
Reals erste Halbzeit: Zahnloser Tiger
MADRID. Wenn eines nach der bitteren 0:1-Niederlage in Paris feststand, dann, dass nach vorn etwas passieren musste. Alle Augen waren im Champions-League-Achtelfinale auf Karim Benzema gerichtet, der nach seiner Muskelverletzung endlich wieder startklar war und die fehlende Torgefahr der Spiele davor wettmachen sollte. Was passierte? Nichts. Real Madrid war kaum in der Lage sich aus der eigenen Hälfte zu befreien, Paris‘ Dominanz war erschreckend. Dass Alavés, der kleine Klub aus dem Baskenland, 18. Platz in der Tabelle, solche Geschütze nicht auffahren könnte, war vorher schon klar. Umso besser die Chancen der Blancos, sich die Wunden zu lecken. Doch was passierte in den ersten 45 Minuten? Richtig: Auch (fast) nichts. Das Team in Weiß schaffte es eine dreiviertel Stunde lang nicht, ins Spiel zu kommen (immerhin 8:3 Abschlüsse, davno 2:2 aufs Tor) – gegen einen Gegner, der noch weniger entgegenzusetzen hatte. Man fragte sich: Wo ist die Spritzigkeit? Wo sind die Spielideen? Mit zwei Torschüssen, die die Bezeichnung „gefährlich“ nicht verdienten und 66 Prozent Ballbesitz verabschiedete sich Real in die Kabine und lies die Fans mit Fragezeichen zurück. Die Halbzeitansprache von Ancelotti musste gut werden…
Zweiter Durchlauf: In der 63. Minute endet der Dornröschen-Schlaf
… und die Halbzeitansprache hat anscheinend Wirkung gezeigt. „Ich habe in der Halbzeit gesagt, dass wir da mehr Qualität und Bewegung brauchen.“ So weit, so gut. Schon kurz nach Wiederanpfiff war zu spüren, dass etwas mehr “Bewegung” ins Spiel kam, wie von Ancelotti gefordert. Immer öfter spielten sich die Blancos in den Strafraum der Basken und auch die Fans stimmten in diesen Wandel mit ein – zuvor gab es sogar Pfiffe. Und dann war sie auf einmal wieder da, die Torgefahr und mit ihr die Tore: Marco Asensio (63.), Vinícius Junior (80.) und Karim Benzema (90.+1), alle drei Offensiv-Spieler netzten ein und heizten die Stimmung auf. „Die Fans stehen hinter uns, wie immer. Sie sind wie immer nicht glücklich, wenn wir nicht gut spielen. Wenn wir gut spielen, dann schätzen sie das.“ Ja, die Fans haben die Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte geschätzt, denn sie haben dann auch ihr Real Madrid spielen sehen, so wie sie es kennen. Am Ende: 23:7 Abschlüsse, 9:2 aufs Tor, darunter auch ein Pfostentreffer von Benzema.
Kann Real so gegen ein Paris Saint-Germain bestehen? Nein!
Bei aller Freude über den doch noch sehr positiven Ausgang des Spiels – betrachtet man die Details, kann hier wenig Zufriedenheit aufkommen und schon gar nicht mehr Selbstvertrauen, den – wenn auch knappen Rückstand – gegen die Pariser zu drehen. Wenn man eines am Dienstagabend deutlich gesehen hat, dann, dass PSG diese Schwächen schamlos ausnutzen kann. Es ist von Glück die Rede, dass der Klub aus Paris, seine Chancen so schlecht verwertete. Einer der Schwachpunkte ist schon einmal entlarvt: „Es fällt uns etwas schwer, mit der nötigen Intensität ins Spiel zu kommen. Es ist eine Schwäche, die wir hatten und nun hoffentlich lösen. In der einen oder anderen Partie haben wir auch gut begonnen (…), seitdem hatten wir immer mehr Schwierigkeiten in den ersten Halbzeiten und weniger in den zweiten“, analysiert der Trainer.
Auch wenn PSG in der Liga selbst eine überraschende 1:3-Niederlage gegen Nantes einstecken musste und so zum Vorschein kommt, dass auch dort Schwächen vorhanden sind, heißt das nicht, dass Mbappé, Messi und Co. nicht alles versuchen werden, um das in der ersten Halbzeit gern lahmende Real Madrid schon auszuknocken, bevor es erwachen kann. Ancelotti: „Es ist auch so, dass die Gegner in der ersten Halbzeit viel machen und ihre Intensität in der zweiten nachlässt. Dann fühlen wir uns wohler.“ Auch das mag der Coach richtig erkannt haben, aber um Wohlfühlen geht es in der Champions League nicht und ein Paris, dass in der zweiten Halbzeit nachlässt, mit dem Gedanken im Hintergrund, den größten Verein der Welt aus dem größten internationalen Fußball-Wettbewerb zu kicken? Nein. Auch das wird nicht passieren.
Die Königlichen zeigen zu oft ihre zwei Gesichter, aber im Achtelfinal-Rückspiel darf in dieser gespaltenen Persönlichkeit der Mannschaft nicht der wahnsinnige Dr. Jekyll auftauchen, sondern Mr. Hyde muss es lösen – so wie in so vielen zweiten Halbzeiten.
Dennoch: Zwei Partien bleiben, um an den Stellschrauben zu drehen
Es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Das Ergebnis beweist zumindest: Tore schießen geht also doch noch! Auch wenn Real stolze 63 Minuten (und eine 100-prozentige Chance der Gäste) benötigt hat, um damit anzufangen. Die Herausforderungen sind klar und Carlo Ancelotti darf sich jetzt der Aufgabe widmen, gegen Rayo Vallecano (26. Februar.) und Real Sociedad (5. März), seinem Team den letzten Feinschliff zu geben, bevor dann die große Aufgabe gegen Paris Saint-Germain wartet. Mit den Fans im Rücken, die an diesem 25. Spieltag trotz anfänglich sichtbarer Enttäuschung, hinten raus aufgedreht haben, ist sehr viel möglich und das Spiel dauert ja bekanntlich 90 Minuten. Aber genau so wichtig ist: es beginnt auch in der ersten.
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