
Der Fußball entwickelt sich weiter
Die Personalpolitik der Blancos sieht vor, Spielern ab einem Alter von 32 Jahren nur noch Ein-Jahres-Verträge anzubieten – wenn überhaupt. Aber mal ehrlich: Ist das nicht ein wenig überholt?
Die medizinische Versorgung sowie die Trainings- und Belastungssteuerung haben sich über die Zeit stetig weiterentwickelt. Der Fußball selbst und somit auch seine Akteure werden Jahr für Jahr immer professioneller, um den hohen Anforderungen des modernen Fußballs gerecht werden zu können. Aufgeblähte Spielkalender sorgen für eine enorme konditionelle Belastung. Wer da nicht auf sich achtet und sein Leben mit der richtigen Einstellung im Sinne des Leistungssports gestaltet, kann schnell ins Abseits geraten.
Die alte Garde dominiert
All diese Entwicklungen sorgen eben auch dafür, dass sich die Leistungsgrenze zeitlich nach hinten verschiebt. Hierfür lohnt sich auch ein Blick zu anderen großen Sportarten:
Ein Lewis Hamilton dominiert in der Formel 1 wie eh und je, hat gerade sämtliche Rekorde eines gewissen Michael Schuhmachers gebrochen. Alter? 35! Novak Đoković, Rafael Nadal und Roger Federer dominieren nach wie vor die Tenniswelt und machen fast sämtliche Titel unter sich aus. Alter? 33, 34, und 39!
Sprach man in den 90er und 00er Jahren noch von einem optimalen Fußballeralter zwischen 26 und 30 Jahren, erreichen diese ihren Zenit heutzutage oftmals erst zwischen 30 und 35. Beispiele gefälligst? Robert Lewandowski befindet sich mit seinen 32 Jahren in der Form seines Lebens und wurde jüngst zu Europas Fußballer des Jahres gewählt, auch ein Lionel Messi (33) und ein Cristiano Ronaldo (35) zeigen kaum Alterserscheinungen. Und: Ein gewisser Luka Modrić wurde 2018 mit 33 Jahren zum ältesten Weltfußballer (gemeinsam mit Fabio Cannavaro; war 2006 ebenfalls 33) aller Zeiten gekürt. Fakten, die zeigen, dass Reals Vorgehensweise bei älteren Spielern mittlerweile überholt ist.
Dudek war der Letzte
Das letzte Karriereende eines Spielers an der Concha Espina datiert aus dem Jahre 2011, also vor fast zehn Jahren, als Jerzy Dudek am letzten Liga-Spieltag gegen UD Almería kurz vor Spielende ausgewechselt wurde. Was waren das für herzerwärmende Bilder, als seine Mitspieler sich an der Seitenlinie versammelten, um dem Torhüter Spalier zu stehen. Ein jeder Madridista würde sich wünschen, so etwas häufiger im heimischen Estadio Santiago Bernabéu zu sehen zu bekommen. Der Fußball lebt eben nicht nur von Titeln und Toren, sondern auch von seinen Emotionen und der Verbundenheit der Fans zu ihren Spielern. Außerdem sollten die teilweise mehr als unwürdigen Abgänge von Vereinsikonen wie Raúl González, Guti oder Iker Casillas mahnende Beispiele dafür sein, wie Fans ihre Spieler nicht den Verein verlassen sehen wollen. Bei allem Leistungsdruck muss auch bei einem enorm erfolgsorientierten Verein wie Real Madrid hin und wieder Platz für ein wenig Fußballromantik sein.
Zweiter Frühling bei Ramos und Modrić
Ohnehin stellt der Leistungsaspekt kein Argument dar, das gegen eine Verlängerung der Verträge von Ramos und Modrić spricht. Beide befinden sich in ihrem zweiten Frühling als Fußballer und bestechen speziell seit dem Restart in der vergangenen Saison auf dem Platz mit guten Auftritten. Beim Kroaten, mittlerweile 35 Jahre alt, lässt sich argumentieren, ob er zu Saisonbeginn nicht sogar der formstärkste Madrilene war. Spritzig, lauffreudig und als passsicherer Antreiber wie zu seinen besten Zeiten präsentierte und präsentiert sich der Vizeweltmeister von 2018 gerade.
Auch Ramos, seines Zeichens schon 34, zeigt sich als unermüdlicher Antreiber und ist unverändert von elementarer Bedeutung für Reals defensive Stabilität. Doch nicht nur das: Auch offensiv glänzt „El Capitán“ mehr denn je, darf sich mittlerweile sogar als der torgefährlichste Verteidiger der LaLiga-Geschichte rühmen. Vor allem nach der Corona-Pause, im Endspurt der vergangenen Saison, zog Ramos den königlichen Karren oft aus dem Dreck, erzielte in seinen zehn Spielen ganze sechs Tore – als Innenverteidiger! Reals LaLiga-Alltag gestaltet sich oft zäh gegen Gegner, die sich tief in der eigenen Hälfte verstecken und gegen die es dann schwer ist, sich Torchancen zu erspielen – so auch oft zu sehen gewesen in besagtem Liga-Endspurt. In solchen engen Spielen bringen nicht selten Elfmeter oder Kopfballtore nach Standards die herbeigesehnte Erlösung. Eigentlich doch ganz beruhigend, wenn man da einen der (oder den?) besten Kopfballspieler und Elfmeterschützen der Welt in seinen eigenen Reihen weiß.
Kaderumbruch und Vertragsverlängerungen können Hand in Hand gehen
Auch im Sinne eines Kaderumbruchs wäre eine Vertragsverlängerung bei Ramos und Modrić, die abseits des Platzes gute Freunde sind und regelmäßig mit ihren Familien den Urlaub gemeinsam verbringen, kein Hindernis. Junge Spieler können von solchen Führungsspielern und deren Erfahrung viel lernen und letztendlich von ihnen profitieren. Ohnehin werden Ramos und Modrić ihre Pausen brauchen und auch bekommen, und somit die nächste Generation ihre Einsatzchancen erhalten. Schon jetzt wird „Lukita“ regelmäßig für Federico Valverde aus der Startelf rausrotiert und nimmt dabei Zidanes Entscheidungen ohne zu murren hin. Ein allmählicher Kaderumbruch ließe sich also auch mit der Anwesenheit der beiden Altstars gut gestalten. An erster Stelle sollte jedoch immer die Leistung auf dem Platz im Mittelpunkt stehen, weshalb man zwei bestens funktionierende Spieler nicht bloß aufgrund ihres Alters ersetzen muss.
Also, lieber Florentino Pérez: Weiche bitte von deinem Dogma des Ein-Jahres-Vertrags ab und gib Luka Modrić und Sergio Ramos ihre letzten längeren Verträge. Zwei gute Jahre haben die beiden mindestens noch im Tank, in denen sie dem Verein zu großen Erfolgen verhelfen können. Verdient hätten sie es sich allemal. 2014, Lissabon, Minute 93, Ecke Modrić, Kopfball Ramos, „la Décima“ – weißt du noch?
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