga-Titeln und sieben Pokalen rühmen. In diesem Zeitraum wurde das bis heute wichtigste Identitätsmerkmal des Vereins begründet – das Gewinnen. Die zunehmende Bedeutung der Blancos führte außerdem dazu, dass König Alfonso XIII den spanischen Hauptstadtklub im Jahr 1920 als königlich (real) ernannte.

Der Beginn der Ära des Santiago Bernabéu
In der Nachkriegszeit übernahm Santiago Bernabéu Yeste das Amt des Klubpräsidenten, nachdem er bereits seit 1909 verschiedene Funktionen im Verein ausgeübt hatte. Der neue Präsident hatte nicht nur das Ziel, den Klub wieder aufzubauen – sein Ziel war es, Real Madrid zum besten und größten Fußballverein der Welt zu machen. Bernabéu baute eine Marke auf, die in allen Bereichen Exzellenz ausstrahlen sollte. Es wurde ein neues Stadion gebaut – das Nuevo Chamartín wurde später in Santiago Bernabéu umbenannt – und eine Reihe hochkarätiger internationaler Spieler wurden verpflichtet, um auf der europäischen Bühne Dominanz zu etablieren. Madrid sollte den besten, schönsten und erfolgreichsten Fußball spielen, nichts Geringeres war der Anspruch Bernabéus. Mit einer ersten Weltauswahl, die sich um die Superstars Alfredo Di Stéfano, Ferenc Puskás, Raymond Kopa und Francisco Gento gebildet hatte, gewann Real Ende der 60er Jahre vier Liga-Titel und eine Copa del Rey. Viel beeindruckender war jedoch, dass die Blancos den neugegründeten Europapokal der Landesmeister 1956 bis 1960 gleich fünfmal in Folge gewinnen konnte – dieses legendäre Team wird größtenteils immer noch als die größte Fußballmannschaft aller Zeiten angesehen. Diese Ära erschuf den Mythos Real Madrid als den erfolgreichsten und besten Verein der Welt.
Von „El Madrid Ye-yé“ bis zur „Quinta del Buitre“
Die folgenden zwei Jahrzehnte waren für die wachsende Armee der Madridistas ebenso erfolgreich, wenn auch die große Dominanz auf europäischer Ebene erst einmal zu Ende war. Im Jahr 1966 konnten die Blancos einen weiteren Europapokal gewinnen, indem sie Partizan Belgrad im Finale von Brüssel mit 2:1 besiegten – es sollte für lange Zeit der vorerst letzte Triumph in der Königsklasse sein.
Auf nationaler Ebene, vor allem zu Zeiten der „Ye-yé-Generation“ in den späten 1960er Jahren, den späten 1970er Jahren sowie der „Quinta del Buitre“ in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre dominierte Real Madrid den spanischen Fußball fast nach Belieben und schraubte die Anzahl der Meistertitel von 20 auf 25 in die Höhe. Mit den UEFA-Cup-Siegen 1985 und 1986 konnten die Königlichen auch wieder Glanzpunkte im internationalen Geschäft setzen.
Den schwersten Moment erlebte Real Madrid in dieser Phase seiner Geschichte aber außerhalb des Platzes, als im Jahr 1978 der große Santiago Bernabéu verstarb.
Dominanz von Barça und totaler Umbruch
In der ersten Hälfte der 1990er Jahren verlor Real jedoch sowohl national als auch international an Boden und in Spanien übernahm der Erzrivale, FC Barcelona, die Vorherrschaft. Unter Trainer Johan Cruyff und seinem als „Dream Team“ getauften Kader gelangen gleich vier Meistertitel in Folge. Erst 1994/95 konnte der Bann gebrochen werden, als die von Jorge Valdano trainierten Blancos die spanische Meisterschaft holten. Die Freude währte nicht lange, denn in der darauf folgenden Saison erreichte der spanische Rekordmeister nur den enttäuschenden sechsten Tabellenplatz und qualifizierte sich damit nicht einmal für den UEFA Cup, während ausgerechnet Stadtrivale Atlético das nationale Double holte.
Real-Präsident Lorenzo Sanz war zum Handeln gezwungen – und handelte mit aller Macht. Neben Star-Trainer Fabio Capello holte er eine ganze Reihe von internationalen Stars in die spanische Hauptstadt. Prompt holte das Team um Predrag Mijatović, Davor Šuker, Roberto Carlos und Clarence Seedorf den nationalen Liga-Titel in der ersten Saison. Nur ein Jahr später, im Mai 1998, gewann die inzwischon vom deutschen Jupp Heynckes betreute Mannschaft das Champions-League-Finale gegen den haushohen Favoriten Juventus Turin mit 1:0 und beendete die inzwischen fast manische Sehnsucht des Madridismo nach dem siebten Triumph in der Königsklasse nach 32 Jahren.
Die „Galácticos“
„La Séptima“ beendete nicht nur die ewige Durststrecke und die Sehnsucht nach der europäischen Krone, sondern sie leitete auch Reals zweite große Ära in Europa ein. In den Jahren 2000 und 2002 legten die Hauptstädter ihre Königsklassen-Titel acht und neun nach – der Ruf als „bester Verein der Welt“ wurde im Jahr 2000 außerdem durch die FIFA untermauert, die Real Madrid offiziell als besten Fußballverein des 20. Jahrhunderts ehrte.
In der Ära der „Galácticos“, welche mit Florentino Pérez‘ erster Amtszeit (2000 bis 2006) assoziiert wird, prägten Top-Stars wie Luís Figo, Ronaldo, Zinédine Zidane oder David Beckham die Wahrnehmung der Blancos. Neben den sportlichen Erfolgen – darunter zwei Meistertitel, zwei Supercopa-Erfolge und ein Champions-League-Sieg – etablierte sich Real Madrid in jener Zeit vor allem als eine der stärksten Marken im Weltfußball. Der FC Barcelona schien in den Folgejahren auf nationaler Ebene, nicht zuletzt unter Pep Guardiola, stets einen Schritt voraus. Dennoch feierte der Rekordmeister in den Spielzeiten 2006/07 und 2007/08 zwei weitere Meistertitel.

