Analyse

Reals 3-5-2 im Taktik-Check: Sinnvolle Alternative oder nur Spielerei?

Das 3-5-2-System hat sich in den vergangenen Jahren für viele Top-Teams als echt Alternative zum Spiel mit Viererkette entwickelt. Nachdem Zinédine Zidane und Real Madrid das Spiel mit Dreier- respektive Fünferkette in der Vergangenheit mehrere Male ausprobierten, aber auch genauso schnell wieder ad acta legten, scheint das variable System spätestens nach dem 3:1-Sieg gegen Atalanta Bergamo zum Repertoire der Königlichen zu gehören. REAL TOTAL analysiert Vor- und Nachteile des neuen Systems.

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Im neuen 3-5-2 bekamen auch Mendy und Vázquez veränderte Rollen – Fotos: Imago

Stetige Überzahl in der letzten Abwehrreihe

Der zentrale Vorteil im Defensivspiel liegt auf der Hand: Im Unterschied zur klassischen Viererkette beinhaltet ein Spiel mit defensiver Fünferkette – bestehend aus zwei Außen-, zwei Halb- und einem Innenverteidiger – unabhängig von der Anzahl der gegnerischen Angreifer in der letzten Abwehrreihe stets eine Überzahlsituation.

Gegen Atalana gelingt es den Blancos (wie in dieser eher statischen Situation) zumeist, klare Überzahlsituationen in der Abwehrkette herzustellen – Screenshot: TUDN en vivo

Das erlaubt, in fast allen Spielsituationen aktiv nach vorne zu verteidigen und somit mutig auf Ballgewinne zu gehen. So agieren die Verteidiger in einer Fünferkette keinesfalls statisch auf einer Linie, sondern dynamisch und auf den Ball reagierend. Spielt der Gegner den Ball beispielsweise auf die Außenpositionen, rückt der ballnahe Außenverteidiger heraus, der Rest der Kette verhält sich in leichter Tiefenstaffelung als eine Art pendelnde Viererkette. Auf diese Weise wird einerseits hoher Druck auf den ballführenden Spieler ausgeübt und andererseits eine starke Restverteidigung sichergestellt, sollte der Außenverteidiger überspielt werden.

Nach-vorne-Verteidigen entscheidender Vorteil

Spielt der Gegner durchs Zentrum, liegen dazu analoge Vorteile auf der Hand: Wird der Ball etwa auf einen Spieler in der Halbposition gespielt, ist es in der Regel der ballnahe Halbverteidiger – gegen Atalanta waren das zumeist Nacho und Varane –, der nach vorne verteidigt und Druck auf den Gegner ausübt. Wird der Ball eher ins Zentrum gespielt, weist zumeist der zentrale Innenverteidiger die größte Ballnähe auf und muss entsprechend nach vorne verteidigen. Idealerweise antizipiert der herausrückende Verteidiger das Anspiel so früh, dass er durch ein entschlossenes und zeitiges Herausrücken ein Aufdrehen des Gegenspielers in Spielrichtung vermeidet – auf diese Weise ist die Torgefahr deutlich geringer, da die Schnittstellen nicht frontal attackiert werden können.

Hier verteidigt Vázquez (schwarzer Kreis) am Flügel. Varane, Ramos, Nacho und Mendy besetzen das Zentrum – Screenshot: TUDN en vivo

In beiden Situationen ist es zudem essenziell, dass im Rücken des herausrückenden Verteidigers das sogenannte Abwehrdreieck gebildet wird (analog zur Viererkette). Am Beispiel des herausrückenden zentralen Innenverteidigers bedeutet dies, dass die beiden Halbverteidiger in Tiefenstaffelung zusammenschieben. Im Idealfall reagieren hier auch die Außenverteidiger und passen die Abstände zu ihren Nebenmännern ebenfalls durch eine leichte Bewegung in Richtung Mitte an. Auf diese Weise werden die Schnittstellen minimiert – der Gegner hat nur die Gelegenheit, den Ball auf die Außenpositionen zu spielen oder abzubrechen.

