
Reals Krise: Kleine Details, großer Effekt
MADRID. „Was sich ereignet hat, läuft schon die ganze Saison so. Wir spielen gut, aber die Tore fallen nicht. Das andere Team hat eine Torchance und haut den Ball rein.“ Carlos Casemiro brachte nach der bitteren 0:1-Pleite gegen Villarreal auf den Punkt, was einem Großteil der Madridistas unmittelbar nach Spielschluss durch den Kopf schoss. Man war wieder einmal die klar überlegene Mannschaft, ließ selbst jedoch zahlreiche gute Einschussmöglichkeiten liegen, während sich der Kontrahent als extrem kaltschnäuzig erwies und den gefühlt einzigen Hochkaräter der Partie in Zählbares ummünzte – und das zum wiederholten Male in dieser Spielzeit.
Zinédine Zidane und Nacho Fernández kamen in ihrer unmittelbaren Post-Match-Analyse zu einem ähnlichen Urteil, zeigten sich ob der anhaltenden Torflut sogar ein wenig ratlos. „Wir haben das Spiel gemacht und hatten viele Chancen, zu treffen. Wir haben alles getan, aber der Ball wollte nicht ins Tor. Dafür gibt es keine Erklärung“, gab ein sichtlich angeschlagener „Zizou“ auf der Pressekonferenz zu Protokoll. Auch Reals Innenverteidiger gab unumwunden zu, dass er „nicht weiß, was los ist“. Derartige Aussagen mögen im unmittelbaren Anschluss an eine hochemotionale – weil vom Spielverlauf extrem unglückliche – Partie nicht verwundern, doch dürfen allein die Faktoren Pech und Zufall, welche im Fußball zweifelsohne keine unbedeutende Rolle spielen, nicht als alleinige Erklärung für die aktuelle Krise der Blancos herhalten. Bei genauerer Analyse war die Partie nämlich ein Spiegelbild von alldem, was den Königlichen in dieser Saison besonders abgeht. Auch wenn man – wie vor allem Toni Kroos und auch Chefredakteur Kern nach Spielende anmerkten – über weite Strecken einen guten Auftritt hinlegte. Dies macht jedoch umso deutlicher, dass Reals Krise in kleinen Details begründet liegt, die im Zusammenspiel jedoch einen unheimlich großen Effekt abwerfen. Und deshalb einer sehr differenzierten Betrachtung bedürfen.
[advert]
Viel Kontrolle, aber keine Dominanz
Blickt man auf die nun zu Ende gegangene Hinrunde, erlebten die Merengues mit Ausnahme des Tottenham-Rückspiels (1:3) eigentlich keine Partie, in der sie die feldunterlegene Mannschaft stellten. Man war nahezu ausnahmslos das Team mit mehr Ballbesitz, war so gut wie immer spielbestimmend – auch in der ersten Halbzeit des unrühmlichen Clásicos (0:3) –, man schien stets die Kontrolle innezuhaben. Was jedoch fehlte, war die Dominanz. Durch viel Ballbesitz und die zweifelsohne vorhandene Passsicherheit vermittelten die Blancos im Großteil der Spiele zwar den Eindruck, das Spiel zu kontrollieren, doch oftmals überließen die Gegner Kroos und Co. bewusst den Ball, um durch geschickte Strafraumverteidigung respektive ein perfekt abgestimmtes Abwehrpressing das Spiel der Madrilenen lahmzulegen. Villarreal praktizierte dies in manchen Szenen nahe am Rande der Perfektion.
Wie in den letzten Wochen schon mehrfach diskutiert wurde, könnte dies auch im mittlerweile etablierten 4-3-1-2 der Königlichen begründet liegen, das nach den überragenden Ergebnissen in der vergangenen Rückrunde für den Moment entschlüsselt scheint (zur kompletten ANALYSE). Weil weder Isco noch Kroos oder Modrić konsequent mit in die Box einrücken, sehen sich die Stürmer oftmals vier oder fünf Gegenspielern gegenüber, das überwiegend praktizierte Flankenspiel verpufft so wirkungslos. Durch die spärliche Besetzung der offensiven Flügelräume kreieren die Blancos zudem kaum Überzahlsituation oder Überladungen auf den Außen, wodurch die unermüdlich antreibenden Außenverteidiger einfach gestellt und keine Destabilisierungen der gegnerischen Defensive erreicht werden können.
Vor allem geht dem Spiel die nötige Tiefe im letzten Drittel ab. Kroos, Modrić und Isco halten sich zu oft in den gleichen Räumen auf, die Stürmer orientieren sich auch vermehrt Richtung Zentrum, was letzten Endes zwar ein großes Maß an Ballkontrolle garantiert, die Gefahrenmomente und offensive Durchschlagskraft jedoch in Grenzen hält. Mit dem Ergebnis, dass man das Spiel kontrolliert ohne jedoch dominant zu sein – weil die Torgefahr überwiegend auf kreative Einzelaktionen zurückzuführen ist. Dass in dieser Hinsicht seit Gareth Bales Comeback eine deutliche Verbesserung eingetreten ist, erscheint kein Zufall, da der Waliser als vertikal veranlagter Spieler die benötigte Tiefe miteinfließen lässt.