Ronaldo-Ära und Dominanz in Europa
Im Sommer 2009 begann nicht nur die zweite Amtszeit von Präsident Peréz, sondern fast zeitgleich wechselte Cristiano Ronaldo nach Madrid. Die Blancos ließen sich den Königstransfer satte 94 Millionen Euro kosten – bis dato die größte jemals gezahlte Ablösesumme für einen Fußballer. CR7 sollte in den folgenden neun Spielzeiten fast sämtliche Vereins- und Weltrekorde in Sachen Tore und Effizienz nicht nur brechen, sondern teilweise pulverisieren. Er steht stellvertretend für eine der größten und erfolgreichsten Phasen in der Geschichte der Königlichen. Hatten die Madrilenen im Mai 2014 unter Carlo Ancelotti erstmals nach zwölf Jahren wieder den Henkelpokal gewonnen, räumten sie diesen 2016, 2017 und 2018 in der ersten Trainer-Amtszeit des Zinédine Zidane gleich drei Mal in Serie ab. Schon die erste Titelverteidigung war ein noch nie dagewesenes Kunststück – doch der Titel-Hattrick veredelte Pérez‘ zweite Amtszeit dann endgültig.
Umsatzmaschine Real Madrid und neuer Meilenstein
Obwohl die große Dominanz nach dem Ronaldo-Abschied und dem Rücktritt von Trainer Zidane im Sommer 2018 vorüber war und der Verein vor einem sportlichen Umbruch stand, gelang Real Madrid in der Spielzeit 2018/19 erneut in Rekordumsatz in Höhe von 757,3 Millionen Euro. Die Blancos haben ihren Umsatz von der Spielzeit 2008/09 (401 Millionen Euro) binnen zehn Jahren um unfassbare 88 Prozent steigern können. Das Jahr 2020 war auch für Real Madrid ein besonderes. Nicht nur, weil die Königlichen sich ihre 34. Meisterschaft sicherten, sondern auch, weil die Corona-Krise sie vor neue Herausforderungen stellte. Und doch geht das Jahr aus finanzieller Sicht überraschend positiv zu Ende, mit einem kleinen Plus: Wie Real Madrid im Dezember 2020 bekannt gab, wurde das Geschäftsjahr mit einem kleinen Gewinn von 313.000 Euro beendet. Trotz der Corona-Pandemie befinden sich die Merengues in finanziell vergleichsweise ruhigem Fahrwasser.
Folglich sind die Königlichen längst eine Weltmarke, die mit schätzungsweise 450 Millionen Fans und 2.300 Fanklubs den Fußball-Kosmos fesselt wie kein anderer Verein. Dass die Blancos auch nach 118 Jahren keinen Aktionären oder Einzelpersonen gehören, sondern einzig und allein seinen derzeit rund 101.000 stimmberechtigten „Socios“ (Mitgliedern), unterstreicht die Einzigartigkeit des vielleicht besten Klubs der Welt ebenso wie sei beeindruckendes 120 Hektar großes Trainingsgelände oder das vereinseigene Museum.

Mitten im Corona-Zeitalter bereitet Real Madrid den nächsten großen Meilenstein in seiner langen Geschichte vor: Im Mai 2019 begannen die großen Umbauarbeiten am Estadio Santiago Bernabéu – die Heimat der Merengues entwickelt sich zu einem modernen Fußballtempel. Die Bauarbeiten schreiten sogar etwas schneller voran als ursprünglich geplant – da aufgrund der Corona-Maßnahmen seit Juni 2020 keine Zuschauer in den Stadien zugelassen sind, bestreitet die erste Mannschaft der Blancos ihre Heimspiele im kleinen Estadio Di Stéfano auf dem Trainingsgelände in Valdebebas, sodass der Umbau des Bernabéu ungestört und zügig verläuft. Es ist entsteht kein neues Stadion, obwohl am Ende eine der modernsten Fußballspielstätten stehen wird – das Estadio Santiago Bernabéu, seit jeher die Kathedrale des Weltfußballs, passt sich nur der Zeit an, wie schon so oft in seiner Geschichte. Im Herbst 2020 könnten die Renovierungsarbeiten im Innenbereich abgeschlossen sein.
Pünktlich im Jahr des 120-jährigen Bestehens will der erfolgreichste, faszinierendste und wohl beste Verein der Welt in sein neues, altes Zuhause einziehen. Hoffentlich dann vor über 80.000 Madridistas, die den Verein in eine neue Ära begleiten werden! Und hoffentlich dann mit der Jagd auf die 36. oder sogar 37. Meisterschaft…
¡Feliz cumpleaños, Real Madrid!
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