
Seit 2014 nur zwei von 17 Finals verloren
„Real Madrid spielt keine Finals, es gewinnt sie.“ Diesen Spruch dürften mittlerweile einige neutrale Fußballfans kennen. Dass dieser Spruch nicht ewig halten würde, und ohnehin immer mal wieder von Ausnahmen geprägt ist, war ebenso klar. Denn von den letzten 24 Endspielen hat Real Madrid fünf verloren: Supercopa 2011, Copa del Rey 2013, Supercopa 2014, Super Cup 2018, Supercopa 2023. Das macht immernoch eine Final-Sieg-Quote von 80 Prozent – absolut königlich.
Und trotzdem: Real Madrid hat den Faden verloren. Nicht nur den, wie souverän weil fehlerfrei und effektiv ein Finale absolviert werden kann, so wirkten die Blancos von Minute eins an hinsichtlich Lauf- und Risikobereitschaft ihrem Gegner unterlegen. Entsprechend merkte auch Federico Valverde an: „Uns hat die nötige Einstellung gefehlt. (…) Wir haben 90 oder 80 Prozent gegen solch einen Gegner gegeben, das können wir so nicht machen.“ Carlo Ancelotti widersprach da allerdings: „Es hatte aber nichts mit fehlender Einstellung zu tun.“
Für den 63-jährigen Italiener war es im neunten Finale mit den Blancos die erst zweite Niederlage. Auch er scheint mehr und mehr etwas zu verlieren, den Faden, aber auch die Zügel. War Vertrauen in der vergangenen Saison sowohl Stichwort als auch Schlüssel zum Erfolg einer Mannschaft, die sich im vom Trainer gebotenen Freiraum teilweise selbst coachen konnte und entsprechend Real Madrid sich so sehr als Einheit und Familie präsentiert hat wie gefühlt noch nie, so wird dieses schier endlose Vertrauen des Trainers langsam zum Verhängnis.
Zwar gab es mit David Alaba und Aurélien Tchouaméni zwei entscheidende Ausfälle, aber vermeintliche „Lieblingsspieler“ wie Dani Carvajal, Luka Modrić, Vinícius Júnior und Karim Benzema blieben hinter den Erwartungen zurück. Ancelotti bot wenig Überraschendes, sein Plan mal wieder vorhersehbar, kein Plan B, so coachte Xavi die Trainerlegende zu seinem ersten Titel aus. Ancelotti versteckt sich eher hinter den individuellen Fehlern, statt zu erkennen, dass die Mannschaft möglicherweise zu viele Freiheiten und eben wenig weitere Ideen hat. Wenig Konkurrenzkampf, auch weil manche Positionen nicht doppelt besetzt sind, und auch sonst weniger Rotationen als noch zu Saisonbeginn.
Von fehlender Frische bei einigen Stammspielern mal abgesehen, gibt es bei Spielern wie Jesús Vallejo, Álvaro Odriozola, Eden Hazard und Mariano Díaz gar kein Vertrauen, sodass diese beispielsweise bei den Niederlagen gegen Villarreal (1:2) und Barcelona (1:3) gar nicht berücksichtigt wurden, obwohl noch Wechselplätze frei gewesen wären. Anders gesagt: Der Trainer hat aktuell nur 14 Feldspieler, die er regelmäßig einsetzt.
Nach perfektem Saisonstart zuletzt vier Niederlagen
Ancelotti droht den Faden zu verlieren, Real Madrid hat es längst. Denn nachdem es zu Saisonbeginn noch spektakuläre 14 Siege und zwei Unentschieden aus den ersten 16 Pflichtspielen gab, folgten danach einige Rückschläge. Die Bilanz der letzten zehn Partien: vier Siege, zwei Unentschieden (inklusive Supercopa-Halbfinale), vier Niederlagen. Der Nimbus der Ungeschlagenheit ist längst Geschichte, Real Madrid ist aktuell schlagbarer denn je. In der Offensive sucht jeder Form und Frische, in der Abwehr sucht man Ordnung und Konzentration – egal ob langjährige Spieler wie Carvajal oder Neuzugänge wie Antonio Rüdiger, an jedem scheint es ein Vorbeikommen zu geben. Konstant gute Leistungen wie im Vorjahr gibt es einzig auf der Torhüterposition – ohne Thibaut Courtois wäre nicht nur das Supercopa-Finale höher ausgefallen, man hätte auch das Champions-League-Finale verloren.
Torhüter gehören zum Fußball dazu, genauso wie Niederlagen. Aber die Blancos wirken aus dem Gleichgewicht: Zu abhängig von Individuellem, zu wenig Team-Taktisches, zu wenig Überraschendes. 2021/22 hat das mit neuem Trainer zum Erfolg geführt, 2022/23 ist man auch „nur“ drei Punkte hinter dem Tabellenführer aus Barcelona, und trotzdem würde das mögliche Copa-Aus am Donnerstag keinen überraschen, dann wäre nach einem kleinen auch der erste große Titel schon futsch. Und wenn dann auch die anschließenden, schwierigen Liga-Partien gegen Athletic, Real Sociedad und Valencia nicht mit einer zufriedenstellenden Punkteausbeute beendet werden, dann könnte selbst der Stuhl eines Ancelottis, der sowohl in der Mannschaft als auch im Vorstand großes Vertrauen genießt, anfangen zu wackeln.
Noch war es „nur“ ein verlorenes Supercopa-Finale, aber es war eine Niederlage, die sich angebahnt hat. Real Madrid hat den Faden verloren, nicht nur in Endspielen, sondern auch den ihres Selbstverständnisses. Entsprechend sind die Königlichen gut beraten, etwas zu unternehmen, denn nur mit „Weiter so“ sind nicht immer Titel garantiert wie in der vergangenen Saison.
Community-Beiträge