Reportage

Von der kleinen Nummer zum Angstgegner

Spätestens seit dem gestrigen Pokal-Ausscheiden sind wohl keine Zweifel mehr vorhanden. Was der FC Barcelona für Real Madrid bis vor wenigen Jahren noch war, ist nun Atlético: das Team, das man sich als Gegner als letztes wünscht. Kein einziges der fünf Derbys konnte das weiße Ballett in der laufenden Saison für sich entscheiden – eine aus Sicht des Madridismo nahezu schon erschreckende Bilanz.

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Atlético Madrid
Ein mittlerweile häufiger vorkommendes Bild: Atlético jubelt, Real nicht

Die Überlegenheit war einmal

MADRID. Es gab Zeiten, da hatten Duelle mit Atlético Madrid nur aufgrund der Stadt-Rivalität etwas Besonderes an sich. In sportlicher Hinsicht glichen sie jedoch vielmehr Spielen gegen Mittelklasse-Klubs aus der spanischen Primera División. Als bester Beleg dient dafür wohl die 14-jährige Durststrecke der „Rojiblancos“ gegen das große Real Madrid. Nach dem 30. Oktober 1999 gelang es ihnen erst am 17. Mai 2013 wieder, die Königlichen zu schlagen. 26 Derbys lagen dazwischen. Atlético, die kleine Nummer. Die Frage, welcher Verein in der Hauptstadt die Nummer eins sei, stellte sich nicht.

Doch das hat sich geändert. Unter Diego Simeone, der das Zepter Mitte 2011 übernahm, sind die „Colchoneros“ wieder wer. Der Argentinier impfte seiner Mannschaft Kampfgeist, Opferbereitschaft und Demut ein. Einer für alle, alle für einen. „Wenn wir denken, wir seien besser als Real oder Barça, verlieren wir 0:4 oder 0:5“, berichtete „el Cholo“ kürzlich von seiner Philosophie. Eine Philosophie, die den Fußball nicht als Spiel, sondern als Arbeit betrachtet. Aus einer kompakten Defensive heraus geht es im Pressing immer wieder gefährlich nach vorne. Gnadenlos effektiv. Dieser Spielstil bereitet wohl niemandem derart große Probleme wie den Königlichen.

2014/15: Sechs Derbys, vier Pleiten, zwei Remis. Atlético die Nummer eins in Madrid?

Real fehlen die Mittel gegen das defensive Atlético

Erkennbar wird das insbesondere in der laufenden Saison. Fünfmal standen sich Real und Atlético seit August gegenüber, fünfmal schaffte die Mannschaft von Carlo Ancelotti es nicht, den Platz als Sieger zu verlassen. Drei Duelle gingen verloren, zweimal gab es ein Remis. Das jüngste am gestrigen Donnerstag. Nach dem 2:2 vor eigenem Publikum schied das weiße Ballett aus der Copa del Rey aus. Im Achtelfinale. Bezeichnend für den aktuellen Trend in Spielen gegen den Lokalrivalen. „Die Formel, mit der wir Atlético in der letzten Saison zu knacken wussten, haben wir heuer noch nicht gefunden“, erklärte Ancelotti den gegenwärtigen Misserfolg seiner Truppe gegen „Atleti“ nach dem Match.

Jedoch fand man diese auch im letzten Spieljahr nicht, als Atlético den Merengues drei Liga-Punkte aus dem Bernabéu entführte und sie im Rückspiel am Rande einer Niederlage hatte (2:2), wenngleich Real im Pokal-Halbfinale und Champions-League-Endspiel letztlich klar triumphierte – in der Königsklasse aber auch nur glücklich durch den späten Ausgleichstreffer von Sergio Ramos. Kein Wunder, dass Kapitän Iker Casillas in der vergangenen Woche zugab: „In der Champions League würde mir Atlético als Gegner aber nicht gefallen, wenn wir gegen Schalke weiterkommen, was ich hoffe. Atlético hat eine zähe Mannschaft, die uns Probleme bereitet.“ 

Bei der defensiven Spielweise, die dem Kontrahenten im Angriffsspiel vor allem auf den Außen kaum Räume bietet, und der intensiven Gangart, die der amtierende spanische Meister an den Tag legt, fehlen den Superstars aus dem Bernabéu schlicht die Mittel – jedes Mal aufs Neue. In gerade einmal 22 Tagen geht es im Rahmen des 22. Liga-Spieltags wieder ins Calderón. Wieder gegen Atlético, das inzwischen das ist, was der FC Barcelona für Real bis vor ein paar Jahren noch war: die Mannschaft, der man lieber aus dem Weg gehen würde…

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von
Filip Knopp

Begleitet den Mythos Real Madrid als Fan seit der Ära der „Galácticos“ und journalistisch bei REAL TOTAL seit Mitte 2011. Erfahrungen auch bei SPORT1 und SPOX, zudem Autor von »111 GRÜNDE, REAL MADRID ZU LIEBEN«.

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