
Taktische Variabilität, hohes Pressing und ein eiskalter Torjäger: Der FC Barcelona verfügt über verschiedene, nicht zu unterschätzende Waffen und führt LaLiga nach acht Spieltagen sicherlich nicht zufällig an – wenn auch „nur“ aufgrund des besseren Torverhältnisses. Folglich müssen sich die punktgleichen Königlichen auf ein heißes Duell gefasst machen.
Worauf sich die Merengues einstellen müssen:
1. Taktische Variabilität im Spielaufbau

Wie viele europäische Elite-Teams, zu denen der FC Barcelona in dieser Saison wieder zählt, verfügt auch Xavis Mannschaft über etliche taktische Muster, die sie jederzeit auf den Platz bringen können. Im Spielaufbau agiert Barça zumeist im Dreieraufbau mit zwei zentralen Mittelfeldspielern davor. Das erlaubt aufgrund der Drei-gegen-Zwei-Überzahl (gegen die meisten Gegner) ein druckfreies Überspielen der ersten gegnerischen Linie. Neben den beiden Innenverteidigern der nominellen 4-3-3-Formation wird einer der Außenverteidiger zum Halbverteidiger. Der andere Außenverteidiger schiebt deutlich höher und wird in Ballbesitz zum Flügelspieler. Der Sechser (zumeist Busquets) und einer der beiden Achter bilden eine Art Doppel-Sechs, während der andere Achter höher schiebt. Einer der nominellen Flügelspieler (jener auf der Seite, auf der der Achter nicht höher schiebt) rückt ein, sodass ein 3-2-5-System entsteht.

Der große Vorteil dieser Formation liegt darin, dass Barça in den meisten Fällen eine Fünf-gegen-Vier-Überzahl in letzter Linie hat. Das ermöglicht zum Beispiel ein gezieltes Überladen durch eine gute Positionierung (in den Halbräumen) sowie stetige Tiefenläufe aus eben jenen Positionen. Darüber hinaus sucht Xavis Mannschaft nach einem erfolgreichen Überladen der einen Seite (mit einrückendem Gegner) immer wieder gezielte Spielverlagerungen, um auf der ballfernen Seite eine Eins-gegen-Eins- oder situative Zwei-gegen-Eins-Situation zu kreieren, primär über den dribbelstarken Ousmane Dembélé.
2. Aggressives Pressing
Im Spiel gegen den Ball setzten die Katalanen im bisherigen Saisonverlauf oftmals auf ein aggressives (Mann-zu-Mann-)Pressing, das entweder hohe Ballgewinne oder unkontrollierte lange Bälle des Gegners erzwingen soll. Dabei orientieren sich in der Regel die Außenspieler der Ballbesitzformation (3-2-5) an den gegnerischen Außenverteidigern. Der Mittelstürmer und einer der Spieler in den offensiven Halbpositionen pressen die Innenverteidiger, der verbliebene Spieler der offensiven Fünferreihe verdichtet – gemeinsam mit den beiden Sechsern der Ballbesitzformation – das Zentrum.

3. Lewandowski der Unterschiedsspieler
Doch nicht nur in taktischer Hinsicht, auch personell bewegt sich der Erzrivale der Merengues auf vielen Positionen wieder in der Elite-Klasse. Der Königstransfer ist dem FC Barcelona dabei mit der Verpflichtung von Robert Lewandowski gelungen. Nicht nur die Ausstrahlung des Polen, der die Verkörperung des modernen Vollblutstürmers ist, sondern auch die bislang aufgelegten Zahlen im Barça-Dress hinterlassen in der Fußballwelt Eindruck: So traf der inzwischen 34-Jährige bereits neun Mal in acht LaLiga-Auftritten (70 Minuten pro Tor) sowie fünf weitere Male in vier Königsklassen-Spielen (72 Minuten pro Tor). Mit zwei weiteren Assists in LaLiga ist der Mittelstürmer somit an 57 Prozent der Liga-Tore des FC Barcelona beteiligt.

Nichtsdestotrotz gibt es Ansatzpunkte, wie der Erzrivale zu knacken ist. Das haben im bisherigen Saisonverlauf zum Beispiel der FC Bayern und Inter Mailand aufgezeigt.
So kann Real dem Rivalen wehtun:
1. Klarer Matchplan und taktische Disziplin
Um dem FC Barcelona seine Stärke zu nehmen, gilt es vor allem die numerische Unterzahl der Viererkette gegen die offensive Fünferreihe der Katalanen auszugleichen. Die ist möglich, indem man im Spiel gegen den Ball mit einer Fünferkette mit aggressiven Außenverteidigern agiert – das könnten Valverde und Carvajal sein. Gleichzeitig ist aber auch denkbar, dass Ancelotti drei nominelle Innenverteidiger aufbietet (Rüdiger, Militão, Alaba) und die Flügelpositionen mit tatsächlichen Außenverteidigern besetzt.