Setzt man diese Zusammenhänge mit Real Madrids Personalsituation in Bezug, so lässt sich „Zizous“ Entscheidung für die Fünferkette in doppelter Hinsicht als genialer Schachzug einordnen. Denn: Dadurch, dass die Blancos, sofern sie die taktische Ordnung umsetzten, in jeder Situation nach vorne verteidigen konnten, wog der Ausfall des Gelb-gesperrten Casemiro als Bindeglied zwischen Abwehrkette und Mittelfeld nicht so schwer, wie es zu befürchten war. Im Normallfall ist es nämlich Casemiro, der (zumindest im Zentrum) jenen gefährlichen Raum besetzt und auf diese Weise ein frontales Andribbeln der Kette vermeidet. In dem Wissen, dass vermutlich weder Toni Kroos noch Luka Modrić diesen Spielertyp über 90 Minuten würden imitieren können, gab Zidane seiner Abwehrkette mehr Handlungsmöglichkeiten an die Hand und kompensierte den vermeintlichen Nachteil äußerst intelligent.

Zuständigkeiten können zu Problemen führen

Aus den skizzierten Zusammenhängen ergeben sich allerdings auch die zwei größten Schwächen der Fünferkette: Zum einen bedeuten mehr Verteidiger mehr Schnittstellen, die potenziell zu attackieren sind. Da die Abstände zwischen den Abwehrspielern aber gleichzeitig geringer werden, ist diese Gefahr gut in den Griff zu bekommen. Wesentlich gefährlicher scheinen daher Unklarheiten bezüglich der Zuordnung – die zweite Schwäche des 3-5-2 im Spiel gegen den Ball. So führt die Überzahl (im Zentrum) im raumorientierten Spiel dazu, dass nicht immer ganz klar ist, wann ein Gegenspieler sich im Zuständigkeitsbereich eines Verteidigers bewegt.

Im Duell mit Atalanta ist hier Zapatas späte Großchance ein geeignetes Beispiel: So bildeten die Merengues eigentlich situationsgemäß das Abwehrdreieck, indem Varane herausschob. Nacho und Militão erkannten die Gefahr allerdings nicht schnell genug, sodass sich Zapata zwischen die beiden Halbverteidiger bewegen konnte und im Rücken von Varane freigespielt wurde – der Kolumbianer hätte hier treffen können oder gar müssen.

Varane (roter Kreis) rückt heraus, um ein Aufdrehen seines Gegenspielers im Falle eines Zuspiels zu verhindern und bildet mit Nacho und Militão zugleich das Abwehrdreieck, das Defensivkonstrukt funktioniert aber nicht: Ein Ball, der so zwar sicher nicht gespielt werden darf, landet bei Zapata (gelber Kreis), der ohne gegnerischen Zugriff abschließt– Screenshot: TUDN en vivo

Entscheidend für die Verteidigung solcher Situationen ist eine klare Kommunikation von hinten nach vorne respektive horizontal, wenn es darum geht, einen Spieler „zu übergeben“. Hier muss jeder Akteur Verantwortung übernehmen.

Keine elementaren Unterschiede in der Spielauslösung

Das Spiel mit Ball unterscheidet sich tatsächlich nicht entscheidend – zumindest im Fall der Blancos. So agiert die Zidane-Elf im Spielaufbau sowieso sehr oft mit einer dynamischen Dreierkette. Das heißt, dass sich ein zentraler Mittelfeldspieler – zumeist ist das Toni Kroos, manchmal auch Casemiro – mit in die Dreierkette fallenlässt. Dies geschieht meist durch ein Abkippen zwischen Innen- und Außenverteidiger. Die eigentlichen Außenverteidiger schieben entweder extrem hoch oder orientieren sich – sofern die Außenstürmer die „hohen Außenpositionen“ besetzen – in die Halbpositionen im Mittelfeld, um Spielfortsetzungsmöglichkeiten in der Tiefe zu schaffen. Der Sinn dieser Abläufe liegt darin, eine Überzahl im Aufbau zu generieren und die gegnerische erste Linie möglichst mühelos zu überspielen.

Im Spiel mit einem 3-5-2-System ist die Dreierkette hingegen statisch. Das heißt, dass ein Abkippen nicht nötig oder gar kontraproduktiv ist, da auf diese Weise eine Anspielmöglichkeit in der Tiefe verlorenginge. Neben einem klassischen Ausspielen der Überzahl durch Passwege offeriert die Dreierkette (zumeist den) Halbverteidigern aber auch ein dynamisches Andribbeln.