Geduld fehlt, Balance geht verloren, Nervosität kommt
Dass in dieser Saison merklich die Durchschlagskraft fehlt, schlägt sich auch auf die mentale Komponente nieder. Legten sich Zidanes Mannen in der letzten Spielzeit ihren Gegner – insbesondere in der Champions League – oftmals durch geduldige Ballzirkulation zurecht, um am Ende durch entsprechende Impulse von der Bank (und eine Stärkung der offensiven Flügel) nachzulegen und das Spiel zu seinen Gunsten zu drehen, ist ebenjene Geduld aufgrund der prekären Lage in der Liga mittlerweile verflogen. Dies mag zu gewissen Teilen auch darin begründet liegen, dass der zweite Anzug in dieser Spielzeit möglicherweise nicht ganz an die Qualität des letzten Jahres heranreicht. Auffällig ist jedoch: Sobald Ronaldo und Co. kein früher Treffer gelingt, wächst die Unruhe mit jeder Minute spürbar an. Dies führt mitunter dazu, dass einzelne Spieler überdrehen, das Tor unbedingt erzwingen wollen, somit aber ihre defensiven Aufgaben vernachlässigen, was in den vergangenen Wochen merklich zu Lasten der defensiven Balance geht, die zu Saisonbeginn noch erheblich verbessert schien.
Außenverteidiger wollen für Tiefe sorgen, hinterlassen aber Löcher
Betrachtet man die Entstehung des Großteils der zuletzt kassierten Gegentore, könnte der Eindruck entstehen, es handle sich insbesondere um ein Problem der Außenverteidiger. Doch dies ist nur ein Teil der Wahrheit: Es handelt sich um ein Problem, welches die gesamte Mannschaft betrifft. Durch die mangelhafte Besetzung der offensiven Flügelräume, versuchen Marcelo und Co. durch eine offensivere Positionierung dem Spiel mehr Tiefe zu verleihen, was im Umkehrschluss natürlich dazu führt, dass sich in der Defensive entsprechende Räume für den Gegner ergeben. Durch eine geschickte Staffelung in Ballbesitz und ein sich daraus ergebendes effektives Gegenpressing könnte man diesem Problem jedoch entgegenwirken. Gleichzeitig erfordert eine solche Spielweise ein hohes Maß an taktischer Intelligenz und Geduld.
Nicht erst gegen Villarreal zeigten sich Reals Probleme – offensiv wie defensiv.
Bei @REAL_TOTAL liefern wir Gründe für Reals Krise: https://t.co/N5mEPUmyEc pic.twitter.com/80cT9LD0mX
— Nils Kern (@nilskern17) 14. Januar 2018
In der ersten Halbzeit des Clásicos oder über weite Strecken gegen Villarreal funktionierte dies auch hervorragend. Doch je länger man dem eigenen Torerfolg hinterherrannte, umso ungeduldiger und unstrukturierter wurde das Angriffsspiel der Blancos. Wodurch nach und nach die Balance verloren ging, weil sich fast nahezu alle Spieler näher Richtung Strafraum orientierten – und die Gegentreffer eine logische Folge waren. Dafür bewegen sich die Mannschaften in Spaniens Liga technisch und taktisch auf zu hohem Niveau, um diese Fehler nicht auszunutzen. Dies gilt natürlich insbesondere für taktisch so hervorragende Teams wie eben Barcelona, Celta oder Villarreal. Auch wenn dies nicht als Ausrede gelten darf, aber Madrids Anfälligkeit ist zu einem gewissen Maße auch den besonderen Umständen in der Liga geschuldet. Neben taktischen Gründen spielt mittlerweile auch der Kopf eine nicht unerhebliche Rolle. Jene Verkrampfung scheint mittlerweile sogar bis zu Spielern wie Kroos oder Ronaldo vorgedrungen zu sein.
Reals Situation als komplexe Verkettung einzelner Faktoren
Reals aktuelle Situation erweist sich also als komplexe Verkettung einzelner Faktoren, die sich gegenseitig bedingen, ist aber keineswegs aussichtslos. Die Partie gegen Villarreal darf bis auf das unsägliche Gegentor als Schritt in die richtige Richtung verstanden werden, Veränderungen und vor allem kleine taktische Anpassungen scheinen aber weiterhin unausweichlich – offensiv wie defensiv. Insbesondere das Problem der mangelnden Balance hinsichtlich der defensiven Absicherung der Außenverteidiger-Positionen könnte im Champions-League-Achtelfinale gegen Paris ein Knackpunkt werden. Noch bleibt ausreichend Zeit, um entsprechende Korrekturen vorzunehmen. Und die Partie gegen Villarreal hat gezeigt, dass Zidane und Co. bereits versuchen, an den entsprechenden Stellschrauben zu drehen. Es mangelt noch an kleinen Details. Aber die sind im heutigen Fußball nun mal entscheidend.
Jetzt bei bet365 anmelden und bis zu 100 Euro Neukundenbonus erhalten!
Community-Beiträge