
Schöne und düstere Erinnerungen jagen mir durch den Kopf. Ich bin wirklich hier. Hier, wo Real Madrid am Höhepunkt war. Wo wir alle uns fucking unbezwingbar fühlten. Ich bin an dem Ort, wo es vom Himmel in die Hölle gehen sollte.
Es ist mein erstes Mal in Kiew. Das Champions-League-Finale 2018 sah ich mir im Bernabéu an. Akkreditierung wäre kaum möglich, eine Reise viel zu teuer gewesen, und das Public Viewing in Madrids Stadion ist ohne Zweifel der zweitbeste Ort für ein Endspiel, zumal man am Folgetag bei den galaktischen Feierlichkeiten dabei sein kann. Ich würde es genau so wieder machen, und doch stand schon damals, am 26. Mai 2018 für mich fest: Da muss ich mal hin.
At this place in 2018,Real Madrid wrote history. It’s still unimaginable,that another team could win 3 #UCL in a row (or 4 in 5 yrs),so we still have to appreciate,what RM has achieved. They can’t win always. But the way the team acts now,reminds me of darker times (2002-2010)… pic.twitter.com/3mQG7WMpw8
— Nils Kern (@nilskern17) March 9, 2020
Das Olympiastadion in Kiew hat schon einiges an Geschichte hinter sich. 1923 erbaut, überstand es einen Krieg, wurde mehrfach renoviert und durfte neben Olympia (1980) auch ein Europameisterschafsfinale (2012) austragen. Und dann 2018 das Endspiel der Königsklasse. Viel Geschichte, und doch flackern in meinem Kopf nur zwei Bilder. Wie Sergio Ramos „La Decimotercera“ emporstreckt, aber auch wie die Mannschaft am Boden liegt. Das eine ist zwei Jahre jung, das andere sowohl aktuell, als auch älter.

Erstmal muss man eines festhalten: Drei Champions-League-Titel in Folge, vier aus fünf Jahren, sowas war unvorstellbar und wird auch für immer unmöglich sein. Was die Königlichen da geschafft haben, muss und wird man noch lange anerkennen – von José Mourinhos Grundsteinlegungen über Carlo Ancelottis Meißelarbeiten bis zu Zinédine Zidanes Perfektion. Dieses Real Madrid ist für immer unsterblich, jenes von 2016/17 in den Augen hinter meiner Fanbrille sogar der beste Kader, den eine Fußballmannschaft jemals besaß.
Doch diese Zeiten sind lange her. Schon 2017/18 lief alles andere als rund – 17 Punkte Rückstand auf Meister Barcelona. Pokal-Blamage gegen Leganés. Und mit Glück im CL-Finale, da hat der 3:1-Triumph über Liverpool einiges hinweg kaschiert. Cristiano Ronaldo und Zidane erkannten die Zeichen und sprangen vom sinkenden Schiff. Auch daran denke ich, wie ich hier vor dieser Mega-Arena stehe. Das Trikot von 2017/18 passt noch, es sieht auch immer noch glorreich aus. Von denen, die es damals trugen, kann man das nicht mehr behaupten. Eine Saison später betrug der Rückstand auf den Meister sogar 19 Punkte. Und selbst aktuell steht man hinter dem vermutlich schlechtesten Barcelona in der Ära Messi.
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Wie konnte das passieren: ein königlicher Bauchplatscher vom Himmel in die Hölle? Und dass sie zwei Jahre später sich irgendwie immer noch auf dem Boden winden? Ich habe Gänsehaut. So kalt ist es in Kiew gar nicht. Die Erinnerungen machen es möglich: An ein unvergessliches Finale, und an düstere Zeiten. Und zwar nicht nur an die Horrorwoche vor einem Jahr, als die Blancos sich innerhalb sieben Tagen aus drei Wettbewerben verabschiedeten, sondern etwas viel Schlimmeres. An die schwarzen Jahre 2003 bis 2010. Auch da fühlten sich die Blancos anfangs im Himmel – drei Königsklassen-Titel aus fünf Jahren waren schon unglaublich. Die „Galácticos“ wuchsen Jahr um Jahr, doch damit auch der erst zwölf Jahre später erfüllte Traum nach „La Décima“. Die sportliche Realität war eine andere: Nach dem gegen Leverkusen gewonnenen neunten Europapokal kam Real sechs (!) Mal nicht über das Achtelfinale hinaus. Vom verpassten „Finale dahoam“ 2010 bis zu bitteren Pleiten gegen Monaco, Lyon, Arsenal und und und.
Es muss wohl einer mal aussprechen: Nicht die Horrorwoche 2019, sondern die Horror-Nullnuller könnten sich wiederholen! Gegen ManCity droht das zweite Achtelfinal-Aus in Folge – für das königliche Selbstverständnis ein Rückfall in düstere Zeiten. Ja, auch daran denke ich. Davor fürchte ich mich regelrecht. Wie sich die Mannschaft derzeit mal wieder präsentiert, bereitet mir Sorgen. Wie kann man ungeschlagen gegen die Top-Teams in LaLiga sein, aber verlieren gegen Levante und Betis? Wie kann man gegen diese drittschlechteste Liga-Defensive nicht mal für echte Torgefahr sorgen? 2018 hat auch ein Cristiano Ronaldo noch einige kollektive Unzulänglichkeiten hinweg kaschiert, auch wenn hier in Kiew „nur“ Karim Benzema und Gareth Bale trafen. Zwei Traumtore von Bale. Was waren das für Zeiten… Ich werde sie nie vergessen, sie immer wertschätzen, meine Enkel noch oft damit nerven, wie CR7 Madrid ins Finale geballert hat. Aber es gab auch Zeiten, da konnten Madridistas von Halbfinalteilnahmen nur träumen, diese drohen erneut. Möge es soweit nicht kommen, und mein bedrohlichen Gefühl in Kiew mich täuschen. Hala Madrid!
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