Egal ob im 4-3-3 oder im 3-5-2 – Real baut oft mit Dreierkette auf (Ramos ist hier im Zentrum nur zu erahnen). Charakteristisch sind hohe Außenverteidiger (gelbe Kreise), eingerückte Außenstürmer (grüner Kreis, nur Vinícius in diesem Ausschnitt), zentrale Mittelfeldspieler auf verschiedenen Ebenen (blaue Kreise) sowie ein zentraler Anspielpunkt in der Tiefe (lila Kreis). Wichtig: Die Positionen sollten dabei nicht statisch sein, sondern durch Bewegung gewechselt werden, um Räume zu schaffen – Screenshot: DAZN

Die einzelnen Möglichkeiten des Übergangsspiels und des Herausspielens von Torchancen sind – genau wie in allen anderen Grundordnungen – extrem vielseitig und hier nicht zu skizzieren. Das Bergamo-Rückspiel zeigte aber, dass eine Variabilität im Positionsspiel – so tauchte Außenverteidiger Mendy auf den Halbpositionen im Mittelfeld, auf der offensiv interpretierten Außenposition und sogar im Angriffszentrum auf – durch ein rotierendes Besetzen der wichtigen Positionen in der Tiefe – das heißt die Halbpositionen im Mittelfeld (mit Tiefenstaffelung), die offensiven Außenpositionen sowie das Angriffszentrum – ergeben sich nahezu unerschöpfliche Möglichkeiten der Spielfortsetzung. Das Spiel gegen „La Dea“ hat gezeigt, dass Bewegung ohne Ball und ein konsequentes Besetzen der Positionen in unterschiedlichen Ebenen (Tiefe, Breite) des Spielfeldes hier entscheidend für den Erfolg sind.

Fazit

Die Systemanalyse verdeutlicht eingängig, welche Vorteile das 3-5-2-System mit sich bringt. Bezogen auf die Blancos scheint vor allem die Tatsache, dass der Raum zwischen Abwehrkette und Mittelfeld durch die ständige Möglichkeit des Nach-vorne-Verteidigens konsequenter verteidigt werden kann, insbesondere wenn Casemiro einmal nicht mit der von der Partie ist.

Insofern ist davon auszugehen, dass Zidane zukünftig immer mal wieder diese Karte spielen wird – eventuell auch gegen Mannschaften, deren große Stärke das schnelle, aggressive Attackieren der Tiefe ist. Möglicherweise auch gegen Liverpool, möglicherweise auch mit Casemiro!

Den größten Schwächen dieser Grundordnung ist durch Kommunikation und taktische Disziplin beizukommen – Fähigkeiten, die ein Profi ohnehin in jeglichen Situationen abzurufen in der Lage sein muss.

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Kommentare
Ein Super-Artikel und perfekt fürs Lesen an diesem stürmischen Sonntag-Nachmittag! Kompliment an Zizou, dass er sich auf so eine Systemumstellung einlässt und diese Früche trägt. Casemiro ist offenbar derart wichtig für Zizou, dass er ohne ihn sogar sein System umstellen muss. Uns solls recht sein, solange die Ergebnisse stimmen und wir unseren Zielen näher kommen.
 
Ein Super-Artikel und perfekt fürs Lesen an diesem stürmischen Sonntag-Nachmittag! Kompliment an Zizou, dass er sich auf so eine Systemumstellung einlässt und diese Früche trägt. Casemiro ist offenbar derart wichtig für Zizou, dass er ohne ihn sogar sein System umstellen muss. Uns solls recht sein, solange die Ergebnisse stimmen und wir unseren Zielen näher kommen.

Sehe ich auch so.
 
Dieses System ist natürlich sehr sehenswert viele aktionen nach vorne , sehr viel Ballbesitz usw... nur so ein System ist auch nachteilig !!! Fast keine spieler hinter dem mittelfeld für päss gegen den Ball muss man sehr gut stehen ;) Erinnert mich an los Galacticos 1.0 vorne huuui hinten Pfuiii . Ein eingespieltes Team kann das in bis zur Perfektion spielen , nur jetzt denk ich weiter ohne Ramos nächste Saison hat dieses System was länger Zeit brauch um es gut umzusetzen keinen sinn .. Sorry

Eine neu Besetzung da ist für das Team nicht umsetzbar in kurzer zeit !
 

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