Würde Real in der Defensivformation mit einer Fünferkette spielen, so wie es Inter Mailand getan hat, würden sich davor drei zentrale Mittelfeldspieler und zwei Stürmer anbieten. Wenn diese verhältnismäßig tief stehen (tiefes Mittelfeld- oder gar Abwehrpressing), generiert das eine Fünf-gegen-Vier-Überzahl im Mittelfeld. Nicht nur, dass durch die beiden tief verteidigenden Angreifer Barcelonas Doppel-Sechs in den Deckungsschatten gestellt und somit aus dem Spiel genommen wird – bei Zuspielen in die Tiefe sorgte zudem die Mittelfeld-Dreierreihe dafür, dass die Spieler auf den Halbpositionen (in der Regel ebenfalls durch das Kreieren des Deckungsschattens) kaum anspielbar sind. Der Schlüssel, dass diese Herangehensweise funktioniert, ist neben taktischer Disziplin ein aggressives Verteidigen der Außenverteidiger, das ein Aufdrehen der Außenspieler und ein gezieltes Bespielen der Halbpositionen (situative Überzahl) verhindert, da Xavi beispielsweise durch ein Andribbeln-Lassen aus der defensiven Dreierkette die Statik eines solchen Defensivmusters zu brechen versucht.
2. Pressing brechen, Tiefe suchen
Eine weitere Möglichkeit, dem FC Barcelona wehzutun, ist das Brechen des Angriffspressings. Gelingt dies – etwa durch situatives Überladen oder geschicktes Einbeziehen des Torhüters als Überzahlspieler (hier sind viele weitere Varianten denkbar) – können gefährliche Eins-gegen-Eins-Situationen am Flügel oder gar dynamische Gleich- oder Überzahlsituationen in der Tiefe geschaffen werden. Voraussetzung sind hier hervorragende Technik, Orientierungsfähigkeit und eine gute Besetzung des Raums. Dass Real auch unter großem Gegnerdruck kurz eröffnen und das Pressing brechen kann, haben Carvajal, Kroos, Modrić und Co. in den vergangenen Champions-League-Spielzeiten zu Genüge unter Beweis gestellt.

3. Die eigenen Stärken auf den Platz bringen
Auch wenn es aus Ancelottis Perspektive ratsam erscheint, die Stärken des Erzrivalen zu analysieren und (situativ) Antworten parat zu haben, sollte der „Mister“ die eigenen Qualitäten nicht außer Acht lassen. Denkbar ist sicherlich eine auf Gegentorvermeidung ausgerichtete Anfangs-Statik, in der die Extra-Klasse von Vinícius und Benzema (trotz Mini-Krise) die schärfste Waffe darstellen könnte. Mit zunehmendem Spielverlauf könnten Spieler wie Camavinga (vermutlich als Joker), je nach Szenario und Intention Ancelottis, das Kräfteverhältnis aber in Richtung der Blancos verschieben.
Darüber hinaus können das Durchdrücken der spielerischen Klasse und die Ballsicherheit des königlichen Mittelfelds gepaart mit dem immensen Speed von Vinícius, Valverde und Co. dafür sorgen, dass Barça nicht so zur Entfaltung kommt, wie gewünscht.
Fazit:
Als neutraler Fußballfan sind die Zutaten (Qualität der Spieler, sportliche Ausgangslage und Brisanz) für den Clásico so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. Aus Real-Perspektive mag der Druck angesichts eines taktisch variablen Barcelonas, das nach zwei enttäuschenden Spielzeiten nach dem Liga-Titel greift, und der 0:4-Pleite in der Vorsaison sicherlich groß. Ein nüchterner Blick auf das Personal der Blancos zeigt aber, dass die Werkzeuge, um einerseits die Stärken der Katalanen einzudämmen und zugleich eigene Qualitäten auf den Platz zu bringen, enorm vielseitig sind. Ein Tag mehr Pause und Kräfteschonen nur bei Real in der Königsklasse sowie Verletzte spielen ohnehin eher Real in die Karten.
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